So umstritten es auch ist: Das Screening mittels Prostata-Spezifischem Antigen (PSA) senkt die Sterblichkeit an Prostatakrebs signifikant. Das jetzt im Lancet publizierte Update der European Randomised Study of Screening for Prostate Cancer (ERSPC) zeigt: Bei Männern, die in einem Zeitraum von 13 Jahren der Einladung zum Screening gefolgt waren und bei denen ein Prostatakarzinom (PCA) entdeckt wurde, konnte das relative Risiko, am Karzinom zu sterben, um 27% gesenkt werden [1].
„Die Zahl ist erstmal beeindruckend und zeigt auch eine höhere Effektivität als das Screening für das Mammakarzinom“, kommentiert Prof. Dr. Markus Graefen, Ärztlicher Leiter des Prostatakrebszentrums Martini-Klinik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, im Gespräch mit Medscape Deutschland die Studienergebnisse.
In die ERSPC-Studie unter der Leitung von Prof. Dr. Fritz Schröder, Urologe an der Erasmus Universität in Rotterdam, wurden bis 2003 in 7 europäischen Ländern mehr als 160.000 Männer im Alter von 55 bis 69 Jahren aufgenommen. Die Männer wurden dann zufällig entweder der Screeninggruppe (72.891) oder der Kontrollgruppe (89.353) zugeteilt. Der Screeninggruppe bot man in der Regel alle 4 Jahre kostenlos zumindest den PSA-Test an, während die Kontrollgruppe kein solches Angebot erhielt. Primärer Endpunkt war die karzinombedingte Mortalität.
„Konkret mussten
781 Männer eingeladen und
27 PCA-Diagnosen gestellt werden,
um einen Tod zu verhindern.“
Nach den Daten von 13 Jahren Nachbeobachtungszeit wurden 7.408 PCA-Fälle in der Interventionsgruppe und 6.107 PCA-Fälle in der Kontrollgruppe diagnostiziert. Die Inzidenz in der Kontrollgruppe war im Vergleich zur Inzidenz in der Screeninggruppe nach 9 Jahren um den Faktor 1,91 höher (95%-Konfidenzintervall: 1,83 bis 1,99), nach 11 Jahren betrug das Verhältnis 1,66 (95%-KI: 1,60 bis 1,73) und nach 13 Jahren 1,57 (95%-KI: 1,51 bis 1,62). 2009 zeigten die 9-Jahres-Ergebnisse eine Senkung der krebsbedingten Sterblichkeit um 20%, die 11-Jahres-Ergebnisse belegten eine Reduktion um 21%.
27 PCA-Diagnosen, um einen karzinombedingten Tod zu verhindern
„In absoluten Zahlen sieht das dann anders aus, da man viele Männer zum PSA-Test auffordern muss, um in dem Zeitraum einen Tod durch Prostatakrebs zu vermeiden“, erklärt Graefen. „Konkret mussten 781 Männer eingeladen und 27 PCA-Diagnosen gestellt werden, um einen Tod zu verhindern“, so Graefen weiter. Wobei „Diagnose-Stellen“ nicht mit „Therapie“ gleich zu setzen sei, da bei gescreenten Patienten die Diagnose häufig früh gestellt werde, dann aber zunächst eine aktive Überwachung des PCA erfolge.
„In unserem Update bestätigt ERSPC eine substanzielle Reduktion der PCA-Mortalität, die dem PSA-Screening zugeschrieben werden kann, mit einem steigenden absoluten Effekt nach 13 Jahren verglichen mit den Ergebnissen nach neun und elf Jahren“, schreiben die Studienautoren.
Ein Effekt, der sich mit zunehmender Nachbeobachtungszeit fortsetzen dürfte. „Die Studie läuft zwar 13 Jahre, im Mittel ist die Diagnose PCA bei den gescreenten Männern aber erst seit 6,4. Jahren bekannt. Ein längeres Nachsorgeintervall wird dann wahrscheinlich eine höhere Effektivität zeigen“, vermutet Graefen.
der Männer zum derzeitigen Zeitpunkt überdiagnostiziert wurden, die womöglich nie
vom Tumor bedroht worden wären.“
Keine Empfehlung für ein PSA-Reihenscreening
„Trotz der Ergebnisse sollte die weitere Quantifizierung von Schäden und ihrer Reduktion als Voraussetzung für die Einführung eines populationsbasierten (PSA)Screenings betrachtet werden“, betont Studienleiter Schröder und hebt hervor, dass ein PSA-Reihenscreening generell nach wie vor nicht empfohlen werden kann.
Zusammenfassend bleibe das Risiko der Überdiagnose bestehen und werde auch nicht mit einem längeren Nachsorgeintervall ganz verschwinden, betont Graefen. „Es wurde geschätzt, dass 41 Prozent der Männer zum derzeitigen Zeitpunkt überdiagnostiziert wurden, die womöglich nie vom Tumor bedroht worden wären“, erklärt Graefen.
Den Aspekt der Überdiagnose heben auch Dr. Ian M. Thompson vom Cancer Therapy and Research Center der University of Texas in San Antonio und Dr. Catherine M. Tangen vom Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle in ihrem ebenfalls im Lancet erschienenen Kommentar hervor: „Trotz der Ergebnisse ist das so praktizierte PSA-Screening mangelhaft. Es besteht eben ein großes Risiko, dass dabei Karzinome entdeckt werden. die nie irgendwelche Symptome hervorgerufen, geschweige denn zum Tod geführt hätten.“ [2]
„Das Fazit der Autoren teile ich voll und ganz: Der Mann, der eine Vorsorgeuntersuchung anstrebt, soll mitentscheiden, ob er einen PSA-Test machen möchte oder nicht, und er muss entsprechend aufgeklärt werden, damit er eine informierte Entscheidung treffen kann“, sagt Graefen. Ein flächendeckendes Screening „mit der Gießkanne“ halte er für nicht gerechtfertigt. „Das ist auch der Standpunkt der Deutschen Gesellschaft für Urologie“, schließt Graefen.