Der Krebs braucht Kalorien: Mangelernährung von Tumorpatienten immer noch unterschätzt

Dr. Sylvia Bochum | 28. Juli 2014

Autoren und Interessenkonflikte


Prof. Dr. Stephan C. Bischoff

Ludwigsburg – Im Herbst wird die neue S3-Leitlinie „Supportive Ernährungskonzepte in der Onkologie“ veröffentlicht. Es bestand dringender Bedarf dafür, denn Patienten mit einer aktiven Tumorerkrankung ernähren sich häufig unzureichend und verlieren an Gewicht – mitunter erheblich. Rund ein Viertel der Tumorpatienten stirbt sogar unmittelbar an den Folgen der körperlichen Auszehrung. „Wir müssen deshalb sowohl bei den Onkologen als auch den Patienten das Bewusstsein für die Risiken einer Mangelernährung, die nicht erkannt und behandelt wird, deutlich schärfen“, erklärt Prof. Dr. Stephan C. Bischoff beim Kongress Ernährung 2014 in Ludwigsburg [1].

Der Direktor des Instituts für Ernährungsmedizin an der Universität Hohenheim nahm auf der Fachtagung zu einigen Kernaussagen der neuen Leitlinie Stellung, die in den vergangenen 2 Jahren von der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) erarbeitet worden ist.

Oft sind Tumorpatienten schon vor der Diagnose mangelernährt

Inappetenz und Ernährungsstörungen treten bei onkologischen Erkrankungen ausgesprochen häufig auf – und zwar nicht erst infolge der Therapie. In Gegenteil: „Mehr als die Hälfte der Tumorpatienten weist schon vor der Diagnose einen relevanten Gewichtsverlust auf, der häufig auf einer Mangelernährung beruht“, so Bischoff. Im Gegensatz zur Hungersituation verlieren Tumorpatienten aber nicht nur Fett-, sondern in hohem Ausmaß auch Muskelmasse.

„Wir müssen sowohl bei den Onkologen als auch den Patienten das Bewusstsein für die Risiken einer Mangelernährung,
die nicht erkannt
und behandelt wird, deutlich schärfen.“
Prof. Dr. Stephan C. Bischoff

Die Ursachen der Mangelernährung bei onkologischen Patienten sind meist multifaktoriell. Zum einen entsendet der Tumor Botenstoffe, die mit der Gewichtsregulation interferieren und den Appetit senken. Zum anderen verbraucht der Tumor einen wesentlichen Teil der über die Nahrung zugeführten Energie für sein eigenes Wachstum.

Bei manifesten Tumorerkrankungen entwickelt sich zudem oft eine tumorassoziierte systemische Entzündungsreaktion. Diese ist eine wesentliche Komponente bei der Entwicklung einer Tumor-Kachexie, weil sie Auswirkungen auf alle wesentlichen Stoffwechselwege im Organismus hat [2]. In der Regel besteht ein kataboler Metabolimus mit gesteigerter Lipo- und Proteolyse.

Ernährungstherapie soll relevanter Bestandteil der Tumortherapie werden

Die Folgen des Ernährungsdefizits sind neben einer verminderten Immunabwehr und Leistungsfähigkeit auch eine schlechtere Verträglichkeit antitumoraler Therapien – mit der Konsequenz, dass neben der Lebensqualität sich ebenfalls die Lebenserwartung der Betroffenen deutlich reduziert. Die mit dem Gewichtsverlust assoziierten Risiken sind dabei unabhängig vom Ausgangsgewicht oder vom Körpergewicht bei Diagnosestellung und betreffen auch adipöse Patienten [3]. Mittlerweile gilt die Ka­chexie nach der Sepsis als die zweithäufigste Todesursache bei Tumorpatienten.

„Im Grunde muss jeder Tumorpatient auf eine Mangel-
ernährung hin untersucht werden.“
Prof. Dr. Stephan C. Bischoff

Um eine drohende Kachexie rechtzeitig er­kennen und die körper­lichen Ressourcen der Tumorpatienten in allen Therapiephasen sichern zu können, sei eine Mitbetreuung durch Ernährungsspezialisten unverzichtbar. „Im Grunde muss jeder Tumorpatient auf eine Mangelernährung hin untersucht werden und die richtige Ernährungstherapie, frühzeitig eingesetzt, muss ein relevanter Bestandteil der Tumortherapie werden“, erklärt Bischof.

Ernährungsmedizinische Versorgung ist bislang ungenügend

Bislang sei das aber noch viel zu selten der Fall. „Die ernährungsmedizinische Versorgung der meisten Patienten ist momentan vollkommen ungenügend“, betont Bischoff – auch weil das Thema von vielen Onkologen sehr stiefmütterlich behandelt werde. So lag in einer großen deut­schen Studie zur Prävalenz der Mangeler­nährung im Krankenhaus der Anteil der mangelernährten Patienten in onko­logischen Abteilungen bei 38% [4].

Die DGEM, als deren Präsident Bischoff die vergangenen 2 Jahre amtierte, kooperiert nicht zuletzt deshalb inzwischen mit der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO). Dadurch gelinge es, fachübergreifend mehr Ärzte für das Thema zu sensibilisieren, erläutert Bischoff. Noch längst sei nicht allen Kollegen bewusst, dass auch die Ernährungsmedizin eine wissenschaftliche, evidenzbasierte Medizinsparte sei, lautet sein Fazit.

„Die ernährungs-
medizinische Versorgung der meisten Patienten
ist momentan vollkommen ungenügend.“
Prof. Dr. Stephan C. Bischoff

Patientenwunsch ist bindend

Die Ernährungstherapie bei onkologischen Patienten folgt aktuell einem festgelegten Stufenplan. Eine natürliche, orale Ernährung mit ausreichender Eiweißzufuhr, gegebenenfalls unter Verwendung von Supplementen, bildet die Grundlage. Darauf aufbauend kann eine künstliche, also enterale und parenterale Ernährung die Mangelernährung aufhalten beziehungsweise korrigieren.

„Die Ernährungstherapie soll aber nur dann eingeleitet werden, wenn die erwarteten Vorteile die Belastungen der Therapie überwiegen und der Patient die Therapie wünscht“, betont Bischoff. Liege eine entsprechende Patientenverfügung vor, in der der Patient zum Beispiel eine parenterale Ernährung ablehne, müsse das akzeptiert werden – von den behandelnden Ärzten wie auch von den Angehörigen. Die Ernährungstherapie stelle letztlich eine medizinische Intervention dar und sei als solche klar vom Grundrecht auf Nahrung abzugrenzen.

Referenzen

Referenzen

  1. Ernährung 2014: Ernährungsmedizin ist Partnerschaft
    26. – 28.6.2014, Ludwigsburg
    http://www.ernaehrung2014.de
  2. Kotler DP: Ann In­tern Med 2000;133:622–634
    http://dx.doi.org/10.7326/0003-4819-133-8-200010170-00015
  3. Arends J: Der Onkologe 2008;14:9–14
    http://dx.doi.org/10.1007/s00761-007-1292-y
  4. Pirlich M, et al: Clin Nutr 2006; 25:563–572
    http://dx.doi.org/10.1016/j.clnu.2006.03.005

Autoren und Interessenkonflikte

Dr. Sylvia Bochum
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Bischoff SC: Es liegen keine Angaben zu Interessenkonflikten vor.

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