Paracetamol nützt nicht bei Lumbalgie und „gehört nicht in den Arzneimittelschrank“

Petra Plaum | 29. Juli 2014

Autoren und Interessenkonflikte


Prof. Dr. Kay Brune

Paracetamol hilft gegen die akute Lumbalgie nicht besser als ein Placebo. Das belegt die große australische PACE-Studie (Paracetamol for Low-Back Pain Study) mit 1.643 Teilnehmern, die jetzt im Lancet erschienen ist [1]. „Diese Studie ist exzellent und belegt einmal mehr, dass Paracetamol nicht in den modernen Arzneimittelschrank gehört“, urteilt Prof. Dr. Kay Brune vom Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie der Universität Erlangen-Nürnberg. „Was die Studie aussagt, spiegelt unsere Erfahrungen wider: Paracetamol und nicht-steroidale Entzündungshemmer sind bei Rückenschmerzen meistens enttäuschend“, sagt auch Dr. Gerhard Müller-Schwefe, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin.

Drei Gruppen, zwei Pillenboxen – ein aufwändiges Design

Ob Paracetamol bei Schmerzen im unteren Rücken tatsächlich hilft, ist schon länger umstritten [2]. Die Wissenschaftler um Dr. Christopher M. Williams vom George Institute for Global Health der Universität Sydney haben für die aktuelle randomisiert-kontrollierte  Studie ein besonders ambitioniertes Design gewählt. Sie konnten in den Jahren 2009 bis 2013 bei 235 Ärzten, Physiotherapeuten und Apothekern in Sydney Patienten rekrutieren. Der Hersteller GlaxoSmithKline Australia stellte den Wirkstoff Paracetamol zur Verfügung.

Alle Teilnehmer litten zu Beginn der Teilnahme seit höchstens 6 Wochen (im Durchschnitt seit 10 Tagen) unter Schmerzen zwischen Rippenbogen und Gesäßfalte – mit oder ohne Beteiligung der unteren Extremität. Es gab 3 Gruppen und jeder Studienteilnehmer erhielt 2 Tablettenboxen. Box 1 wurde als reguläre Medikation bezeichnet, davon sollten die Teilnehmer alle 6 bis 8 Stunden jeweils 2 Tabletten einnehmen. Die Tabletten aus Box 2 sollten diese Medikation nach Bedarf ergänzen. Diese durften alle 4 bis 6 Stunden konsumiert werden.

Keiner der Teilnehmer hatte in beiden Boxen Paracetamol. 550 Patienten in der Verumgruppe hatten in Box 1 Tabletten mit je 665 mg Paracetamol mit verzögerter Wirkstoffabgabe – und in Box 2 ein Placebo. 546 Patienten zählten zur so genannten Nach-Bedarf-Gruppe, hier war das Paracetamol nur in Box 2 in einer Dosis von 500 mg pro Tablette mit sofortiger Wirkstoffabgabe. Und bei den 547 Patienten der reinen Placebogruppe enthielten beide Boxen wirkstofffreie Tabletten. Alle Teilnehmer sollten ihre Medikamente bis zum Abklingen der Beschwerden einnehmen, höchstens jedoch 4 Wochen lang.

„Paracetamol und nicht-steroidale Entzündungshemmer sind bei Rücken-
schmerzen meistens enttäuschend.“
Dr. Gerhard Müller-Schwefe

In einem Tagebuch hielten sie Schmerzintensität, Schlafqualität und Beeinträchtigungen im Alltag fest. Den primären Endpunkt – eine schmerzfreie Episode, die mindestens 7 Tage anhielt – erreichten die beiden ersten Gruppen im Median nach jeweils 17 Tagen, die Teilnehmer der reinen Placebogruppe nach 16 Tagen.

Intensive Betreuung als Mittel gegen den Schmerz

Auch die sekundären Endpunkte – Beeinträchtigung, Funktion, Schlaf etc. – unterschieden sich nicht signifikant zwischen den Gruppen. Sogar die Nebenwirkungen zeigten ein vergleichbares Muster und unterschieden sich in Häufigkeit und Schwere nicht zwischen den Patienten, die überhaupt den Wirkstoff erhielten, und denen, die nur Placebo erhielten. „Was wir herausfanden, legt nahe, dass weder die reguläre Dosierung noch eine Therapie nach Bedarf die Dauer der Genesung beeinflusst “, schlussfolgern Williams und sein Team.

Warum die PACE-Teilnehmer unabhängig von der Medikation relativ schnell wieder schmerzfrei waren, erklären die Wissenschaftler als Folge von „guter Beratung“. Das findet Müller-Schwefe plausibel, „in klinischen Studien zeigt sich immer wieder, dass die intensive Betreuung Patienten hilft.“


Klaus Weitzer

Auch der Diplom-Psychologe und Gesundheitscoach Klaus Weitzer, der in Bad Gögging mit Schmerzpatienten arbeitet, sagt: „Die Studie ist sicherlich hilfreich, um zum Nachdenken über die vorwiegende und leider zu oft auch ausschließliche medikamentöse Therapie anzuregen.“

Auch die Arzt-Patienten-Beziehung sei wichtig: „Am besten nimmt der Arzt oder Therapeut dabei nicht die Rolle des Heilers und Reparierers ein, sondern die des Begleiters und Lehrers.“ Für immer wieder neu akut auftretenden und chronischen Rückenschmerz empfiehlt er die Kombination von Therapien und Verhaltensregeln: „Langfristig wirken körper- und entspannungstherapeutische Techniken, Bewegung, Wechsel von Aktivität und Ruhe sowie Stressmanagement“, so seine Erfahrung. Ziel müsse also immer sein, Medikamente auf ein Minimum zu reduzieren oder sie ganz überflüssig zu machen.

„Die Studie ist sicherlich hilfreich, um zum Nachdenken über die vorwiegende und leider zu oft
auch ausschließliche medikamentöse Therapie anzuregen.“
Klaus Weitzer

Cave Selbstmedikation mit Paracetamol

Das empfiehlt sich nach Ansicht von Brune insbesondere im Hinblick auf die Nebenwirkungen. Der Pharmakologe macht darauf aufmerksam, dass unter Paracetamol weitaus mehr unerwünschte Wirkungen vorkommen können, als weithin bekannt ist: „Wir sprechen von 500 Todesfällen und 250.000 Krankenhauseinweisungen im Jahr allein in den USA. Dort dosieren viele Menschen Paracetamol unbewusst über, wenn sie z. B. Paracetamol-haltige Heißgetränke gegen Grippe konsumieren und zusätzlich Tabletten einnehmen.“ So kann es zum Leberversagen kommen.

„Bei Menschen, die regelmäßig Alkohol konsumieren, bei
sehr mageren oder sehr sportlichen Patienten kommt
es mit Paracetamol allgemein eher zu Nebenwirkungen.“
Prof. Dr. Kay Brune

Auch im Hinblick auf das gastrointestinale Sicherheitsprofil von Paracetamol ist der Experte skeptisch: „Sie können auch mit Paracetamol gastrointestinale Nebenwirkungen haben, nicht nur bei nicht-steroidalen Antirheumatika. Und bei Menschen, die regelmäßig Alkohol konsumieren, bei sehr mageren oder sehr sportlichen Patienten kommt es mit Paracetamol allgemein eher zu Nebenwirkungen.“ Damit sei das Argument, diese Medikation sei billig und harmlos, nicht mehr zu halten, betont Brune.

Müller-Schwefe empfiehlt Bewegung als Mittel der Wahl gegen Rückenschmerzen und bewertet die nicht-steroidalen Antiphlogistika (NSAR) eher kritisch: „Wir haben zu viele Schlaganfälle ihretwegen, zu viele Myokardinfarkte, zu viele blutende Magenulcera. Und das Sicherheitsprofil von Ibuprofen und Naproxen ist keinesfalls besser als z. B. das von Aspirin“. Noch ein wichtiges Gegenargument: Meist helfen auch die NSAR nicht, „weil 90 Prozent der akuten Schmerzen im unteren Rücken nicht von Entzündungen, sondern von muskulären Problemen herrühren“, so Müller-Schwefe.

Referenzen

Referenzen

  1. Williams CM, et al: Lancet (online) 24. Juli 2014
    http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(14)60805-9
  2. Davies RA, et al: J Eur Spine J 2008;17(11):1423-1430
    http://dx.doi.org/10.1007/s00586-008-0783-x

Autoren und Interessenkonflikte

Petra Plaum
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Weitzer K: Es liegen keine Angaben zu Interessenkonflikten vor.

Brune K: Arbeit in beratender Tätigkeit für Hersteller unterschiedlicher Analgetika.

Müller-Schwefe G: Es liegen keine Angaben zu Interessenkonflikten vor.

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