Frankfurt/Main – Es gibt sie mittlerweile: Kassenzulassungen für Apps in Deutschland. So erhielt das Berliner Start-up-Unternehmen Caterna Vision GmbH im April 2014 über die Krankenkasse Barmer GEK eine Zulassung. Kinder bekommen nun die App-basierte Amblyopie-Behandlung erstattet. Auf dem Mobile Health Forum der IHK Frankfurt trafen sich die Praktiker der E-Health-Branche und zeigten, dass schon einiges geht auf dem Markt.
Trotz aller Schwierigkeiten bei der Einführung flächendeckender E-Health-Versorgungsstrukturen und weitgehend fehlender Finanzierung durch die Kostenträger sind die Experten guter Hoffnung. Zu groß sei der Nutzen für die Patienten und das Einsparpotential für das Gesundheitssystem.
„Wir müssen die Vernetzung der Branchen Informations- und Kommunikationstechnologien sowie Gesundheit vorantreiben“, fordert auf dem Forum Georg Matzner, der Leiter von Referat 6 im Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung, das unter anderem für Informationstechnologie zuständig ist. „Im Jahr 2017 werden 3,4 Milliarden Menschen ein Smartphone besitzen, und jeder zweite von ihnen wird mobile Health-Apps verwenden“, prognostiziert er.
werden 3,4 Milliarden Menschen ein Smart-
phone besitzen, und jeder zweite von
ihnen wird mobile Health-Apps verwenden.“
Schon heute sind viele Anwendungen auf dem Markt, die Investitionen in der mobilen Health-Branche haben sich allein in den vergangenen 5 Jahren verdreifacht. Auf dem Forum stellten sich Start-ups mit ihren E-Lösungen vor.
Mehr Sicherheit für Herzkranke
Patienten, die an Herzrhythmusstörungen leiden, leben in ständiger Ungewissheit. „Die Events sind oft unregelmäßig und anfallartig. Für eine Therapie ist allerdings ein Nachweis im EKG notwendig. Gleichzeitig steht jeder zweite Schlaganfall in Zusammenhang mit Vorhofflimmern“, erläutert Felix Brand von der Personal Medsystems GmbH den Grund für die Entwicklung seiner E-Health-Lösung, die im Februar 2014 auf den Markt kam.
Bei einem Verschluss von Herzkranzarterien ist vor allem schnelles Handeln erforderlich, da der Herzmuskel schon nach 20 bis 60 Minuten abstirbt und die Hälfte der Patienten in der ersten Stunde nach dem Ereignis stirbt. Allerdings werden in diesem Zeitraum laut Brand nur 11% aller Herzinfarkt-Patienten behandelt. „Die Leitlinien halten einen Eingriff bis 60 Minuten nach dem Ereignis für akzeptabel, im Durchschnitt dauert es allerdings 185 Minuten bis dahin“, konstatiert Brand. Das liege zu einem Gutteil auch an den Patienten selbst, die zu lange Zeit benötigen, um den Arzt zu kontaktieren.
Diese Missstände soll der personalisierte 12-Kanal-EKG-Sofort-Check „CardioSecur“ ändern. Über an den Körper angebrachte Kabel wird ein Kontroll-EKG des Patienten an das Smartphone gesendet und mit einem Referenz-EKG verglichen – so wie es die Leitlinien empfehlen. „Das EKG hat eine höhere Sensitivität, denn es ist personalisiert. Die Herzhistorie des Patienten wird in die App integriert.“ Zudem kann die App den Infarkt auch lokalisieren, so dass eine präzise und schnelle Therapie möglich ist.
Aus dem Vergleich der Kontroll- und Referenzmessungen werden Handlungsempfehlungen abgeleitet, wobei der Patient nicht das EKG sieht, sondern leicht zu verstehende Handlungsempfehlungen erhält: durch die Farbe Rot für akuten Handlungsbedarf, Gelb oder Grau für „keine Handlung notwendig“. Der Erfahrung nach ergeben 90% der Messungen keine Handlungsempfehlung, nur 2% melden akute Gefahr. „Damit kommen Arzt und Patient nur zusammen, wenn es notwendig ist“, berichtet Brand. Und: Die App ist kostenlos, allein die Kabel muss der Patient bezahlen.
Smarte Medikation bei Hämophilie
SmartMedication nennt sich eine Anwendung für Smartphones, die die Selbstbehandlung von Blutern effizienter macht. Die rund 4.000 Patienten mit schwerer Hämophilie in Deutschland erhalten – anders als andere Patienten – ihre Faktorpräparate vom Arzt ausgehändigt und setzen sich ihre Spritzen selbst. Trotzdem gehen sie im Durchschnitt nur dreimal pro Jahr zum Arzt; nicht selten liegen 200 km zwischen ihnen und dem nächsten Hämophiliezentrum. „Telemonitoring ist ein ideales Instrument, um die sehr teure Therapie zu optimieren“, erläutert Dr. Andreas Rösch von der Rösch & Associates Information Engineering GmbH.
ist ein ideales Instrument, um
die sehr teure Therapie zu optimieren.“
„Faktorpräparate sind sehr teuer, sie kosten rund 18.000 Euro pro Patient und Jahr. Hämophilie ist damit die teuerste Erkrankung überhaupt. Bei 4.000 Patienten fallen so Kosten von rund einer Milliarde Euro pro Jahr an. Telemonitoring kann helfen, diese Medikamente sinnvoller einzusetzen.“
Der Patient führt auf einer Internetplattform ein Tagebuch, das der Arzt verfolgt und somit die Selbstbehandlung überwachen und anhand der eingetragenen Ereignisse gegebenenfalls die Therapie adaptieren kann. „Er sieht, in welche Gelenke der Patient geblutet hat und hat einen steten Überblick. Damit kann er die konkrete Therapie, aber auch die Prophylaxetherapie besser anpassen.“ Und er erkennt eventuelle Engpässe bei der Medikamentenversorgung frühzeitig.
Die Anwendung ist als Medizinprodukt anerkannt, für Datensicherheit sorgen unter anderem die Pseudonymisierung der Patienten sowie verschlüsselte Datenübertragung. Rund 320 Patienten aus 30 Hämophiliezentren haben Zugang zu der Plattform, 28.000 Behandlungen wurden bereits dokumentiert. „Wir haben unser System der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, ärztlichen Spitzenverbänden und anderen Entscheidern vorgestellt. Alle finden das System toll, aber das ist nun einmal zu wenig“, bedauert Rösch die mangelnde Bereitschaft zur Finanzierung.
Die mobile Patientenakte
„Das Ziel dieser mobilen Anwendung ist, Patientendaten zu erfassen, wo sie anfallen, nämlich direkt beim Patienten und nicht später am Desktop“, erläutert Matthias Meunier von der Xonion GmbH den Sinn und Zweck der mobilen Patientenakte. Mit dem Smartphone in der Hand kann der Arzt sofort die Krankengeschichte seiner Patienten abrufen – in Form von Text, Grafiken, radiologischen oder anderen Bildern. Hierfür ist ein PACS-System in die App integriert, ein Picture Archiving and Communication System.
zu erfassen, wo sie anfallen, nämlich direkt beim Patienten und nicht später
am Desktop.“
Um sich Details besser ansehen zu können, gibt es unter anderem eine Zoomfunktion. Die Vitalzeichen beispielsweise werden in Kurven dargestellt, wobei bis zu 3 Kurven miteinander kombinierbar sind. Alle Laborparameter lassen sich aber auch in Form von Tabellen aufrufen. Auch Plausibilitätsprüfungen sind laut Meunier möglich.
Während der Arzt am Bett steht oder auf dem Weg ins Arztzimmer ist, kann er das Smartphone auch als Diktiergerät nutzen. Für die ebenfalls eingebauten Formulare kann der Nutzer eine 3-, 2- oder 1-spaltige Darstellung wählen – je nachdem, ob er mit einem iPad oder etwa einem iPhone arbeitet. Ein Layoutdesigner ist ebenfalls mit im Paket. „Die Formulare sind zu individuell, eine gynäkologische Anamnese zum Beispiel läuft in jedem Krankenhaus anders. Auch wenn sie nach den Leitlinien geregelt ist, es gibt letztendlich doch wenige Standards“, erzählt Meunier.
„Der Arzt muss nicht mehr die Patientenakte suchen, darin herumblättern, bis er die gesuchten Informationen findet – das alles spart ihm Zeit und Mühe.“ Auch die Klebezettel, die in Krankenhäusern in den Akten stecken – und auch immer wieder mal abfallen – werden mit der App überflüssig. Sie werden ersetzt durch Bookmarks, also Lesezeichen.
Eine elektronische Signatur ist zwar mit dieser mobilen Patientenakte nicht möglich, trotzdem sind die Anwendungsmöglichkeiten so vielfältig, dass hier „die `personal health´ mit der `professional health´ zusammenwachsen wird“, ist sich Meunier sicher.
Teletherapeut gegen COPD
Die chronische obstruktive Lungenerkrankung (chronic obstructive pulmonary disease, COPD) ist die vierthäufigste Todesursache weltweit, erklärt Prof. Dr. Keywan Sohrabi, Medizininformatiker an der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM), Gießen-Friedberg. „Und COPD wird bis zum Jahr 2020 auf Platz 3 steigen“, fügt er hinzu. In Deutschland leben allein 7 Millionen Menschen mit dieser Erkrankung, die Therapie kostet 3.000 Euro pro Patient und pro Jahr, damit 21 Milliarden Euro jährlich.
Ein gutes Monitoring der COPD ist extrem wichtig, denn jede Exazerbation kann zu irreversiblen Schädigungen des Lungengewebes führen. Die Überlebenswahrscheinlichkeit sinkt daher mit der Zahl der Exazerbationen. Exazerbationen wollen die Macher des Teletherapeuten von der THM durch gezieltes Screening vermeiden. Aufgezeichnet werden die COPD-typischen Parameter wie Wheezing, Husten, Puls und andere. Ein COPD-Screen-Gerät wird an den Körper angebracht und die Parameter beispielsweise über eine 8-stündige Schlafphase ermittelt.
In der Arbeitsgruppe von Sohrabi und Prof. Dr. Henning Schneider, Direktor des Wissenschaftlichen Zentrums Duales Hochschulstudium an der THM, treiben die Patienten einmal pro Woche gemeinsam Lungensport – einfachste Übungen zur Mobilisierung. Mit Hilfe des COPD-Screens werden sie zum Beispiel mit einem Fernseher oder einem anderen Endgerät verbunden, das den Patienten überwachte Übungsanleitungen gibt. Auf diese Weise können die Lungenpatienten unabhängig von der Sportgruppe zu Hause trainieren.
Dabei sei nicht das Ziel, den Kontakt zu den anderen Patienten zu kappen, betonen Sohrabi und Schneider. Die Patienten würden sich nun sogar häufiger sehen, weil sie sich zu Hause verabreden, um die Übungen gemeinsam zu machen. Eine also auch das soziale Leben begünstigende Anwendung also.