Achtung Sommer: Für Zappelphilipps steigt das Risiko für Verkehrsunfälle

Ute Eppinger | 7. August 2014

Autoren und Interessenkonflikte


Dr. Klaus Rodens

Sonne, Wärme, Wasser, draußen sein – für viele ist der Sommer die schönste Zeit des Jahres. Für die Eltern kann er sich hingegen auch als die anstrengendste Jahreszeit entpuppen. In der Natur lauern Giftpflanzen und Insektenstiche, in der Stadt Verkehrsunfälle und überall die Gefahr eines schmerzhaften Sonnenbrandes. Dr. Klaus Rodens, Kinder-und Jugendarzt in Langenau im Alb-Donau-Kreis, erklärt, wie Kinder gut durch den Sommer kommen und wo Pädiater zur Vorsicht raten sollten.

Medscape Deutschland: Suchen im Sommer weniger Patienten die Praxis auf als zu anderen Jahreszeiten?

Dr. Rodens: Ja, das kann man so sagen. Im Vergleich zu den Wintermonaten sind es zwischen 15 und 20 Prozent weniger Patienten. Im Winter dominieren die Infekte der Atemwege. Im Sommer gibt es mehr Hautprobleme – durch Sonneneinwirkung, aber auch bei Infekten. Zurzeit grassiert zum Beispiel das Hand-Fuß-Mund-Virus-Exanthem. Der ist hochansteckend und deshalb oft epidemisch. Das feucht-warme Wetter begünstigt solche Schmier- oder Tröpfcheninfektionen. Ansonsten spielen auch Allergien infolge von Pollen oder Insektenstichen eine Rolle.

Medscape Deutschland: Im Sommer fahren Kinder auch besonders gerne Fahrrad oder skaten. Dann müsste es wohl auch mehr Unfälle als zu anderen Jahreszeiten geben, oder?

Dr. Rodens: Ja, im Sommer verunglücken deutlich mehr Kinder als im Winter. Zieht man die Unfallstatistik für den Straßenverkehr heran, findet sich die meisten tödlich verlaufenden Unfälle und die meisten leicht- und schwerverletzten Kinder und Jugendlichen im Juli.

Insgesamt ist die Zahl der Opfer durch Verkehrsunfälle aber rückläufig. Laut statistischem Bundesamt kamen im Jahr 1971 auf 100.000 Einwohner 15,3 tödlich verunglückte Kinder. Im Jahr 2007 waren es 1,3 Kinder. Es hat also in den letzten 40 Jahren einen deutlichen Rückgang gegeben, auf unter 10 Prozent der damaligen Opfer. 1970/71 war Deutschland in Europa, was die Zahl der verunglückten Kinder im Straßenverkehr angeht, noch trauriger Spitzenreiter. Heute liegen wir immerhin im Mittelfeld.

Medscape Deutschland: Aber nicht jedes Kind wird gleich stark für Verkehrsunfälle gefährdet sein. Was sind die größten Risiken in jeder Altersgruppe?

Dr. Rodens: Bei Säuglingen und Kleinstkindern dominieren Schädel-Hirn-Traumata durch Unfälle im Haushalt, etwa durch Stürze vom Wickeltisch. Bei Kleinkindern spielt Ertrinken eine große Rolle. Die meisten davon passieren aber nicht in tiefem Wasser, sondern in Gewässern, die nicht tiefer als 30 Zentimeter sind.

„Das feucht-warme Wetter begünstigt Schmier- oder Tröpfcheninfektionen.“

Bei Kindergarten- und Schulkindern sind es Unfälle im Straßenverkehr, bei den Jugendlichen spielen Verkehrsunfälle, sogenannte „Transportmittelunfälle“, und Ertrinken eine große Rolle. Bei den 5- bis 15-Jährigen ist Ertrinken die zweithäufigste, nicht natürliche Todesursache – direkt nach den Verkehrsunfällen.

Auch die Gefahrenorte sind abhängig vom Alter. Säuglinge verunglücken am häufigsten in der Badewanne, bei Kindern im Alter von 1 bis 4 Jahren droht die größte Gefahr beim Spielen am Wasser. Ab dem Grundschulalter passieren die meisten Ertrinkungsunfälle in Schwimmbädern. Für Kinder ab 10 Jahren sind das Meer oder Seen besondere Gefahrenpunkte.

Auch wenn ein Kind nur „beinahe" ertrinkt, kann es innerhalb kürzester Zeit durch den Sauerstoffmangel bleibende schwerste Behinderungen erleiden. Experten gehen davon aus, dass auf jeden tödlichen Ertrinkungsunfall mindestens fünf- bis zehnmal so viele schwer verletzte Kinder kommen.

Medscape Deutschland: Wie hoch ist denn das Risiko für trockenes Ertrinken einzustufen?

Dr. Rodens: Zur Höhe des Risikos liegen uns keine konkreten Zahlen vor. Das trockene Ertrinken ist eigentlich ein Ersticken, und das ist vermutlich nicht so selten. Auch trockenes Ertrinken passiert im Wasser, so dass erst durch eine Obduktion geklärt werden kann, ob Wasser die Lunge erreicht hat – oder ob es sich in Wahrheit um Ersticken handelte.

Neben mechanischen Reizen bei einer In- bzw. Extubation begünstigen Inhalationsnoxen wie Aerosole einen Laryngospasmus. Bei Tauchern sind dies insbesondere Wassertropfen, bei Säuglingen und Kleinkindern ätherische Öle. Auch durch passives Rauchen geschädigte Schleimhäute, große Polypen oder große Mandeln gelten als Risikofaktoren. Allergien sind ebenfalls Prädilektionsfaktoren für trockenes Ertrinken.

Medscape Deutschland: Worauf sollten Eltern mit chronisch kranken Kindern im Sommer besonders achten?

„Die meisten
Unfälle durch Ertrinken passieren nicht in tiefem Wasser, sondern
in Gewässern,
die nicht tiefer als
30 Zentimeter sind.“

Dr. Rodens: Ich greife mal drei Gruppen exemplarisch heraus: Kinder, die an der Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) leiden, also klassische Zappelphilipps, sind im Sommer stark durch Unfälle im Straßenverkehr gefährdet. Kinder mit ADHS sind oft sehr risikobereit, fahren beispielsweise ohne Helm, unvorsichtig oder zu schnell. Auch Ertrinkungsunfälle spielen eine Rolle. Kinder mit ADHS sind deutlich stärker und häufiger in Unfälle verwickelt als Kinder ohne ADHS.

Kinder, die an Asthma leiden, tragen ein höheres Risiko für trockenes Ertrinken und weisen eine bronchiale Überempfindlichkeit auf. An heißen Tagen belastet ein hoher Ozonwert noch zusätzlich. Bei Diabetikern spielt der Flüssigkeitshaushalt im Sommer eine große Rolle. Wird zu wenig getrunken und kommt dann noch Stress hinzu, kann das den Blutzuckerspiegel gehörig durcheinander bringen. Eine extreme Hitzeperiode kann zu starken Schwankungen des Blutzuckerspiegels führen.

Medscape Deutschland: Worauf sollte beim Schwimmbadbesuch besonders geachtet werden?

Dr. Rodens: Kinder, die noch nicht schwimmen können,  müssen immer beaufsichtigt werden. Das gilt auch, wenn sie Schwimmflügel tragen. Aber viele Eltern halten sich nicht daran. Außerdem sollten Kinder nicht mit vollem Bauch ins Wasser gehen. Das kann – je nach Veranlagung und Wetter – zu Kreislaufreaktionen mit Durchblutungsstörungen im Gehirn führen. So kann eine kurze Ohnmacht entstehen, was schlimmstenfalls im Ertrinken endet. Speziell für Seen und Teiche gilt: Niemals hineinspringen, wenn man nicht weiß, wie tief das Wasser ist. Das kann zu Querschnitts- und Kopfverletzungen führen.

Medscape Deutschland: Werden Kinder ausreichend vor der Sonne geschützt, oder wird die Gefahr von Sonnenbrand und Hitzschlag eher unterschätzt?

„Kinder mit ADHS sind deutlich stärker und häufiger in Unfälle verwickelt als Kinder ohne ADHS.“

Dr. Rodens: Ja, die Gefahr eines Sonnenbrandes oder auch Hitzschlages wird noch ganz oft unterschätzt. Es gilt: Je jünger desto stärker muss der Sonnenschutz sein. Für Kinder sollte so mindestens ein Lichtschutzfaktor von mindestens 30 bis 40 verwendet werden – doch darauf wird oft nicht geachtet.

Von Sonnenbrand oder Hitzschlag sind durch die Bank kleinere Kinder betroffen, etwa ab Krabbelalter oder Kindergarten. Bei Säuglingen wird noch auf eine Kopfbedeckung und auf Schatten geachtet. Aber wenn die Kinder anfangen, sich zu bewegen und herumzukrabbeln oder zu laufen, nimmt anscheinend das Bewusstsein ab, dass auch diese Altersgruppe viel stärker geschützt werden müsste. Manche Eltern sind vielleicht auch zu bequem.

Medscape Deutschland: Sollten besonders Kinder die Mittagshitze meiden?

Dr. Rodens: Auf jeden Fall. Aber die kurzfristigen und langfristigen Folgen der UV-Strahlung, also Sonnenbrand und ein langfristig erhöhtes Risiko für Hautkrebs, sind noch nicht ganz im Bewusstsein vieler Eltern verankert. Da gibt es noch Informations-Arbeit zu leisten. Das sieht man zum Beispiel am Urlaubsverhalten in südlichen Ländern. Die Einheimischen meiden die Mittagshitze und bleiben im kühlen und schattigen Haus. Viele deutsche Touristen hingegen legen sich in der schlimmsten Hitze in die Sonne.

Medscape Deutschland: Was hilft bei Mücken-oder Insektenstichen und wann sollten Patienten sich beim Hausarzt melden?

Dr. Rodens: Für die meisten Stiche gilt: harmlos, aber gemein. Der Arzt sollte aber einen Blick darauf werfen, wenn sich Zeichen einer Entzündung zeigen. Liegt eine starke Entzündung vor, kommt auch mal ein Antibiotikum infrage. Bei Stichen durch Bienen, Wespen oder Hornissen können allergische Reaktionen wie Atemprobleme und Hautreaktionen auftreten.

Übrigens ist der Stich einer Biene nicht grundsätzlich harmloser als der einer Wespe – beide können sehr heftig sein. Hat man nach Insektenstichen keine antiallergische oder eine milde Kortison-Creme zur Hand, sollte man sofort und ausgiebig kühlen. Wenn nichts anderes verfügbar ist, hilft auch eine Zwiebelhälfte, die desinfiziert und wirkt entzündungshemmend. Prävention bleibt aber die beste Option: deshalb am besten Fliegengitter oder Netze an den Fenstern befestigen.

„Für die meisten Stiche gilt: harmlos, aber gemein.“

Medscape Deutschland: Sind Zecken eine unterschätzte Gefahr?

Dr Rodens: Ja und nein. Inzwischen lösen Zecken ja fast schon archaische Ängste aus. Die FSME-Impfung in den Risikogebieten ist sinnvoll, allerdings würde ich erst Kinder ab drei Jahren impfen, nicht ab einem Jahr. Bedenken sollte man auch: Eine FSME verläuft bei Erwachsenen schlimmer als bei Kindern. Wenn man also in einem Risikogebiet wohnt und überlegt, sein Kind impfen zu lassen, sollte man sich selbst auch impfen lassen.

Die Borreliose ist ein Chamäleon und kann viele Symptome hervorrufen. Nur im Frühstadium zeigt sich die charakteristische Wanderröte. Über einen Zeitraum von 2 bis 3 Wochen lässt sich die Borreliose dann gut antibiotisch behandeln. Auch die Behandlung einer Lyme-Arthritis im Spätstadium erzielt noch gute Erfolge, sie dauert allerdings länger.

Medscape Deutschland: Sollten Kinder im Sommer mehr barfuß laufen?

Dr. Rodens: Für die Füße und Beine als Muskeltraining ist barfuß laufen klasse. Aufpassen sollte man allerdings beim barfuß laufen im Gras, damit man nicht in eine Wespe tritt. Auch Verletzungen durch spitze Steine, Injektionsnadeln, Holzsplitter, Dosen, Scherben und scharfe Kanten sind eine Gefahr. Man sollte sich deshalb überlegen, wo Barfußlaufen gefahrlos möglich ist. Selbstverständlich sollte jedes Kind, das einem Verletzungsrisiko ausgesetzt ist, gegen Tetanus geimpft sein.

Medscape Deutschland: Wie steht es um Giftpflanzen oder giftige Beeren?

Dr. Rodens: Schwere Vergiftungen mit Pflanzen kommen selten vor. In den meisten Fällen treten nach dem Verzehr von Früchten, Blättern oder Blüten entweder kaum Symptome oder gelegentlich Übelkeit auf. Von den Beschwerden kann man aber nur in Ausnahmefällen auf die Art der gegessenen Pflanze schließen. Das Spektrum der Beschwerden reicht von Erbrechen und Durchfall, über Herzrhythmusstörungen bis zu Krämpfen und Bewusstlosigkeit.

„Besonders giftige Pflanzen sind die Engelstrompete, Dieffenbachia,
Blauer Eisenhut, Maiglöckchen und Tollkirsche.“

Besonders giftige Pflanzen sind die Engelstrompete, Dieffenbachia, Blauer Eisenhut, Maiglöckchen und Tollkirsche. Giftpflanzen sind aber nicht nur in der Wildnis gefährlich für Kinder. Häufiger als vermutet findet man giftige Pflanzen an Spielplätzen oder im Umkreis von Kindergärten. Kleine Kinder fühlen sich von den leuchtenden Farben angezogen. Kommt es zu Vergiftungen durch Pflanzen, dann passiert das eher auf Spielplätzen oder in Kindergärten, im eigenen Garten passt man eher auf.

Sind die Kinder dann in der Schule, sind es weniger die Pflanzen als vielmehr die Beeren, die probiert werden. Die Kinder trinken zu lassen ist gut, aber man sollte keinesfalls das Erbrechen fördern. Außerdem sollten Patienten dazu ermuntert werden, giftige Pflanze zum Arzt oder in die Klinik mitzubringen. Dann lassen sich leichter Rückschlüsse daraus ziehen, womit sich das Kind vergiftet hat. Bei den Jugendlichen kommt dann noch ein anderer Aspekt hinzu: Die nutzen die Blüten der alkaloidhaltigen Engelstrompete für Joints, die Blüten wirken halluzinogen.

Medscape Deutschland: Gibt es noch weitere Gefahren?

Dr. Rodens: Ein wichtiger Punkt ist noch die Dehydration: Man sollte darauf achten, dass vor allem kleine Kinder genügend trinken. Beim Grillen gibt es außerdem die Gefahr von Verbrennungen. Damit ist nicht nur das Anfassen des Grills oder das Anfassen noch heißer Holzkohle gemeint. Besonders gefährlich ist es, Spiritus zum Anzünden zu verwenden, denn das Luft-Dunstgemisch ist extrem brennbar. Das kann zu schlimmsten Verbrennungen führen und ist jeden Sommer ein Thema, da Kinder oft nahe am Grill stehen. Ein weiterer Punkt sind auf den Boden geworfene Zigarettenkippen. Kleine Kinder können hineintreten und sich verbrennen, oder aber sie nehmen die nikotinhaltigen Kippen in den Mund.

Medscape Deutschland: Herr Dr. Rodens, wir bedanken uns ganz herzlich für das Gespräch.

Autoren und Interessenkonflikte

Ute Eppinger
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Rodens K: Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

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