Geburtshelfer halten das Neugeborene unmittelbar nach der Geburt oft für kurze Zeit in einer Lage unterhalb des Höhenniveaus der Plazenta. Diese weltweit verbreitete Praxis will die Schwerkraft nutzen, damit das Blut leichter von der Plazenta in die dann tieferliegende Nabelschnur und zum Baby fließen kann. Eine solche Absenkung des Babys hat jedoch einer neuen Studie zufolge keinerlei Vorteile. „Die Positionierung des Neugeborenen vor dem Abklemmen der Nabelschnur scheint keinen Einfluss darauf zu haben, wieviel Blut von der Plazenta in die Nabelschnur fließt“, schlussfolgern Prof. Dr. Nestor E. Vain und sein Team von der Medizinischen Fakultät der Universität Buenos Aires nach der Analyse von fast 400 Geburtsverläufen [1]. Mehr noch: Es spreche nichts dagegen, dass man den Müttern ihr Baby zunächst auf den Bauch oder auf die Brust legt, schreiben sie in ihrer aktuellen Publikation im Lancet.

„Ich bin glücklich, dass diese Studie vom Lancet angenommen wurde und auch zeigt, dass inzwischen das sofortige Abnabeln eine Intervention und oft unnötig ist“, lobt PD Dr. Heike Rabe, Neonatologin an der Brighton & Sussex Medical School in Großbritannien, im Gespräch mit Medscape Deutschland. Seit vielen Jahren forscht sie zum Thema plazentale Transfusion und macht sich dafür stark, dass die Nabelschnur verzögert durchtrennt wird – zugunsten der Blutwerte und des Kreislaufs jedes Babys.

Christiane Schwarz von der AG Hebammenwissenschaft an der Medizinischen Hochschule Hannover pflichtet Rabe bei und äußert die Hoffnung, „dass wir mit dieser Studie dem Ende einer unsäglichen Praxis endlich ein Stück näher kommen.“
Neugeborene niedrig halten – wieso?
Dabei waren sowohl die Praxis, nach der Geburt Neugeborene vor dem Abklemmen eine Zeitlang unter das Niveau der Plazenta ihrer Mutter zu halten als auch die baldige Durchtrennung der Nabelschnur durchaus gut gemeint. Mit dem Tiefhalten hofften die Geburtshelfer, den Blutfluss in die Nabelschnur zu verbessern, mit der Durchtrennung der Nabelschnur hofften sie, gefährliche mütterliche Komplikationen verhindern zu können.
1969 hatte eine Studie aus Schweden die Auffassung gestärkt, man könne einer Anämie der Babys entgegenwirken, wenn man sie nach unten hält, unter das Niveau der Plazenta, nach dem Motto: Das Blut fließt schließlich mit der Schwerkraft nach unten [2]. „Bei dieser Studie gab es jedoch keine Randomisierung, mit 112 Geburten nur eine geringe Fallzahl und auch eine andere Definition von Frühgeburten“, merkt Rabe kritisch an.
Vain und sein Team untersuchten die Frage nun aufs Neue und arbeiteten als primären Endpunkt heraus, inwiefern die Lage des Neugeborenen eine plazentale Transfusion über die Nabelschnur begünstigt.
An der Studie nahmen an 3 argentinischen Universitätskliniken zwischen 2011 und 2012 insgesamt 546 Schwangere teil, von 391 Geburten konnten die Ergebnisse ausgewertet werden. Die Frauen waren im Median 27 Jahre alt, nahe am errechneten Geburtstermin und hatten seit kurzem Wehen. Ein Computer teilte sie randomisiert 2 Gruppen zu, der Introitusgruppe – in der das Neugeborene unter das Niveau des Introitus Vaginae gehalten wurde – und der Abdomengruppe.
Alle Neugeborenen wurden binnen 15 Sekunden nach Austritt der Schultern auf Höhe des Introitus gewogen. Nach 1 Minute ermittelte das Geburtshilfeteam die Apgar-Werte, nach 2 Minuten klemmte es die Nabelschnur ab. In der Introitusgruppe (n = 197) hielt ein Mitarbeiter jedes Neugeborene 2 Minuten lang auf demselben niedrigen Level, erst danach durfte das Kind zu seiner Mutter.
In der Abdomen-Gruppe (n = 194) erhielt die Mutter ihr Baby sofort nach dem ersten Wiegen, um es sich – je nach Länge der Nabelschnur – auf Brust oder Bauch zu legen. „Bei allen Neugeborenen vermied man es, Druck auf die Gefäße in der Nabelschnur auszuüben”, betonen Vain und sein Team.
Nach den 2 Minuten durchtrennten Geburtshelfer die Nabelschnur, jedes Baby wurde erneut gewogen. Die mittlere Gewichtszunahme betrug 56 g (Standardabweichung 47; 95%-Konfidenzintervall: 50 bis 63) für die 197 Babys in der Introitusgruppe, verglichen mit 53 g (SD: 45; 95%-KI: 46 bis 59) in der Abdomengruppe.
Als sekundäre Endpunkte ermittelten die Wissenschaftler nach 36 bis 48 Stunden die Hämatokrit- und Bilirubinwerte der Kinder. Die Bilirubinkonzentration war 8,4 mg (SD: 3) in der Introitusgruppe gegenüber 8,7 mg (SD: 3) in der Abdomengruppe. Die Hämatokritwerte betrugen 56% in der Introitusgruppe, 55% in der Abdomengruppe, statistisch kein signifikanter Unterschied. Ernsthafte Komplikationen traten im Zusammenhang mit der Studie nicht auf.
Ein Schritt zurück in die richtige Richtung
Schwarz, die seit 27 Jahren als Hebamme arbeitet, bedauert, dass es immer noch nicht klinische Realität sei, dass die Mütter nach der Geburt die Kinder sofort auf ihren Bauch legen dürften. Sie begrüßt die Studie, weil sie empfehle, „in der Geburtshilfe einen Schritt zurückzutreten und der mütterlichen Intuition wieder mehr zu vertrauen.“
Allerdings könne man die Geburtshilfe in Argentinien nicht mit der in Deutschland vergleichen: „In einer der Kliniken dort bekamen 100 Prozent der Schwangeren eine Epiduralanästhesie. Wenn 83 von 546 reifen Kindern, bei denen die Geburt spontan begonnen hat, per Kaiserschnitt zur Welt kommen und wenn 17 Kinder in der Gruppe reanimiert werden müssen, ist das bedenklich. Ebenso der unkritische Einsatz von Oxytocin – in einer der Kliniken bekamen es 96 Prozent aller Studienteilnehmerinnen.“
Rabe lobt die Studienautoren für mehrere Entscheidungen in Bezug auf das Forschungsdesign: „Gut ist, dass es keine Kontrollgruppe gab, in der Kinder sofort abgenabelt wurden – dass diese Studie also von Anfang an als Non-Inferiority-Trial angelegt wurde“, findet sie. „Mit solchen Untersuchungen kann man international Geburtshelfer dafür gewinnen, dass Kinder direkt nach der Geburt auf den Bauch der Mutter dürfen. Und dass sie dort sofort angelegt werden, so dass das Stillen wahrscheinlicher klappt.“
Gerade für jene Länder, in denen Mütter und Säuglinge nicht allerorts eine gute medizinische Versorgung vorfinden, sind Rabes Erfahrung zufolge Studien wie die vorliegende wegweisend. „In Südamerika gibt es immer mehr gute, engagierte Gruppen“, hebt sie hervor, „Diese bemühen sich auch um das Training der Hebammen. Dass man inzwischen natürlichen Abläufen ihren Lauf lässt, zum Wohl von Mutter und Kind, liegt auch an Studien wie dieser.“ Auch die WHO habe das inzwischen in ihre Empfehlungen mitaufgenommen [3]. Das verzögerte Abnabeln sei im Übrigen auch für viele Frühgeborene von Vorteil, wie Rabes eigene Forschungen belegen [4].
Weitere, qualitativ hochwertige Studien sind jetzt laut Rabe notwendig, um zu klären, wie sich die die Kinder abhängig vom Geburtsmodus und der Position nach der Geburt die nächsten Monate und Jahre hindurch entwickeln.