Vorhofflimmern während nicht-kardialer OP – verdoppeltes Hirninfarkt-Risiko danach

Sabine Wimmer-Kleikamp | 18. August 2014

Autoren und Interessenkonflikte

Auch ein Vorhofflimmern, das sich nur perioperativ manifestiert, bedeutet langfristig ein erhöhtes Schlaganfallrisiko – dies besonders dann, wenn es bei einem nicht-herzchirurgischen Eingriff auftrat. Dies hat eine retrospektive Kohortenstudie ergeben, die aktuell im Journal of the American Medical Association (JAMA) publiziert worden ist [1,2].



Prof. Dr. Joachim Röther

„Die Botschaft des Papers ist, dass Patienten mit perioperativem Vorhofflimmern eine Risikogruppe darstellen, bei der ein Vorsorgeprogramm mit wiederholtem EKG-Monitoring angesagt ist, um intermittierendes Vorhofflimmern zu erkennen und zukünftige Schlaganfälle zu vermeiden“, betont Prof. Dr. Joachim Röther, Chefarzt der Neurologie an der Asklepios Klinik in Hamburg Altona, im Gespräch mit Medscape Deutschland.

Große Stichprobe mit mehr als 1,7 Millionen Patienten

Das Autorenteam um Dr. Gino Gialdini vom Weill Cornell Medical College in New York verwendete klinische Verwaltungsdaten von Akutkrankenhäusern in Kalifornien. Ziel war, den Zusammenhang zwischen perioperativem Vorhofflimmern (VHF) und dem Langzeitrisiko eines ischämischen Schlaganfalls zu analysieren.

Von etwa 1,7 Millionen Patienten, die sich zwischen 2007 und 2011 in Kalifornien einer stationären OP unterzogen, hatten 1,4% (25.000) perioperatives VHF, und 0,8% (14.000) erlitten einen ischämischen Schlaganfall nach Entlassung aus dem Krankenhaus. Perioperatives VHF war definiert als VHF, das während des stationären Aufenthalts im Rahmen eines operativen Eingriffs neu diagnostiziert worden war.

In die Kohorte wurden nur Patienten aufgenommen, die keine zerebrovaskulären Erkrankungen hatten und den stationären Aufenthalt überlebten. Die Nachbeobachtungszeit betrug durchschnittlich 2.1 Jahre. Es wurden 2 Gruppen analysiert – je nachdem ob ein herzchirurgischer Eingriff oder eine andere Operation erfolgt war.

Verdoppelt: Hirninfarktrisiko bei perioperativem VHF und nicht-herzchirurgischer OP

„Die Botschaft … ist, dass Patienten mit perioperativem Vorhofflimmern
eine Risikogruppe darstellen, bei der ein Vorsorgeprogramm mit wiederholtem EKG-Monitoring angesagt ist.“
Prof. Dr. Joachim Röther

Das Ergebnis: Perioperatives VHF korrelierte mit einem erhöhten Langzeitrisiko für einen ischämischen Schlaganfall. Dies war besonders deutlich nach einer nicht-herzchirurgischen OP: Hier war die kumulative Schlaganfallrate 1 Jahr nach Entlassung aus dem Krankenhaus mit 1,47% deutlich höher bei Patienten mit perioperativem VHF als denjenigen ohne (0.36%). Nach einem herzchirurgischen Eingriff betrugen die entsprechenden Schlaganfallraten 0,99% mit VHF im Vergleich zu 0,83% ohne Vorhofflimmern.

Damit ist bei Patienten, die bei einer Nicht-Herz-OP perioperativ flimmern, in der Folge das Schlaganfallrisiko auf das Doppelte erhöht; geschieht das Gleiche bei einer kardialen OP ist das Risiko noch um 30% erhöht. Dies gilt laut separater Analyse unabhängig von Alter, Geschlecht und ethnischer Herkunft.

VHF ist bei chirurgischen Eingriffen am Herzen häufig und meist direkt durch die OP induziert [3]. Tritt perioperatives VHF auch im Rahmen eines nicht-herzchirurgischen Eingriffs auf, haben laut Röther die Patienten oft ein ausgeprägtes kardiovaskuläres Risikoprofil. „Das sind diejenigen, die auch ein höheres Schlaganfallrisiko haben", erklärt der Neurologe. 

Für ihn ergibt sich daraus ein Confounder, der den Zusammenhäng erklären könnte: „In der Studie sind die nicht-herzchirurgischen Patienten vorwiegend ältere Menschen mit einem höherem CHA2DS2VASc Risko-Score und daher generell erhöhtem Risikoprofil. Darunter sind Patienten mit Diabetes, Hypertonus und KHK. Da wundert es einen nicht, dass diese Patienten auch öfter ein VHF bekommen haben.“

Vorhofflimmern bei vielen Patienten zunächst unbemerkt

Mehr als 33 Millionen Menschen leiden weltweit unter Vorhofflimmern und -flattern. Bei chronischem VHF ist das Schlaganfallrisiko um etwa das Dreifache erhöht. Es ist allgemein bekannt, dass VHF bei vielen Patienten zunächst unbemerkt bleibt. Perioperatives Vorhofflimmern wird oft als eine vorübergehende Reaktion des Körpers auf den physiologischen Stress gedeutet; das Langzeit-Risiko, danach einen Schlaganfall zu erleiden war allerdings bis dato unbekannt.


„Viele der Patienten mit perioperativem VHF hatten möglicherweise
schon früher einmal asymptomatisches VHF, das im Rahmen des perioperativen Stresses nun detektiert wurde.“
Prof. Dr. Joachim Röther

„Es ist wissenschaftlich dokumentiert, dass VHF zunächst mit seltenen Episoden beginnt – oft im Rahmen einer koronaren Herzkrankheit (KHK)“, erklärt Röther. „Viele der Patienten mit perioperativem VHF hatten möglicherweise schon früher einmal asymptomatisches VHF, das im Rahmen des perioperativen Stresses nun detektiert wurde. Es ist recht wahrscheinlich, dass einige dieser Patienten im Laufe der nächsten Monate oder Jahre paroxysmales VHF bekommen“, erläutert der Schlaganfallspezialist.

Ziel sei es, durch regelmäßige Holter-EKGs diejenigen Patienten herauszufiltern, bei denen das VHF auch jenseits der perioperativen Periode persistiert und somit als Risikofaktor für den ischämischen Schlaganfall weiter bestehen bleibt. Diese Patienten müssen dann ein orales Antikoagulanz einnehmen.

„Was sicherlich für die Studie spricht, ist die riesige Population von 1,7 Millionen Patienten als Datengrundlage“, kommentiert Röther. „Es bleiben jedoch viele Fragen offen, welche die Autoren auch aufgeführt haben. Eine wesentliche Limitierung der Studie ist, dass es keinerlei Informationen darüber gibt, wie viele Patienten nach dem Krankenhausaufenthalt VHF entwickelt haben", kritisiert der Neurologe.

Die relativ niedrige Rate von perioperativem VHF bei herzchirurgischen Eingriffen im Vergleich zu anderen Studien lässt die Studienautoren vermuten, dass die tatsächlichen Zahlen eventuell sogar höher liegen. Auch habe man antithrombotische Therapien, welche die Schlaganfallrate beeinflussen, aus Datenmangel nicht berücksichtigen können.

Referenzen

Referenzen

  1. Gialdini G, et al: JAMA 2014;312(6):616-622
    http://dx.doi.org/10.1001/jama.2014.9143
  2. Pressemitteilung des Journal of the American Medical Association (JAMA) vom 12. August 2014
    http://media.jamanetwork.com/news-item/experiencing-atrial-fibrillation-while-hospitalized-for-surgery-associated-with-increased-long-term-risk-of-stroke
  3. Tanawuttiwat T, et al: J AmColl Cardiol. 2014;63(15):1510-1519
    http://dx.doi.org/doi:10.1016/j.jacc.2013.11.046

Autoren und Interessenkonflikte

Sabine Wimmer-Kleikamp
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Röther J: Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

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