Verzichtet man bei Patienten mit einem Hodgkin-Lymphom im Frühstadium auf eine Radiotherapie, so treten vermehrt Rezidive auf. Das ergab die geplante Zwischenanalyse einer europäischen Studie, die daraufhin aus Sorge um die Patienten vorzeitig abgebrochen wurde. Die Resultate sind vor kurzem im Journal of Clinical Oncology publiziert worden [1]. Auch die Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO) empfiehlt daher die Strahlentherapie unbedingt als Teil der Behandlung, zusätzlich zu der üblichen Chemotherapie, bei oben genannter Konstellation [2].
„Unter Kenntnis dieser neuen Analysedaten kann ich nicht mehr guten Gewissens sagen: Wir wissen nicht, ob eine Radiotherapie im Frühstadium beim Hodgkin-Lymphom erforderlich ist oder nicht. Die Resultate sagen, dass man die Bestrahlung nicht weglassen sollte“, kommentiert Prof. Dr. Klaus Herfarth, stellvertretender ärztlicher Direktor der Abteilung Radioonkologie und Strahlentherapie am Universitätsklinikum Heidelberg, gegenüber Medscape Deutschland.
Ohne Bestrahlung steigt Rezidivrate um fünf Prozent
sagen, dass man die Bestrahlung nicht weglassen sollte.“
Insgesamt nahmen 1.137 Patienten mit den frühen Stadien I oder II eines Hodgkin-Lymphoms im Alter zwischen 15 und 70 Jahren an der randomisierten H10-Studie der EORTC (European Organisation for Researchand Treatment of Cancer) teil. Die Patienten wurden je nach Prognose in Untergruppen eingeteilt: 444 Patienten hatten eine günstigere und 693 eine durch zusätzliche Risikofaktoren ungünstigere Prognose.
Die Fragestellung war, ob man bei einem negativen Befund in der Positronenemissionstomografie (PET) nach 2 Zyklen einer Chemotherapie (ABVD: Adriamycin/Doxorubicin, Bleomycin, Vinblastin, Dacarbazin) die Bestrahlung durch eine Involved-Node- oder IN-Radiotherapie weglassen kann, ohne die progressionsfreie Lebenszeit zu beeinträchtigen. Die IN-Radiotherapie berücksichtigt für die Bestrahlung die initial als befallen gewerteten Lymphknoten.
Bei negativem PET-Befund erhielt die Verumgruppe keine Bestrahlung, sondern stattdessen 2 weitere ABVD-Zyklen bei guter und 4 Zyklen bei schlechter Prognose. Die Vergleichsgruppe erhielt eine Standardtherapie aus Bestrahlung plus 1 Zyklus ABVD bei guter und 2 Zyklen bei schlechter Prognose. Bei positivem PET-Befund bekamen alle Patienten weitere Zyklen Chemotherapie, je nach Prognose, und zusätzlich Radiotherapie.
Die Therapie schlug insgesamt sehr gut an. 85,5% der Patienten in der Untergruppe mit guter Prognose hatten nach 2 Zyklen ABVD einen negativen Befund in der PET, verglichen mit 74,8% der Patienten mit schlechter Prognose. Die Resultate des Forscherteams um Dr. John Raemaekers von der Radboud Universität im niederländischen Nijmegen zeigten jedoch, dass der Verzicht auf eine Strahlentherapie bei negativem PET-Befund die Rezidivrate um bis zu 5% erhöht.
Nach einem Jahr Nachbeobachtungszeit kam es auch in der Gruppe vorwiegend jüngerer Patienten mit sehr guter Prognose ohne Bestrahlung vermehrt frühzeitig zur Tumorprogression: Alle Patienten mit zusätzlicher Radiotherapie überlebten progressionsfrei, verglichen mit 94,9% der Patienten ohne Bestrahlung. Bei Patienten mit ungünstiger Prognose schnitt die Bestrahlungsgruppe mit 97,3% versus 94,7% der Patienten ohne Bestrahlung ebenfalls besser ab.
Deutsche Studien laufen weiter
Um herauszufinden, welche Patienten mit Hodgkin-Lymphom vielleicht weniger Therapien brauchen, laufen zur Zeit mehrere klinische Untersuchungen mit ähnlichem Design.
In der britischen RAPID-Studie erhielten 602 Patienten in Stadien I oder II Chemotherapie durch 3 Zyklen ABVD [3]. Bei positiver PET-Diagnose gab es einen weiteren ABVD-Zyklus und zusätzlich Radiotherapie (involved-field). Bei negativem PET-Befund wurde die Radiotherapie je nach Randomisierung weggelassen. Die Zwischenergebnisse zeigten bezüglich des progressionsfreien Überlebens nach 3 Jahren einen leichten Vorteil für die Bestrahlungsgruppe, ähnlich wie in der oben genannten Studie.
Dass vergleichbare Daten jedoch konträre Interpretationen hervorrufen, sieht Herfarth kritisch: „Im Grunde hatte der britische RAPID-Trial, der bisher nur in Abstract-Form vorliegt, ähnliche Ergebnisse. Mit Radiotherapie lag das rezidivfreie Überleben bei 97 Prozent, ohne Bestrahlung waren es nur 91 Prozent. Damals hat das Forscherteam diese Resultate allerdings auf dem amerikanischen Hämatologen-Kongress (ASH) sehr positiv verkauft und den Verzicht auf eine Bestrahlung unter den oben genannten Umständen befürwortet", erklärt Herfarth.
Auch in Deutschland werden im Rahmen der Studien HD16 (HD steht für Hodgkin’s Disease) und HD17 frühe und intermediäre Stadien des Hodgkin-Lymphoms behandelt. Ist der PET-Scan nach anfänglicher Chemotherapie negativ, dann wird hier ebenfalls auf eine Bestrahlung verzichtet.
„Wir haben jetzt eine Studie, die abgebrochen wurde, weil zu viele Rezidive im Nicht-Bestrahlungsarm aufgetreten sind“, betont Herfarth. „Außerdem haben wir eine Studie aus England, bei der die Endergebnisse nicht da sind, aber die Zwischenergebnisse Ähnliches zeigen", erklärt der Strahlentherapeut aus Heidelberg.
Welche Patienten können genauso gut geheilt werden mit weniger Therapie?“
„In Deutschland wird bei der HD16-Studie mit zweimal ABVD sogar weniger Chemo gegeben als bei der EORTC-Studie. Letztendlich sind die Studiendesigns ähnlich angelegt, trotzdem läuft die deutsche Studie weiter", kritisiert Herfarth. „Wir haben schon bei der Studienleitung in Köln angefragt, ob man nicht eine Zwischenanalyse machen müsste, um herauszufinden, ob Patienten, die PET-negativ sind, nicht gefährdet sind, wenn sie keine Bestrahlung bekommen. Diese Zwischenanalyse steht leider aus.“
Bessere Methode des Therapiemonitorings benötigt
Beim Hodgkin-Lymphom hat man zurzeit sehr gute Heilungschancen gerade in frühen Stadien. Laut Herfarth habe die Radiotherapie in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht: Die Dosis und Bestrahlungsfelder und damit sowohl Nebenwirkungen als auch Spätfolgen seien erheblich reduziert worden.
„Jede Strahleneinwirkung weniger ist besser für den Körper. Die Chemotherapie kann allerdings auch kanzerogen sein. Die befallenen Lymphknoten muss man aber wohl letztendlich zusätzlich bestrahlen. Man kommt um die Radiotherapie nicht rum, die ersten Anzeichen kommen aus der holländischen Studie. Wenn man mehr Chemo geben muss, weil das Rezidiv kommt, hat man das Gleiche in Grün“, kommentiert Herfarth.
In Zukunft solle es das Ziel sein, die Therapie weiter zu individualisieren, betont Herfarth. „Die Frage ist: Welche Patienten können genauso gut geheilt werden mit weniger Therapie? PET scheint hierbei nicht die Lösung zu sein, da man mit dieser Methode des Therapiemonitorings nicht feststellen kann, ob ein Tumor wirklich komplett angesprochen hat.“