Patienten mit akuter myeloischer Leukämie (AML) ohne ungünstige zytogenetische Charakteristika leben länger, wenn sie zusätzlich zu einer konventionellen Induktionstherapie mit Gemtuzumab-Ozogamicin behandelt werden. Dies zeigte eine Metaanalyse aus 5 randomisierten Studien, die von der Arbeitsgruppe um Dr. Robert K. Hills von der School of Medicine der Universität von Cardiff in Lancet Oncology publiziert wurde [1].
„Die vorgelegte Metaanalyse bestätigt Vermutungen, dass Gemtuzumab-Ozogamicin eine wertvolle Ergänzung im ansonsten sehr dürftigen Medikamentenarsenal bei der AML sein kann“, so Prof. Dr. Karl-Anton Kreuzer von der Klinik I für Innere Medizin am Universitätsklinikum in Köln.
sehr dürftigen Medikamentenarsenal bei der AML sein kann.“
Gemtuzumab-Ozogamicin (Mylotarg® vom Hersteller Wyeth) war als erstes Antikörper-Immuntoxin-Konjugat weltweit im Jahr 2000 von der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) zugelassen worden: für die Behandlung älterer Patienten mit einem Rezidiv, für die eine intensivierte Therapie nicht angezeigt war. Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Zulassungsbehörde (EMA) lehnte 2007 die Zulassung von Gemtuzumab-Ozogamicin (GO) ab, was nach nochmaliger Überprüfung der Daten im Jahr 2008 bestätigt wurde.
Die Ablehnung wurde mit nicht überzeugenden Daten zur Wirksamkeit bei gleichzeitigem Vorliegen von schweren unerwünschten Wirkungen begründet [2]. Nach Aussage von Kreuzer bergen aber Arzneimittelzulassungen bei Erkrankungen, die per se mit einer sehr hohen Sterblichkeit verbunden sind, prinzipiell besondere Schwierigkeiten unter Sicherheitsaspekten.
Marktrücknahme in den USA wegen erhöhter früher Sterblichkeit
Insbesondere die Daten der SWOG-S0106-Studie (South West Oncology Group) führten dann im Jahr 2010 zur Marktrücknahme von Gemtuzumab-Ozogamicin (GO) in den USA. Diese Studie wurde vorzeitig abgebrochen, weil in der GO-Gruppe eine erhöhte frühe Sterblichkeit (6% vs. 1%) beobachtet wurde, die durch einen späteren erhöhten Nutzen nicht ausgeglichen werden konnte.
Bemerkenswert war jedoch, dass die frühe Sterblichkeit in der Kontrollgruppe mit Daunorubicin und Cytarabin extrem niedrig war, während sie in der GO-Gruppe plus Chemotherapie den Erwartungen bei konventioneller Therapie entsprach [3]. Zudem war die Daunorubicin-Dosierung in der GO-Gruppe 25% niedriger als in der Kontrollgruppe.
Dies könne retrospektiv als Nachteil für die Verumgruppe angesehen werden, wie Dr. Mohamed A. Kharfan-Dabaja von den Departments of Blood and Marrow Transplantation and Oncologic Sciences vom H. Lee Moffitt Cancer Center in Tampa (Florida, USA) in einem begleitenden Kommentar zur nun publizierten Metaanalyse erläutert [4].
Hat Gemtuzumab-Ozogamicin doch ein positives Nutzen-Risiko-Profil?
Weil nach wie vor unklar war, ob Gemtuzumab-Ozogamicin für AML-Patienten einen Nutzen bei gleichzeitig akzeptabler früher Sterblichkeit hat, führte die Arbeitsgruppe um Hills die aktuelle Metaanalyse durch. Dafür wertete sie die individuellen Daten von 3.325 erwachsenen Patienten aus 5 Studien aus, in denen GO in Kombination mit einer Standard-Induktionschemotherapie eingesetzt worden war. Primärer Endpunkt war das Gesamtüberleben.
dem Hintergrund anderer sehr erfolgversprechender Immuntoxin-Konjugate sollte die Substanz klinisch weiter untersucht werden, um den Stellenwert bei
der AML präziser einschätzen zu können.“
Die zusätzliche Gabe von Gemtuzumab-Ozogamicin zu einer Standard-Induktionstherapie führte zu einer signifikanten Verlängerung des Gesamtüberlebens nach 5 Jahren (Odds Ratio: 0,90; 95%-Konfidenzintervall: 0,82 bis 0,98; p = 0,01). Dieser Effekt war von der Dosierung unabhängig.
Nach 6 Jahren war der Überlebensvorteil vor allem bei den Patienten mit günstigem zytogenetischem Profil deutlich (OR: 0,47; 95%-KI: 0,31 bis 073; p = 0,0006). Er war jedoch auch bei Patienten mit intermediärem zytogenetischen Risiko zu sehen (OR: 0,84; 95%-KI 0,75 bis 0,95: p = 0,005). Bei Patienten mit ungünstigem zytogenetischem Profil ergab sich kein Nutzen von Gemtuzumab-Ozogamicin (OR 0,99; 95%-KI: 0,83 bis 1,18; p = 0,9).
Die 30-Tage-Sterblichkeit stieg mit dem Antikörper-Immuntoxin-Konjugat nicht signifikant an (OR: 1,28; 95%-KI: 0,97 bis 1,70; p = 0,08), wobei das Risiko bei höherer Dosierung von 6 mg/m² größer zu sein schien als bei einer Dosierung von 3 mg/m². Nur in der SWOG-S0106-Studie war die 30-Tage-Sterblichkeit mit Gemtuzumab-Ozogamicin signifikant höher als in der Kontrollgruppe. Wurden deren Daten bei der Analyse ausgeschlossen, war die 30-Tage-Sterblichkeit bei den verbleibenden 2.728 Patienten nicht erhöht (OR: 1,13; 95%-KI: 0,84 bis 1,54; p = 0,4).
Erneute Überprüfung durch Zulassungsbehörden sinnvoll
Kharfan-Dabaja wies in seinem Kommentar zur Metaanalyse darauf hin, dass die akute myeloische Leukämie eine sehr heterogene Erkrankung ist, deren klinische Charakteristika durch das Zusammenwirken genetischer und molekularer Faktoren bestimmt werden. Wenn man den in einzelnen Studien und in dieser Metaanalyse nachgewiesenen Überlebensvorteil bei Patienten mit günstigem und intermediärem zytogenetischen Profil ignorieren, würde dies dem Streben nach einer stärker individualisierten Therapie widersprechen.
Hills et al. sowie Kharfan-Dabaja sind der Ansicht, dass diese Ergebnisse eine erneute Überprüfung der Daten zu Gemtuzumab-Ozogamicin durch die Zulassungsbehörden rechtfertigen. Möglicherweise werde die Substanz damit wieder für die Therapie verfügbar.
Kreuzer sieht das therapeutische Potenzial von Gemtuzumab-Ozogamicin bei der AML aus wissenschaftlicher Sicht noch nicht hinreichend geklärt: „Gerade vor dem Hintergrund anderer sehr erfolgversprechender Immuntoxin-Konjugate sollte die Substanz klinisch weiter untersucht werden, um den Stellenwert bei der AML präziser einschätzen zu können.“
Gemtuzumab-Ozogamicin
Gemtuzumab-Ozogamicin ist ein Immunkonjugat, das aus einem rekombinanten humanisierten CD33-Antikörper und dem bakteriellen Toxin Calicheamicin besteht. Das zytostatisch wirkende Toxin wird aus dem Bakterium Micromonospora echinospora subsp. Calichensis gewonnen.
Der Antikörper bindet spezifisch an das C33-Antigen, das bei mehr als 80% der AML-Patienten auf der Oberfläche von leukämischen Blasten exprimiert wird. Nach der Bindung wird der Antigen-Antikörper-Komplex internalisiert, hierbei wird das Zytostatikum in den Lysosomen der Blutzelle freigesetzt und kann dort seine Wirkung entfalten.