Die Zukunft der Medizin ist weiblich – aber noch nicht in Führungspositionen

Susanne Rytina | 13. August 2014

Autoren und Interessenkonflikte


Prof. Dr. Gabriele Kaczmarczyk

Die Feminisierung der Medizin setzt sich fort: Nirgendwo ist der Anteil der Hochschulabsolventinnen gemessen an ihrer Gesamtzahl so gestiegen wie im Bereich der Humanmedizin – 65% der Absolventen sind laut einer neuen Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes weiblich [1]. Mit möglichen Auswirkungen: „Es wäre denkbar und zu hoffen, dass die Familienfreundlichkeit der Arbeitgeber steigt, zumal in den Kliniken Ärztemangel herrscht“, sagt Prof. Dr. Gabriele Kaczmarczyk, Anästhesistin und Vizepräsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes. „Vielen Frauen ist noch gar nicht klar, dass der Zeitpunkt günstig ist, flexible Arbeitszeitmodelle einzufordern.“

Frauen punkten in der Versorgung und Männer mit Publikationen

Unterrepräsentiert sind Frauen jedoch nach wie vor in den Leitungsfunktionen: Nur 17% der Professuren sind in der Humanmedizin mit Frauen besetzt [1]. Und sogar nur 6% davon sind Lehrstuhlinhaberinnen, die eine Klinik leiten, schränkt Kaczmarczyk ein – der Rest verteile sich auf W2-Professuren und Juniorprofessuren. „Wir haben hier ein Gerechtigkeitsproblem, weil Frauen an den wichtigsten Stellen in der Medizin nicht mitentscheiden.“

„Vielen Frauen ist noch gar nicht klar, dass der Zeitpunkt günstig ist, flexible Arbeitszeitmodelle einzufordern.“
Prof. Dr. Gabriele Kaczmarczyk

Kaczmarczyk berichtet von Erfahrungen als ehemalige Frauenbeauftragte an der Charité in Berlin.  Dort seien gleich gut qualifizierte Frauen für Toppositionen nicht zum Zuge gekommen: „Da spielten plötzlich zum Teil absurde Argumente eine Rolle, zum Beispiel dass der männliche Bewerber ja immerhin etwas chinesisch könne, um Delegationen aus China zu empfangen“, so die Vizepräsidentin. Männer förderten eben gern Männer, weil sie ihnen wohl vertrauter seien.

Ein weiterer Punkt, warum Frauen-Karrieren in medizinischen Spitzenpositionen selten sind: „Frauen reiben sich in der Krankenversorgung auf, für die es keine Bonuspunkte gibt. Männer profilieren sich hingegen eher mit Bonuspunkten für Veröffentlichungen. Sie arbeiteten an ihren Habilitationen und kommen in ihren Karrieren voran.“ So lag der Anteil der Frauen mit Habilitationen in den Bereichen der Humanmedizin/Gesundheitswissenschaften 2013 nur bei 26% [2].

Frauenquote für Führungspositionen gefordert

„Wir haben hier ein Gerechtigkeitsproblem, weil Frauen an den wichtigsten Stellen
in der Medizin nicht mitentscheiden.“
Prof. Dr. Gabriele Kaczmarczyk

Weil die weibliche Zukunft der Medizin bislang vor allem auf Assistenzärztinnen-Ebene sichtbar wird, fordert der Deutsche Ärztinnenbund eine Frauenquote für Führungspositionen. Von der Zunahme von Ärztinnen profitiere langfristig auch die Patientenversorgung: Sie seien eher patientenzentriert und präventiv tätig. Zudem wird ihnen mehr Empathie und Beziehungsqualität zugesprochen [3].

Allerdings wird die „Feminisierung der Medizin“ von den Personalverantwortlichen in den Kliniken auch als Problem gesehen: Es entstehen Kosten durch Kinderbetreuungsangebote und viele Ärztinnen arbeiteten in Teilzeit, wodurch der Ärztemangel vergrößert wird [4].

Die weitverbreitete Formel, dass auf die Arbeitskraft von 2 Männern 3 Frauen kämen, sei jedoch durch nichts belegt, stellt Kaczmarczyk klar. „Die Feminisierung wird von den Männern dramatisiert, weil es vor allem für die Spitzenpositionen darum geht, Einfluss, Macht und Geld zu teilen“, sagt sie.

„Frauen
reiben sich in der Krankenversorgung auf, für die es keine Bonuspunkte gibt. Männer profilieren sich hingegen eher mit Bonuspunkten für Veröffentlichungen.“
Prof. Dr. Gabriele Kaczmarczyk

Sonderregelungen für Männer in der Chirurgie?

In der Männerdomäne Chirurgie findet man es offensichtlich nicht wünschenswert, dass sich viel mehr Frauen als früher bewerben. Hierfür möchte man die „Ungerechtigkeiten“ des Numerus clausus aus dem Weg räumen. So wurde beim vergangenen Chirurgen-Kongress bemängelt, dass der Chirurgie viele männliche Talente verloren gingen, weil sie diese Hürde nicht so leicht nehmen wie die weibliche Konkurrenz [5].

Jungen würden etwa in ihrer Schulzeit nur selten einen Notendurchschnitt von 1,0 bis 1,2 erreichen. „Das Auswahlverfahren berücksichtigt handwerklich-manuelle Begabungen nicht, auf die es in der Chirurgie auch ankommt“, hieß es in einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH). Deshalb müsse ein Teil der Zulassung unabhängig vom Numerus-clausus-Prinzip erfolgen.


Prof. Dr. Katja Schlosser

Der Vorstoß blieb nicht ohne Kritik von weiblicher Seite mit der Frage, warum sich Chirurgen in den vielen Jahrzehnten der männlichen Dominanz eigentlich nicht mit genau dieser Vehemenz für mehr Frauen eingesetzt hätten [6]. „Sicherlich kann man hinterfragen, ob Einser-Schüler die besseren Ärzte sind. Dies gilt aber sowohl für Männer als auch für Frauen“, meint die Viszeral- und Gefäßchirurgin Prof. Dr. Katja Schlosser, stellvertretende Chefärztin der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie Agaplesion, Evangelisches Krankenhaus in Gießen.

2013 waren 35.609 Chirurgen bei der Ärztekammer registriert und lediglich 7.356 Chirurginnen – es ist mit Abstand das Fach mit dem geringsten Frauenanteil [7]. Der Grund: Chirurgie gilt als familienfeindlich, extrem hierarchisch und kräftezehrend. Grundsätzlich seien jedoch auch in der Chirurgie flexible Arbeitszeitmodelle und die Teilbarkeit von Stellen machbar, meint Schlosser. Es erleichtere die Planung sogar, wenn die Dienste auf mehrere Personen verteilt werden könnten. 

In Männerdomänen am besten die Sprache der Männer lernen

Schlosser möchte mehr Frauen Mut zusprechen, sich etwas in der Chirurgie zuzutrauen. Sie engagiert sich im Berufsverband Deutscher Chirurgen (BDC) und hat das Chirurginnen-Netzwerk beim BDC und auf sozialen Netzwerken initiiert. „Jüngeren Kolleginnen fehlt oft ein weibliches Rollenmodell“, meint Schlosser. Sie rät Frauen in einer Männerdomäne, die Sprache der Männer zu lernen, ohne zu befürchten, die eigene Persönlichkeit verlieren zu müssen.

„Die Feminisierung wird von den Männern dramatisiert, weil
es vor allem für die Spitzenpositionen darum geht, Einfluss, Macht und Geld
zu teilen.“
Prof. Dr. Gabriele Kaczmarczyk

Wenn Frauen ernst genommen werden wollen in einer klassischen Männerdisziplin, sollten sie ihre Selbstzweifel eher für sich behalten oder diese mit anderen Kolleginnen besprechen, müssten gegenüber dem anderen Geschlecht direkt kommunizieren, Klartext reden, Durchsetzungskraft zeigen und klar sagen, was sie haben wollen, auch, wenn es um Jobs gehe.

Von einem „Nein“ sollten sie sich nicht beeindrucken lassen und hartnäckig bleiben, ebenso wie Männer, die dann meist in regelmäßigen Abständen beim Vorgesetzten vorstellig werden, um ihre Ziele zu erreichen. Wichtig findet sie jedoch, dass es gemischte Teams gibt. Sie ist selbst Teil einer gemischten Führungs-Doppelspitze: „Das Team profitiert davon, weil wir mit unseren jeweiligen Stärken die Bedürfnisse von allen befriedigen können.“

Leider meinten Chirurginnen oft, wegen des Berufs auf Kinder verzichten zu müssen. Dies findet Schlosser, die selbst Mutter ist, schade. „Kinder bleiben nicht immer zwei Jahre alt, sie werden größer. Und mit etwas Anstrengung kann man das hinbekommen. Wenn man die Kinderbetreuung gut organisiert, sich mit anderen vernetzt und auch einen Partner hat, der mitzieht, lässt sich dieser schöne Beruf auch mit einer Familie vereinbaren.“

Bei den Ärztekammern registrierte Ärztinnen und Ärzte mit Schwerpunktbezeichnung

Quelle: Gesundheitsberichterstattung des Bundes (gbe-bund.de)

Referenzen

Referenzen

  1. Bundesamt für Statistik: Broschüre „Auf dem Weg zur Gleichstellung?“, 2014.
    https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressekonferenzen/2014/Gleichstellung/begleitheft_Gleichstellung_2014.pdf?__blob=publicationFile
  2. Bundesamt für Statistik: Pressemitteilung „Zahl der Habilitationen im Jahr 2012 um 5% gestiegen“, 19. Juni 2013
    https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2013/06/PD13_203_213.html
  3. Wildner M: Gesundheitswesen.  2014;76(07):404-405
    http://dx.doi.org/10.1055/s-0034-1384538
  4. von Eiff W: Arbeitsplatz Krankenhaus. Studie zu den Geschäftserwartungen von Insitutionen der Gesundheitswirtschaft. 2014
    http://www.hhl.de/studie-arbeitsplatz-krankenhaus
  5. Deutsche Gesellschaft für Chirurgie: Pressemitteilung: „Weniger Gewicht für den Numerus clausus“, 131. Kongress der DGCH, März 2014
    https://www.thieme.de/cps/rde/xchg/SID-23AD7C86-7951B0B2/dgch/xsl/hs.xsl/-/55.htm
  6. Seiffert J, Schlosser K: Dtsch Arztebl., 2014; 111(21): A-947 / B-809
    http://www.aerzteblatt.de/archiv/160258/Aerztliche-Ausbildung-Diskriminierend
  7. Gesundheitsberichterstattung des Bundes: Bei den Ärztekammern registrierte Ärztinnen und Ärzte mit Schwerpunktbezeichnung
    www.gbe-bund.de

Autoren und Interessenkonflikte

Susanne Rytina
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Kaczmarczyk G, Schlosser K: Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

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