Der 1. Teil von Medscape´s Serie zu seltenen und ungewöhnlichen psychiatrischen Erkrankungen konzentrierte sich auf psychiatrische Syndrome, die trotz ihrer Seltenheit sicher diagnostiziert und therapiert werden sollten. Der 2. Teil beschäftigt sich nun mit Syndromen, die in bestimmten Kulturen oder Regionen der Welt beschrieben wurden. Die amerikanische DSM-IV-Klassifikation [1] fasst diese Syndrome unter dem Begriff „Kultur-assoziierte Syndrome“ zusammen, während DSM-V [2] sie unter „Kulturelle Leidenskonzepte“ abhandelt. Diese Abfassung hat zum Ziel, die kulturellen Einflüsse auf die Expression und Erfahrung von Geisteskrankheiten, die bei jedermann auftreten können, präziser zu charakterisieren und damit die Relevanz für den klinischen Alltag deutlich zu machen. Einige bereits vorher beschriebene Erkrankungen sind im neuen Manual nicht mehr berücksichtigt, während andere als Beispiel für Kultur-bezogene Krankheiten hinzugefügt oder beibehalten wurden. Obwohl die DSM-V-Klassifikation spezifische Krankheiten mit dem Ziel eines breiteren konzeptionellen Ansatzes zurückstellt, behalten beide – in das Manual eingearbeitete und nicht eingearbeitete – Beispiele ihre Relevanz für die tägliche Praxis, da sie in vielen verschiedenen Kulturen der Welt noch immer vorkommen.
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Durch die erneute Berücksichtigung Kultur-assoziierter psychiatrischer Krankheiten nimmt die DSM-V-Klassifikation die Idee auf, dass die vorherige Etikettierung „Kultur-gebundene Syndrome“ die Lokalisierung überbetont und die Tatsache ignoriert, dass „klinisch relevante kulturelle Unterschiede häufig die Erklärung oder Erfahrung von Leiden mit einbezieht, anstatt kulturell unterscheidbare Symptomkonfigurationen.“ Der neue Ansatz erkennt, dass alle Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit einschließlich der Störungen nach DSM „lokal geformt“ werden und beschreibt 4 nosologische Schlüsseleigenschaften für kulturelle Konzepte: 1. Nur in seltenen Fällen besteht eine 1-zu-1-Korrespondenz mit den DSM-Diagnosen; 2. Sie können zu Krankheitsbildern mit einer großen Spannweite bezüglich des Schweregrads passen – einschließlich Erkrankungen, die keine Kriterien nach DSM erfüllen; 3. Ein kultureller Begriff wird häufig für multiple kulturelle Konzepte verwendet; 4. Wie Kultur und DSM selbst können sich kulturelle Konzepte im Laufe der Zeit zu lokalen und globalen Einflüssen weiterentwickeln.
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Amok/Amoklauf/Berserker
Region/Kultur: Südostasien, Skandinavien
Frei aus dem Malaiischen als „Herumtoben“ übersetzt, stellt Amok eine dissoziative Störung dar, die durch nicht im Voraus geplante gewalttätige, ordnungswidrige oder mörderische Wut gegen andere Objekte oder Personen gerichtet ist. Diese Störung, die häufig von Amnesie und Erschöpfung begleitet wird, wird typischerweise durch eine empfundene oder aktuelle Beleidigung in Gang gebracht und kann als Teil einer kurzen psychotischen Episode oder im Rahmen einer Verschlechterung einer chronisch psychotischen Erkrankung vorkommen. Ein ähnlicher Zustand – Berserker genannt – wird in der Altnordischen Literatur verwandt, um wahnhaften Zorn bei Kriegern der Wikinger zu beschreiben [1,3,4]. Störungen wie die intermittierende explosible Störung, die katatone Erregung, die Agitation und Aggression unter dem Einfluss von eingenommenen Substanzen sowie die Aggression, die mit Störungen psychotischer Art, der Laune oder der Persönlichkeit assoziiert ist, haben gemeinsame Eigenschaften mit Amok.
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Khyal-Attacken (Windattacken)
Region/Kultur: Kambodscha und Einwanderer in Kambodscha
Khyal-Attacken oder „Windattacken“ werden bei Kambodschanern und Einwanderern in Kambodscha beobachtet und sind neu in die DSM-5-Klassifikation aufgenommen worden. Sie sind charakterisiert durch Schwindelanfälle, Kurzatmigkeit, Palpitationen und andere Symptomen bei Angststörungen und autonomer Übererregung. Während der Angstepisoden entsprechen die Symptome häufig denen von Panikattacken, die einen Bezug zu anderen Angst- oder Trauma-bezogenen Störungen haben können. Der Name der Störung stammt von der Vorstellung, dass die Symptome aufgrund einer windähnlichen Substanz entstehen, die sich im Körper verbreitet. Kliniker sollten als erstes körperliche Ursachen für Angstsymptome ausschließen und dann nach traumatischen Ereignissen in der Vorgeschichte fragen. Therapieansätze sollten sich auf die Angstsymptome und falls vorhanden auf das zugrundeliegende Trauma konzentrieren [2].
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Latah/Imu/“Jumping Frenchmen of Maine“-Syndrom
Region/Kultur: Südostasien/Japan
Die Latah-Störung beschreibt eine überschießende Schreckreaktion auf angsteinjagende Impulse. Betroffene Patienten können in eine Trance-ähnliche Dissoziation oder Echolalie und Echopraxie fallen. Eine ähnliche Störung mit der Bezeichnung „Jumping Frenchmen of Maine“-Syndrom ist bei französisch-kanadischen Holzfällern beschrieben worden [1,4]. Sie weist Eigenschaften dissoziativer Störungen, von Konversionsstörungen oder Katatonie auf, könnte aber auch eine schwere Form der Reaktion auf ein plötzliches oder schwerwiegendes traumatisches Ereignis sein.
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Kufungisisa (zu viel nachdenken)
Region/Kultur: Simbabwe
Auch neu im DSM-5-Katalog ist die Erkrankung Kufungisisa oder „zu viel nachdenken“. Sie stellt eine Störung dar, die bei dem Volk der Shona in Simbabwe beschrieben ist. Der Begriff spiegelt sowohl die Ursache von Störungen wie Angst und Depression (z.B.: „mein Herz ist schwer, weil ich zu viel nachdenke“) wider, als auch das Idiom psychosozialer Stressfaktoren wie finanzielle oder eheliche Probleme. Die Symptome können sich mit denen verschiedener DSM-Diagnosen einschließlich der Angststörung, der Panikstörung und der Depression überschneiden. Das immer wiederkehrende Überlegen und somatische Symptome können mittels kognitiver Verhaltenstherapien behandelt werden. Anderenfalls können Standardtherapien für Angststörungen und Depression versucht werden [2].
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Piblokto/Pibloktog
Region/Kultur: Arktische und subarktische Eskimos
Die Piblokto-Störung, auch bekannt als „arktische Hysterie“, beschreibt dissoziative Episoden, während derer Patienten länger dauernde, extreme Erregungszustände erfahren, denen manchmal Anfälle oder Koma folgen. Ein Prodromalstadium mit Reizbarkeit kann vorkommen. Während der Episode zeigen betroffene Patienten gefährliche, irrationale Verhaltensweisen (d.h. Zerstörung von Eigentum, sich nackt ausziehen). Von einem Forscher ist die These aufgestellt worden, dass die Störung durch eine Vitamin-A-Intoxikation ausgelöst werden könne. Das Fleisch von arktischen Nahrungsquellen wie Eisbären, Robben und Walrössern enthalt extrem hohe Mengen an Vitaminen [1,5,6]. Zu den weiteren möglichen Ursachen dieses Syndroms zählen Formen der Mangelernährung (z.B. Vitamin-D oder Kalziumdefizit) und die mit Amok assoziierten Störungen einschließlich Delir, Psychose, Persönlichkeitsstörung und Störung der Laune.
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Klinische Lykanthropie
Region/Kultur: verschiedene
Die Lykanthropie ist eine seltene Störung, bei der Menschen unter der Wahnvorstellung leiden, sich in ein Tier zu verwandeln. Betroffene tendieren dann dazu, sich dem Tier entsprechend zu verhalten, in das sie meinen sich verwandelt zu haben. Der Begriff „Lykanthropie“ stammt aus der griechischen Mythologie, in der König Lykaon als Strafe dafür, dass er Zeus zum Abendessen menschliches Fleisch serviert, in einen Wolf verwandelt wird [7]. Vielleicht hat der allgemeine Glaube an Werwölfe in dieser Störung seinen Ursprung. Verwandlungen zu Wölfen oder Hunden sind am häufigsten beschrieben, zu Verwandlungen in andere Tiere wie Vögel oder Insekten existieren allerdings ebenfalls Berichte. In diesem Sinne kann sich das Syndrom durch persönliche, kulturelle und regionale Einflüsse den jeweiligen Begebenheiten anpassen. Es ist nicht verwunderlich, dass die Lykanthropie als spezifisches wahnhaftes Fehlidentifikationssyndrom typischerweise im Kontext der Schizophrenie, der manisch-depressiven Psychose oder der medikamenten-induzierten Psychose auftritt.
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Wendigo-Psychose
Region/Kultur: verschiedene
Die Wendigo-Psychose beschreibt ein unersättliches Verlangen nach menschlichem Fleisch, selbst wenn andere Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Die Erstbeschreibung der Störung erfolgte bei den Algonquin-Indianern, die meinten, dass vom Kannibalismus lebende Stammesmitglieder zu einer gefürchteten, fleisch-verzehrenden Kreatur oder Geist namens Wendigo verwandelt wurden oder von ihm vereinnahmt wurden. Blieben Heilungsversuche durch eingeborene Heiler oder westliche Ärzte ohne Erfolg, sodass die betroffene Person weiterhin durch gewalttätiges Handeln eine Bedrohung für andere darstellte, wurde sie in der Regel exekutiert. Während manche die Validität dieser Störung in Frage stellen, gibt es zahlreiche glaubhafte Augenzeugenberichte von Eingeborenen und Nicht-Eingeborenen. Ein psychotischer Ursprung dieser Störung kann nicht ausgeschlossen werden [8].
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Maladi Moun (menschlich verursachte Krankheit)
Region/Kultur: Haiti und Einwohner
Das „Maladi Moun“-Syndrom (menschlich verursachte Krankheit) wird in haitianischen Bevölkerungsgruppen angetroffen und dient als Erklärung einer Vielzahl an medizinischen und psychiatrischen Symptomen. Allgemeiner Glaube ist, dass eine Krankheit wort-wörtlich durch jemand anderen aufgrund von Neid und Hass „geschickt“ wird. Das Syndrom kann Psychosen, depressive Symptome und sogar akademische oder soziale Probleme umfassen. Die Störung weist gemeinsame Eigenschaften mit Wahnstörungen und paranoiden Schizophrenien auf. Hinsichtlich des therapeutischen Ansatzes für diese Störung ist es wichtig, zwischen extremen Formen der Rationalisierung in Kombination mit magischem Aberglauben, überbewerteten Ideen und Erklärungen zu unterscheiden, die von kulturellen Subgruppen durch entstehende oder bereits manifeste Psychosen geteilt werden. Eine möglicherweise im Entstehungsprozess begriffene Psychose kann eine sorgfältige Beobachtung und die Behandlung regelmäßig auftretender Begleitstörungen einschließlich Depression und Störungen aufgrund von Substanzmissbrauch notwendig machen. Manifeste Psychosen bedürfen hingegen einer antipsychotischen Therapie [2].
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Taijin Kyofusho
Region/Kultur: Japan
Patienten mit „Taijin Kyofusho“ (wörtlich: „Störung durch Angst“) erfahren ein extremes Eigenbewusstsein bezüglich ihrer Erscheinung. Sie leiden an intensiver, lähmender Angst, dass ihre Körper andere Menschen beschämen oder für andere beleidigend sind [1,9]. Diese Kultur-bezogene Störung zeigt überlappende Eigenschaften mit der sozialen Phobie und der dysmorphen Körperstörung.
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Saora
Region/Kultur: südöstliches Indien
Junge Männer und Frauen des Saora-Stammes zeigen gelegentlich Gedächtnisverlust, Ohnmachtsanfälle und unangepasste Wein-oder Lachanfälle. Betroffene behaupten häufig, das Gefühl zu erleben, wiederholt von Insekten gebissen zu werden, obwohl keine Insekten nachweisbar sind. Dieses Verhalten wird als Antwort auf von Familienmitgliedern oder der Dorfgemeinschaft ausgeübten, sozialen Druck zu einem bestimmten Lebensstil zurückgeführt. Stammesmitglieder schreiben dieses Verhalten allerdings häufig dem Wirken übernatürlicher Wesen zu, die die betroffene Person verheiraten möchten [10]. Dieses Syndrom zeigt Eigenschaften einer dissoziativen oder Konversionsstörung.
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Koro
Region/Kultur: Asien, Südost-Asien
Koro ist eine schwere Angststörung, bei der die Betroffenen glauben, dass ihre eigenen Genitalien schrumpfen – verbunden mit einem möglichen Tod. Lokal begrenzte Epidemien wurden hierfür bereits beschrieben. Koro ist in der chinesischen Metaphysik und kulturellen Praxis verwurzelt, und erscheint deshalb auch in der 2. Edition der Chinesischen Klassifikation für psychiatrische Erkrankungen [1,11]. Die Störung wurde mit dem Glauben assoziiert, auf unangemessene sexuelle Handlungen zu folgen (z.B. außerehelicher Sex, Sex mit Prostituierten, oder Masturbation), die das Yin-Yang-Gleichgewicht stören, das durch ehelichen Sex erworben würde. Oft wird die Störung auch in Verbindung mit bestimmten Essen gebracht. Es liegt nahe, dass übertriebenes Schuldgefühl und Scham über ausgeführte oder auch nur gewünschte sexuelle Handlungen eine Rolle in dieser wahnhaften Überzeugung spielen.
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Dhat-Syndrom
Region/Kultur: Indien
und
Shenkui
Region/Kultur: China
Der Begriff „Dhat“ kommt aus einer altinidischen Mundart (Sanskrit) und bedeutet: „Elixir, das den Körper formt“. Dhat ist eine indische Volksdiagnose, bei der Menschen an schweren Angstzuständen und Hypochondrie leiden, die mit dem Verlust von Sperma über den Urin, nächtliche Ejakulationen oder Masturbation in Verbindung steht. Eine ähnliche Störung (Shenkui) ist in China beschrieben worden [1,12]. Im Rahmen der Shenkui-Störung werden ausgeprägte Angst- oder Paniksymptome von somatischen Beschwerden wie Schwindelanfällen, Rückenschmerzen, Abgeschlagenheit und sexuellen Funktionsstörungen begleitet. Es wird der exzessive Verlust von Sperma gefürchtet, da man im Sperma die vitale Lebenskraft sieht. Ähnlich wie beim Koro-Syndrom könnte man vermuten, dass die intensive Angst beim Dhat- und Shenkui-Syndrom mit fantasierten oder durchgeführten sexuellen Handlungen in Zusammenhang stehen, die von den Patienten selbst als verboten und inakzeptabel sich selbst und anderen gegenüber angesehen werden. Die Beschreibung lässt allerdings auch auf eine unerkannte depressive oder Somatisierungsstörung schließen.
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Shenjing Shuairuo (Neurasthenie)
Region/Kultur: China
Bei der Shenjing Shuairuo-Störung handelt es sich um einen weit verbreiteten Volksglauben, der charakterisiert wird durch Abgeschlagenheit, Konzentrationsschwäche, Reizbarkeit, Schmerzen und eine Reihe weiterer somatischer Beschwerden. Traditionell umfasste sie zahlreiche Geistesstörungen und begleitende somatische Symptome, die aufgrund ihrer Kriterien in der heutigen Fassung der DSM-5-Klassifikation unter Angststörungen und affektiver Störung zusammengefasst würden [1,13]. In allen Kulturen ist es nicht ungewöhnlich, dass affektive Störungen sich durch somatische Symptome eher als durch geistige Symptome ausdrücken, teilweise auch, um die mit Geistesstörungen assoziierte Stigmatisierung zu vermeiden. Dies würde zu somatoformen Störungen wie Konversionsstörungen oder Somatisierungsstörungen passen. Die Beschreibung des Shenjing Shuairuo-Syndroms kann ebenfalls mit einem chronischen Fatigue-Syndrom in Einklang gebracht werden, das nur wenig verstanden bleibt.
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Zar
Region/Kultur: Nordafrika/Mittlerer Osten
Menschen, die an dem Zar-Syndrom leiden, machen dissoziative Episoden durch, die von exzessiven Lach-, Schrei- und Weinanfällen und durch repetitives Schlagen des Kopfes gegen eine Wand gekennzeichnet sind. Es wird einer Inbesitznahme der Betroffenen durch einen Geist zugesprochen und nicht als eine Pathologie angesehen. Patienten sind häufig apathetisch und berichten über eine sich langfristig entwickelnde Beziehung zu ihrem Possessor [1]. Auf der Basis seiner Phänomenologie kann das Zar-Syndrom begrifflich als wiederkehrende, kurze psychotische Episode, Wahnstörung, dissoziative Störung oder potenziell substanz- induziertes Ereignis gefasst werden. Das Zar-Syndrom stellt ein wichtiges Beispiel dafür dar, wie bestimmte Kultur-gebundene Syndrome als normal oder als Zeichen eines „Auserwähltseins“ angesehen werden kann, während andere Kulturen es als pathologisch einstufen würden [1].
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Shin-Byung (Geisteskrankheit)
Region/Kultur: Korea
Dieser Volksglauben wird bestimmt durch Angst und zahlreiche somatische Beschwerden wie Schwäche, Schwindel und gastrointestinale Symptome. Die Patienten weisen oft dissoziative Muster auf und sprechen ihren Zustand einer Inbesitznahme durch Geister ihrer Vorfahren zu [1]. Die Störung kann auch als Somatisierung einer zugrunde liegenden relevanten Depression oder Angststörung verstanden werden. Oder als Anpassungsstörung, die durch die den Verweis auf die Inbesitznahme durch einen Geist destigmatisiert werden soll. Das Shin-Byung-Syndrom weist gemeinsame Eigenschaften mit somatoformen und dissoziativen Störungen auf.
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Geisterkrankheit
Region/Kultur: amerikanische Eingeborene, Hispanics
Die Geisterkrankheit wird charakterisiert durch eine eingehende Beschäftigung mit dem Tod und Verstorbenen und wird häufig bei eingeborenen Amerikanern und Kulturen lateinamerikanischer Einwanderer (Hispanics) gefunden. Symptome sind vielfältig und beinhalten Schwäche, Schwindel, Appetitverlust, Gefahrengefühle, Angst, Furcht, Halluzinationen und die Empfindung zu ersticken [1]. Unter dieser Symptomenkonstellation könnte die Geisterkrankheit auch begrifflich als protrahierte oder pathologische Trauer oder Depression gefasst werden, die ihren Ausdruck vornehmlich somatisch findet und die die Akzeptanz des gestörten Geisteszustandes betroffener Menschen und derer, die sie kennen, steigern kann.
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Susto
Region/Kultur: USA, Lateinamerika, Südamerika
Aus dem Spanischen für „Schrecken“ und weit verbreitet in bestimmten Latino-Populationen bezieht sich der Begriff „Susto“ auf das Scheiden der Seele aus dem Körper als Antwort auf eine schreckliche Erfahrung. Die Symptome können über mehrere Jahre wiederkehren und stehen in Einklang mit zahlreichen Diagnosen nach DSM-5, zu denen u.a. die Major-Depression, die posttraumatische Störung und somatische Symptom- sowie assoziierte Störungen gehören [1].
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Ausfall (Falling Out)
Region/Kultur: südliche USA, Karibik
Das „Falling-out“-Syndrom ist durch Episoden gekennzeichnet, in denen es zu einem plötzlichen Kollaps kommt, der manchmal von Schwindelanfällen angekündigt wird, während derer Patienten häufig eine temporäre Blindheit trotz geöffneter Augen angeben. Betroffene berichten außerdem, dass sie in der Regel ihre Umwelt bewusst wahrnehmen, aber nicht in der Lage sind, sich zu bewegen [1]. Dieser Symptomenkomplex hat mit der Kataplexie gemeinsame Eigenschaften. Bei der Kataplexie handelt es sich um eine seltene Störung, bei der Patienten einen plötzlichen und transienten Muskeltonusverlust (in der Regel als Folge starker Emotionen) erleiden und zu Boden fallen. Sie machen auch die Erfahrung vasovagaler Synkopen, die als Folge einer starken körperlichen oder psychologischen Belastung auftreten, wie auch der Katatonie, von Konversionsstörungen oder dissoziativen Störungen.
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Grisi Siknis
Region/Kultur: Zentral- und Südamerika
Als „Grisi siknis“ wird eine hysterische Störung bezeichnet, die in Nicaragua vorkommt. Ins Deutsche übersetzt heißt sie so viel wie „verrückte Krankheit“. Sie ist hochansteckend und betrifft meist junge Mädchen und Frauen insbesondere im Alter zwischen 15 und 18 Jahren. Die Attacken beginnen mit Kopfschmerzen, Schwindel, Angst, Übelkeit, irrationaler Wut und/oder Furcht. Während der Attacke verliert der Betroffene sein Bewusstsein, fällt zu Boden und läuft danach weg. Andere Menschen können während dieser Attacken als Teufel wahrgenommen werden, die betroffene Person selbst empfindet keinen körperlichen Schmerz bei Verletzungen und weisen anschließend eine komplette Amnesie bezüglich ihres körperlichen Zustandes auf. Es kann zu Schattenkämpfen mit unsichtbaren Gegnern kommen, während von anderen berichtet wurde, dass sie übermenschliche Taten vollbracht und in verschiedenen Sprachen geredet hätten. Diese Störung ähnelt der der dissoziativen oder Konversionsstörung [1].
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Gururumba
Region/Kultur: Neu Guinea
Das Gururumba-Syndrom beschreibt eine Episode, während der die betroffene Person (meist ein verheirateter Mann) anfängt, in benachbarte Häuser einzubrechen und nach seiner Einschätzung wertvolle, aber seltene Gegenstände zu entwenden. Anschließend flüchtet er und verschwindet oft über Tage ohne die entwendeten Objekte und ohne Erinnerung an diese Episode. Leidtragende werden häufig als hyperaktiv, ungeschickt und undeutlich sprechend beschrieben. Dieses Syndrom weist Eigenschaften dissoziativer wie auch von Konversionsstörungen auf, kann aber auch im Rahmen von Störungen beobachtet werden, die durch die Intoxikation mit bestimmten Substanzen entstehen.
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