Hypertonie in der Mitte des Lebens – kognitive Defizite im Alter

Andrea Wille | 7. August 2014

Autoren und Interessenkonflikte

Bluthochdruck in den mittleren Lebensjahren ist offenbar auch ein Risikofaktor für eine fortschreitende kognitive Beeinträchtigung im höheren Alter. Eine kürzlich in JAMA Neurology veröffentlichte Studie von Dr. Rebecca Gottesman und Kollegen liefert damit zusätzliche  Evidenz für diesen bereits früher vermuteten Zusammenhang  [1]. Über einen Beobachtungszeitraum von 20 Jahren wurden hierzu Daten zu kognitiven Fähigkeiten der „Atherosclerosis Risk in Communities (ARIC)“ Studie ausgewertet.

Bereits vorangegangene Studien zeigen, dass Bluthochdruck das Risiko für kognitiven Störungen oder Demenz erhöht. So berichtete etwa die Honolulu-Asia Aging Studie für Patienten mit einem systolischen Blutdruck über 160 mmHg in mittlerem Alter ein 13-fach erhöhtes Risiko später an Demenz zu erkranken [2].


Dr. Matthias Endres

In der aktuellen ARIC Neurocognitive Studie ging es jedoch um allgemeinere Auswirkungen auf die Hirnleistung: „Der Endpunkt ist nicht Demenz sondern die kognitiven Fähigkeiten. Somit wurde das gesamte Spektrum kognitiver Fähigkeiten erfasst, von der normalen Funktion über die ‚Altersvergesslichkeit’ bis hin zur Demenz“, erklärt Prof. Dr. Matthias Endres, Direktor der Klinik für Neurologie an der Charité Berlin und Vorstand der Deutschen Schlaganfallgesellschaft (DSG) und des Centrums für Schlaganfallforschung Berlin (CSB), gegenüber Medscape Deutschland.

„Die aktuelle Studie unterstützt uns in der Haltung, dass man bei einem Bluthochdruck in mittlerem Alter konsequenter und früher behandeln sollte“, resümiert Endres. „Zunächst geht es in der Therapie von Hypertonie um das Verhindern von Herzinfarkt, Schlaganfall und vaskulärem Tod. Dennoch: Auch wenn die Studie keine Leitlinien-Evidenz wie beispielsweise eine Behandlungsstudie liefert, gibt sie wertvolle Einblicke in den Zusammenhang von Bluthochdruck im mittleren Alter und kognitiver Beeinträchtigung viele Jahre später im höherem Alter. Dies könnte im Patientengespräch ein weiteres Argument für die Therapie mit Blutdrucksenkern sein.“

Mehr als 13.000 Studienteilnehmer über 20 Jahre verfolgt

Im Zuge der ARIC Neurocognitive Studie wurden von 1986 bis 1990 aus 4 US-amerikanischen Gemeinden rund 13.400 Studienteilnehmer zwischen 45 und 64 Jahren für die Studie ausgewählt. Der Nachbeobachtungszeitraum betrug 20 Jahre.

„Die aktuelle Studie unterstützt uns in der Haltung, dass man bei einem Bluthochdruck in mittlerem Alter konsequenter und früher behandeln sollte.“
Prof. Dr. Matthias Endres

Für die aktuelle Studie wurden 3 kognitive Test während 3 Terminen (1990 bis1992, 1996 bis 1998 und 2011 bis 2013) durchgeführt: Der Delayed Word Recall Test (Kurzzeit- und verbales Gedächtnis), der Digit Symbol Substitution Test (exekutive Funktion und selektive Aufmerksamkeit) sowie der Word Fluency Test (exekutive Funktion und Ausdrucksfähigkeit). Hierbei wurden jeweils die mittleren z-Werte bestimmt und daraus ein globaler kognitiver z-Wert ermittelt. Der Digit Symbol Substitution Test wird üblicherweise verwendet, um Schädigungen in Hirnregionen zu untersuchen, die typischerweise bei vaskulären Erkrankungen betroffen sind.

Der gemessene Blutdruck wurde in 3 Kategorien eingeteilt: als normal ( < 120/80 mmHg und ohne Einnahme von Antihypertensiva), prähypertensiv (systolischer Blutdruck von 120–139 mmHg oder diastolischer Blutdruck zwischen 80–89 mmHg) oder hypertensiv (systolischer Blutdruck  ≥ 140 mmHg, diastolischer Blutdruck ≥ 90 mmHg oder Einnahme von Antihypertensiva).

Kognitive Beeinträchtigung bereits bei hochnormalem Blutdruck

„Die Studie zeigt
sehr schön, dass das Risiko für kognitive Beeinträchtigung
im höheren Alter nicht erst bei
einem systolischen Blutdruck von 140 anfängt, sondern auch bei hochnormalen Werten ab 130.“
Prof. Dr. Matthias Endres

Der Zusammenhang von Bluthochdruck und kognitivem Leistungsabfall war deutlich: Patienten mit Hypertonie zeigten über den Zeitraum von 20 Jahren eine Abnahme der globalen kognitiven Fähigkeiten von 6,5% im Gegensatz zu Probanden mit normalem Blutdruck. Aber auch Patienten mit Prähypertonie zeigte eine Verschlechterung von 4,8%. Bei ihnen war die kognitive Beeinträchtigung insbesondere im Digit Symbol Substitution Test abzulesen.

„Die Studie zeigt sehr schön, dass das Risiko für kognitive Beeinträchtigung im höheren Alter nicht erst bei einem systolischen Blutdruck von 140 anfängt, sondern auch bei hochnormalen Werten ab 130“, so Endres.

Bereits eine Studie um Prof. Dr. Stefan Knecht vom Universitätsklinikum Münster, die 2008 in Hypertension veröffentlicht wurde, zeigte, dass auch Blutdruckwerte zwischen 130 und 140 mmHg mit Beeinträchtigungen in der kognitiven Leistung assoziiert sind [3]. Diese Studie zeigte, dass im mittleren Alter ein hochnormaler Blutdruck negativ auf die geistigen Fähigkeiten auswirken kann.

„Es ist unklar, ob
ein Medikament anderen gegenüber
in der Vorbeugung von Demenz überlegen ist.“
Prof. Dr. Matthias Endres

„Sehr deutlich sieht man die lineare Abnahme der Leistungsfähigkeit beim Digit Symbol Substitution Test“, kommentiert Endres die aktuelle Studie. Er sieht in diesem Ergebnis auch einen Nutzen für die Praxis: „Damit zeigt die Studie, dass wir in der Praxis auch die Exekutivfunktion untersuchen sollten, sofern man nicht nur auf die klassische Alzheimerdemenz testen möchte. Auch wenn es sicher nicht zur hausärztlichen Praxis gehört, würde ich es als sinnvolle Maßnahme betrachten. Ich verwende in der Praxis hierzu den MOCA-Test, der schnell und einfach durchzuführen ist.“

Antihypertensiva können die kognitiven Beeinträchtigungen verringern

Die ARIC-Studie zeigt außerdem, dass die kognitive Beeinträchtigung bei den Patienten, deren Hypertonie mit Antihypertensiva behandelt wurde, geringer war, als bei Patienten mit unbehandelter Hypertonie. Welche Medikamente dabei insbesondere eine Rolle spielen konnte bislang nicht geklärt werden, so Endres: „Es ist unklar, ob ein Medikament anderen gegenüber in der Vorbeugung von Demenz überlegen ist. Bei der Entscheidung, welches Medikament gewählt wird, stehen Verträglichkeit und die sonstigen Erkrankungen im Vordergrund. Entscheidend ist vor allem, dass der Blutdruck tatsächlich gesenkt wird.“

Prof. Dr. Philip Gorelick vom College of Mecinine in Chicago macht in dem dazugehörigen Editoral darauf aufmerksam, dass noch ungeklärt ist, ob Antihypertensiva auch bei Patienten über 80 Jahre die geistige Leistungsfähigkeit schützen können [4].

„Inwiefern eine antihypertensive Therapie, die im hohen Alter gegeben wird, vor kognitiver Beeinträchtigung schützt, ist meines Erachtens nicht geklärt.“
Prof. Dr. Matthias Endres

„Inwiefern eine antihypertensive Therapie, die im hohen Alter gegeben wird, vor kognitiver Beeinträchtigung schützt, ist meines Erachtens nicht geklärt“, stimmt dem Endres zu. „Ich gehe zunächst davon aus, dass ein möglicher protektiver Effekt sich erst nach vielen Jahren bemerkbar machen würde. Hingegen wurde in der HYVET-Studie gezeigt, dass die Blutdrucktherapie bei systolischen Blutdruckwerten über 160 mmHg auch bei sehr alten Menschen kurz- und mittelfristig vor einem Schlaganfall schützen kann und deshalb sinnvoll ist.“

Einige Studien zufolge geht jedoch leicht erhöhter Blutdruck im Alter mit einem besseren kognitiven Zustand einher. So war auch in der ARIC Neurocognitive Studie der Blutdruck in höherem Alter nicht mit einer kognitiven Beeinträchtigung assoziiert. Jedoch kann der weniger schädliche Effekt auch durch neurodegenerative Prozesse erklärt werden, die den Blutdruck senken.

Zudem diskutieren die Studienautoren die Möglichkeit, dass sich der erhöhte Blutdruck bei einigen Probanden erst im Alter entwickelte. Gorelick sieht hier weiteren Forschungsbedarf. Bis dies geklärt sei „werden Ärzte den Nutzen von Blutdrucksenkern zur Risikominimierung von kardiovaskuläre Erkrankungen mit dem möglichen Nutzen oder Risiko für die kognitiven Fähigkeiten abwägen müssen“, so Gorelick.

Referenzen

Referenzen

  1. Gottesman RF, et al: JAMA Neurol (online) 4. August 2014
    http://dx.doi.org/10.1001/jamaneurol.2014.1646
  2. Launer LJ, et al: Neurobiol Aging 2000;21(1):49-55
    http://dx.doi.org/10.1016/S0197-4580(00)00096-8
  3. Knecht S, et al: Hypertension 2008;51:663-668
    http://dx.doi.org/10.1161/HYPERTENSIONAHA.107.105577
  4. Gorelick PB: JAMA Neurol. (online) 4. August 2014
    http://dx.doi.org/10.1001/jamaneurol.2014.2014

Autoren und Interessenkonflikte

Andrea Wille
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Endres M: Es liegen keine Angaben zu Interessenkonflikte vor.

Gottesmann RF, Launer LJ, Knecht S, Gorelick PB: Erklärungen zu Interessenkonflikten finden sich in der Originalpublikation.

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