
Wann haben Sie das letzte Mal den Impfschutz ihrer Patienten überprüft? Bei den Kindern sind die Impfquoten in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen, aber bei den jungen Erwachsenen treten jetzt die Impfsünden der Vergangenheit zutage. Medscape Deutschland sprach darüber mit Dr. Anette Siedler, stellvertretende Leiterin des Fachgebiets Impfprävention am Robert-Koch-Institut in Berlin.
Medscape Deutschland: Letztes Jahr ist die Zahl der Masern-Erkrankungen bundesweit sprunghaft angestiegen – von 165 Fällen im Vorjahr auf 1773 in 2013. Sind die Deutschen impfmüde geworden?
Dr. Siedler: Ganz im Gegenteil, es wird mehr geimpft, als noch vor einigen Jahren. Die Schuleinganguntersuchungen belegen, dass bei den meisten Erkrankungen eine sehr hohe Impfquote von 90-95% vorliegt. Aber das gilt eben nur für die Kinder. Besonders betroffen von den Masern-Erkrankungen waren Jugendliche und junge Erwachsene. Hier kommen die Impfsünden der Vergangenheit zutage.
Medscape Deutschland: Wie steht es denn um den Impfschutz der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland?
Dr. Siedler: Da gibt es noch Verbesserungsbedarf. Denn wer als Kind nicht geimpft wurde, holt das später meist nicht nach. In der Kindheit gibt es eine dichte Reihe von Vorsorgeuntersuchungen, bei denen Impfthemen immer wieder zur Sprache kommen. Doch Jugendliche und junge Erwachsene gehen nur zum Arzt, wenn sie wirklich ernsthaft krank sind – und dann ist natürlich nicht der richtige Zeitpunkt zu impfen. Dennoch sollten Ärzte das Thema Impfschutz wann immer möglich ansprechen und sich auch einmal den Impfpass des Patienten zeigen lassen.
vor einigen Jahren.“
Medscape Deutschland: Hier sind also die Hausärzte gefragt?
Dr. Siedler: Ja, Ärzte haben hier eine ganz wichtige Funktion. Im Alltag des niedergelassenen Arztes kann das schon einmal in den Hintergrund geraten, insbesondere wenn sehr viele Akutpatienten in die Praxis kommen. Bei Erwachsenen steht häufig die Akutversorgung im Vordergrund, da muss das Thema Impfprävention noch gestärkt werden. Deshalb ist es wichtig, das Thema Impfen immer im Gespräch zu halten, nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch bei der Ärzteschaft.
Medscape Deutschland: Und im öffentlichen Bewusstsein ist das Thema Impfen angekommen?
Dr. Siedler: Seit 2001 werden Daten zum Impfstatus der Bevölkerung in allen Bundesländern regelmäßig für die Schulanfänger erhoben. Diese Schuleingangsuntersuchungen zeigen, dass die Impfbereitschaft in Deutschland sich auf einem hohen Niveau bewegt. Selbst bei den Impfungen, die erst vor etwa 10 Jahren eingeführt wurden – wie 2004 die Varizellen-Impfung und 2006 die Impfung gegen Pneumokokken und Meningokokken C – steigen die Impfquoten kontinuierlich an.
Medscape Deutschland: Heißt das, bei Kindern muss nichts mehr getan werden?
nicht nach.“
Dr. Siedler: Nein, auch bei Kindern gibt es noch Verbesserungsbedarf, insbesondere bei der zweiten Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln. Das empfohlene Impfalter für die zweite Impfung von 15-23 Monaten wird hier häufig nicht eingehalten. Im Alter von 2 Jahren haben erst drei Viertel der Kinder die zweite Impfung erhalten. Bis zur Einschulung steigt diese Quote zwar noch auf über 90%, doch die für die Elimination angestrebte Impfquote wurde bislang nur in 2 Bundesländern, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, erreicht.
Medscape Deutschland: Gibt es was die Durchimpfung angeht also Unterschiede zwischen den Bundesländern?
Dr. Siedler: Ja, traditionell gibt es bei den einzelnen Impfungen durchaus noch große regionale Unterschiede, meist ein Nord-Süd- und ein Ost-Westgefälle. In der Regel stehen die östlichen Bundesländer etwas besser da als die westlichen und Bayern und Baden-Württemberg haben traditionell vor allem bei Masern, Mumps und Röteln Nachholbedarf. Der Impfschutz in Deutschland wird besser, aber er ist noch nicht ausreichend, sonst hätten wir nicht so viele Erkrankungsfälle.
Medscape Deutschland: Die Impfungen im Kindesalter wirken lange, aber einige müssen später aufgefrischt werden.
Dr. Siedler: Ja, eine ganze Reihe von Impfungen sollte im Erwachsenenalter aufgefrischt werden, Tetanus, Diphtherie und einmal die Keuchhusten-Impfung. Wie häufig diese Auffrischungen stattfinden lässt sich kaum überprüfen, hier fehlen uns einfach die Daten. Seit Abschaffung der Pockenimpfung gibt es in Deutschland keine Pflichtimpfungen mehr. Es steht jedem frei, sich und seine Kinder impfen zu lassen oder nicht. Deshalb gibt es auch wenige Möglichkeiten, solche Daten auf Bevölkerungseben zu erheben.
Medscape Deutschland: Würden Sie empfehlen, im Kindesalter verpasste Impfungen als Erwachsener nachzuholen?
Dr. Siedler: Unbedingt, man kann und soll Impfungen als Erwachsener nachholen. Doch es wird natürlich empfohlen, sie so rechtzeitig wie möglich durchzuführen, denn Kinder sind für verschiedene Erkrankungen besonders gefährdet und wenn Erwachsene erkranken ist, das Risiko für Komplikationen höher.
Medscape Deutschland: Einige Eltern sind der Meinung, dass von den Infektionskrankheiten keine Gefahr mehr ausgeht, weil sie doch praktisch ausgerottet seien.
soll Impfungen
als Erwachsener nachholen.“
Dr. Siedler: Von einer Elimination der meisten Infektionskrankheiten sind wir noch ein Stück entfernt. Das sieht man an den immer wieder auftretenden Erkrankungsfällen. Wenn jeder auf Impfungen verzichten würde, würde der Impfschutz dramatisch zurückgehen und die Erkrankung wieder auf dem Vormarsch sein. Und die Ungeimpften erkranken dann natürlich als erstes.
Medscape Deutschland: Impfgegner warnen immer wieder vor potenziellen Nebenwirkungen und Folgeschäden von Impfungen.
Dr. Siedler: Die Nebenwirkungen von Impfstoffen stehen in keiner Relation zu den Risiken die von der wirklichen Erkrankung ausgehen. Bei Impfungen gilt es zudem, an den altruistischen Gedanken zu appellieren. Wenn ich meine Kind impfen lasse, dann sorge ich auch dafür, dass zum Beispiel der Säugling des Nachbarn, der noch nicht geimpft werden kann, aber unter bestimmten Erkrankungen besonders leiden würde, auch sicher geschützt wird, weil seine Umgebung über einen guten Schutz verfügt. Man sollte immer daran denken, dass man mit der eigenen Impfung auch andere Menschen schützt, die nicht geimpft werden können.