Sachen gibt’s! 15 skurrile psychiatrische Syndrome, von denen Sie vielleicht noch nie gehört haben

Christoph U. Correll, MD | 25. Juli 2014

Autoren und Interessenkonflikte

Einleitung

Zur Diagnostik von Patienten mit Geistesstörungen ziehen Kliniker häufig eine Reihe verbreiterter Diagnosen heran, um eine Differentialdiagnose zu formulieren und einen Therapieplan zu erstellen. Es gibt allerdings eine gewisse Anzahl seltener psychiatrischer Syndrome, die trotz theoretischer Abhandlung während der Universitätsausbildung im klinischen Alltag nur selten anzutreffen sind. Im ersten Teil dieses Artikels wird auf die beachtenswerteren dieser Erkrankungen eingegangen. Der 2. Teil wird sich mit denjenigen Syndromen befassen, die sich aus kulturellen Gründen manifestieren und deshalb früher als „Kultur-assoziierte Syndrome“ bezeichnet wurden. Im Zusammenschluss der beiden Teile soll dieser Artikel die Erinnerung der klinisch tätigen Ärzte an selten oder vielleicht auch gar nicht angetroffene Syndrome wachrufen, um sie in jedem Fall erkennen, diagnostizieren und behandeln zu können. Einige Syndrome sind eher eine spezifische Form einer mehr generalisierten Psychopathologie, die der zugrundeliegenden Erkrankung entsprechend in ähnlicher Weise therapeutisch angegangen werden. Die dabei angesprochenen Krankheiten lassen Spielraum für abenteuerliche Fehlinterpretationen: Trauma-induzierte Geistesveränderungen, die von Angststörungen bis zu dissoziativen Phänomenen und Psychose reichen; Reaktionen aufgrund überwältigender Erlebnisse und bestimmte Phänomene auf der Basis neurologischer Schäden.

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Dia 1

Capgras-Syndrom

Beim Capgras-Syndrom, das nach einem französischen Psychiater benannt ist, der die Illusion von Doppelgängern erstmals beschrieb, handelt es sich um ein Krankheitsbild, bei dem der Betroffene glaubt, nahestehende Personen wie die Ehefrau oder andere Familienmitglieder seien durch einen oder mehrere  identisch aussehende Doppelgänger ersetzt worden. Das Syndrom tritt am häufigsten bei schizophrenen Patienten auf, ist aber auch bei dementen Patienten oder Patienten mit Epilepsie und traumatischer Hirnschädigung beschrieben worden. Die Therapie unterscheidet sich nicht von der Behandlung zugrundeliegender Erkrankungen und beinhaltet typischerweise die Gabe antipsychotischer Medikamente. Bei dementiellen Patienten sollten allerdings eher kognitive Funktionen trainiert und nicht-medikamentöse Strategien verfolgt werden, um die Verwirrtheit zu reduzieren.

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Dia 2

Fregoli-Syndrom

Das Fregoli-Syndrom, das nach dem italienischen Schauspieler Leopoldo Fregoli benannt ist, der für seine schnellen Erscheinungsveränderungen während seiner Auftritte bekannt war, stellt das Gegenteil zum Capgras-Syndrom dar. Menschen mit Fregoli-Syndrom (auch Fregoli-Illusion) sind wahnhaft davon überzeugt, dass sich Leute aus ihrem Umfeld optisch verändert haben und als andere Personen auftreten. Dabei sind sie davon überzeugt, dass eine Person in verschiedenen anderen Personen erscheinen und sich damit maskieren kann. Wie beim Capgras-Syndrom tritt das Fregoli-Syndrom meist bei schizophrenen Patienten auf, obwohl es auch bei dementen Patienten oder Patienten mit Epilepsie und traumatischer Hirnschädigung beschrieben worden ist. Wiederum unterscheidet sich die Therapie nicht von der Behandlung zugrundeliegender Erkrankungen und beinhaltet typischerweise die Gabe antipsychotischer Medikamente. Bei dementiellen Patienten sollten allerdings eher kognitive Funktionen trainiert und nicht-medikamentöse Strategien verfolgt werden, um die Verwirrtheit zu reduzieren.

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Dia 3

Cotard-Syndrom

Das Cotard-Syndrom ist nach seinem Entdecker Jules Cotard, einem französischen Neurologen, benannt, der es im Jahr 1880 erstmals beschrieb. Es handelt sich um ein Krankheitsbild, das auch nihilistischer Wahn bezeichnet wird und bei dem die betroffene Person irrig davon überzeugt ist, dass sie tot sei, nicht existiere, glaube zu verwesen oder ihr Blut sowie innere Organe verloren zu haben. Am häufigsten ist es bei Patienten mit psychotischer Depression oder Schizophrenie zu beobachten und wird im Rahmen der Therapie der zugrundeliegenden Erkrankung behandelt.

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Dia 4

Reduplikative Paramnesie

Bei der reduplikativen Paramnesie handelt es sich um neurologisches Krankheitsbild, bei dem ein Patient davon überzeugt ist, eine Person, ein Ort oder ein Objekt würde doppelt und damit gleichzeitig an verschiedenen Orten existieren, oder es sei an einen anderen Ort gebracht worden. Da sich die Paramnesie meist auf einen Ort bezieht und nicht auf eine Person, unterscheidet sie sich dadurch vom Capgras-Syndrom. Der Begriff „reduplikative Paramnesie“ wurde erstmals vom Neurologen Arnold Pick 1903 geprägt, um den Zustand eines Patienten mit V.a. Alzheimer zu beschreiben.

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Dia 5

Alien-Hand-Syndrom

Das Alien-Hand-Syndrom (AHS) stellt ein Krankheitsbild dar, bei dem bei betroffenen Menschen eine der beiden Hände nicht mehr der willentlichen Steuerung unterliegt. Der Patient weist ein normales Empfinden im Bereich der Hand auf, glaubt aber, dass die Hand als weiterhin sich selbst zugehöriges Körperteil autonom agiert und einem eigenen Willen unterworfen ist.

In der Tat haben betroffene Patienten ihr eigenes Handlungsbewusstsein verloren ebenso wie die gesteuerte Bewegung der Extremität, während sie weiterhin das Bewusstsein behalten, dass die Extremität zu ihrem Körper gehört. Betroffene personifizieren häufig die fremd scheinende Extremität in dem Glauben, dass sie von einem Geist oder einer Kraft „vereinnahmt“ ist, die sie benennen oder identifizieren können. Eine klare Unterscheidung des Verhaltens beider Hände kann getroffen werden, wobei die betroffene Hand als unberechenbar angesehen wird und die nicht betroffene Hand unter normaler, willentlicher Kontrolle steht. Hin und wieder scheinen beide Hände gegensätzlich zu agieren, was als „intermanualer Konflikt“ oder „ideomotorische Apraxie“ bezeichnet wird. Dieses Phänomen ist besonders bei Patienten nach Schädigung des Corpus callosum zu beobachten, der beide Hirnhemisphären miteinander verbindet. Das Alien-Hand-Syndrom wird üblicherweise durch Schlaganfälle oder andere Arten der Hirnschädigung verursacht, insbesondere wenn sie das Corpus callosum, den Frontal- oder Parietallappen betreffen.

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Dia 6

Alice-im-Wunderland-Syndrom oder Todd-Syndrom

Das „Alice-im-Wunderland-Syndrom (AIWS)“ oder auch Todd-Syndrom stellt eine neurologische Erkrankung dar, bei der die Wahrnehmung des eigenen Körperbildes, des Raumes und/oder der Zeit gestört ist. Betroffene können unter Mikropsie oder liliputanischen Halluzinationen, Makropsie oder anderen sensorischen Störungen einschließlich einer gestörten Geschwindigkeitswahrnehmung  leiden. Das AIWS ist das Resultat einer Perzeptionsänderung, die im Gegensatz zur Fehlfunktion der Augen selbst steht. Das am häufigsten auftretende und als am störendsten empfundene Symptom betrifft das veränderte Körperbild: der Betroffene fühlt sich im Hinblick auf die Größe und Form einzelner Körperteile oder des gesamten Körpers verwirrt. Diese Symptome können zu Befremdung, Angst oder sogar Panikzuständen führen. Solche Symptome können mehrmals täglich auftreten und nur verzögert wieder abklingen. Das AIWS ist oft mit Migräne, Hirntumoren oder der Einnahme psychoaktiver Substanzen assoziiert und kann auch Erstsymptom einer Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus oder anderer Infektionen sein. Ruhe stellt die beste Behandlung dar. Im Falle eines gemeinsamen Auftretens mit Migräne besteht die Therapie in derselben wie für die Migräneprophylaxe und beinhaltet die Gabe von Antikonvulsiva, Antidepressiva, Beta-Blockern und Kalzium-Kanal-Blockern zusammen mit strikter Einhaltung einer Migräne-Diät.

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Dia 7

Jerusalem-Syndrom

Das Jerusalem-Syndrom ist durch Geisteszustände charakterisiert, die entweder obsessive religiöse Ideen oder Wahnvorstellungen zum Gegenstand haben oder die Psychose-ähnliche Erfahrungen betreffen, die durch einen Besuch der Stadt Jerusalem verursacht werden oder zu einem Besuch der Stadt Jerusalem führen. Das Syndrom beschränkt sich nicht auf bestimmte Religionen oder Konfessionen.

Die Erkrankung scheint in Erscheinung zu treten, wenn Menschen mit bekannter Geistesstörung oder Unwohlsein vor Eintreffen in Jerusalem die Stadt besuchen.  Sie scheint aus typischerweise vorübergehenden psychotischen Wahnvorstellungen zu bestehen, die in der Regel innerhalb weniger Wochen nach Verlassen der Gegend verschwinden. Es sollte versucht werden, Symptom-basierende Therapieansätze zu stoppen oder ein Ausschleichen antipsychotischer Substanzen nach Verschwinden der Psychose bei den Patienten in Angriff zu nehmen, die einer antipsychotischen Behandlung bedurften. Das Jerusalem-Syndrom sollte allerdings von einer ersten Episode oder einem Rezidiv einer bekannten Psychose differentialdiagnostisch unterschieden werden, da letztere eine Langzeittherapie mit Psychopharmaka mit sich bringen.

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Dia 8

Paris-Syndrom

Das Paris-Syndrom ist ein ungewöhnlicher Zustand, der ausschließlich japanische Staatsbürger betrifft, wenn sie im Rahmen eines Besuchs der französischen Hauptstadt einen Geisteszusammenbruch erleiden. Es kann allerdings auch bei japanischen Touristen in ganz Frankreich oder Spanien beobachtet werden. Beim Paris-Syndrom scheint es sich um eine schwere Form eines Kulturschocks zu handeln, der sich in verschiedenen Formen zeigen kann. Hierzu gehören körperliche und emotionelle Symptome wie Angst, Wirklichkeitsentfremdung, Persönlichkeitsentfremdung wie auch akute Wahnvorstellungen, Verfolgungswahn und Halluzinationen.

Von den geschätzten 6 Millionen Japanern, die Paris jedes Jahr besuchen, erleiden 1-2 Dutzend dieses Syndrom. In der Regel ist bei den Betroffenen keine psychiatrische Vorgeschichte bekannt. Hypothesen, warum Japaner von diesem Syndrom heimgesucht werden, schließen ihre offensichtlichen Vorstellungen hinsichtlich eines idealisierten Bildes der Stadt ein. Die Konfrontation mit sehr unterschiedlichen kulturellen Gewohnheiten, die große sprachliche Diversität und körperliche wie auch mentale Erschöpfung werden ebenfalls als Auslöser vermutet. Psychotherapeutische und supportive Ansätze sollten Anwendung finden und Begleiterkrankungen erkannt und adäquat mittherapiert werden.

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Dia 9

Dissoziative Amnesie/Dissoziative Fugue

Bei der dissoziativen Amnesie handelt es sich um eine Erkrankung, die durch die Unfähigkeit charakterisiert ist, sich an autobiographische Informationen zu erinnern, besonders an solche, die ein spezifisches traumatisches Ereignis betreffen. Unter dissoziativer Fugue – vormals eine eigenständige Diagnose und nun eine Unterform der dissoziativen Amnesie – versteht man das plötzliche, unerwartete, und ziellose Weglaufen einer Person ohne objektiv feststellbaren Grund und gleichzeitiger Amnesie für die eigene Identität. Ihr geht meist ein starker emotionaler oder körperlicher Stressmoment oder eine Stressepisode voraus. Die dissoziative Fugue kann häufig im Kontext schwerer psychologischer oder körperlicher Traumen, der Einnahme psychotroper Substanzen, genereller medizinischer Erkrankungen und neuropsychiatrischer Krankheiten (einschließlich bipolarer Störungen, Depression, Delir und Demenz) beobachtet werden. Psychotherapeutische und supportive  Therapieansätze sollten zur Anwendung kommen und Begleiterkrankungen erkannt und adäquat mittherapiert werden.

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Dia 10

Fremdsprachen-Akzent-Syndrom (FAS)

Das FAS ist eine seltene Krankheit, in deren Rahmen Muttersprachler ihre Sprache mit ausländischem Akzent sprechen. Auslösende Faktoren für dieses Syndrom sind Kopfverletzungen oder Schlaganfälle, die das Sprachzentrum des Gehirns betreffen.

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Dia 11

Stockholm-Syndrom

Unter dem Stockholm-Syndrom versteht man ein psychologisches Phänomen, bei dem Opfer ein positives emotionales Verhältnis zum Täter aufbauen. Dies kann dazu führen, dass das Opfer mit den Tätern unabhängig des eigenen Risikos sympathisiert, sich ihnen gegenüber loyal zeigt und mit ihnen kooperiert. Meist wird das Vorliegen eines Stockholm-Syndroms im Rahmen von Entführungen diskutiert, ist aber auch in Vergewaltigungsfällen und Fällen von Missbrauch des Ehepartners oder von Kindern beschrieben worden. Es kann als schwere Form einer Reaktionsbildung verstanden werden, die unter enormem körperlichem und emotionalem Stress entsteht. Das Stockholm-Syndrom ist nach einem Banküberfall 1973 in Stockholm benannt, während dem die Geiseln zu ihren Geiselnehmern eine emotionale Bindung aufbauten. Sie verteidigten sogar ihre Peiniger nach ihrer Befreiung und lehnten es ab, gegen sie auszusagen. Ein bekanntes Beispiel für das Stockholm-Syndrom ist die Millionärstochter Patty Hearst, die 1974 gekidnappt wurde und später gemeinsam mit ihrem Entführer einen Raubüberfall plante und beging. Wie in allen schweren traumatischen Fällen sollten psychotherapeutische und supportive Therapieansätze zur Anwendung kommen und Begleiterkrankungen erkannt und adäquat mittherapiert werden.

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Dia 12

Lima-Syndrom

Beim Lima-Syndrom handelt es sich um das genaue Gegenstück zum Stockholm-Syndrom. Entführer oder Täter entwickeln Sympathien für die Wünsche und Bedürfnisse ihrer Geiseln oder Opfer. Der Name des Syndroms stammt von einer Geiselnahme 1996 in der japanischen Botschaft in Lima, Peru. Vierzehn Mitglieder der „Tupac Amaru“- Revolutionsbewegung nahmen mehrere Hundert Diplomaten, Regierungs- und Militärvertreter sowie Geschäftsleute auf einer Feier in der japanischen Botschaft in Lima als Geiseln. Kurioserweise ließen die Geiselnehmer während weniger Tage nach Beginn der Geiselnahme fast alle Geiseln unabhängig von ihrer individuellen Wichtigkeit (einschließlich des Präsidenten von Peru und seiner Mutter) frei. Nach monatelangen erfolglosen Verhandlungen wurden die restlichen Geiseln durch ein peruanisches Einsatzkommando erfolgreich befreit, auch wenn eine Geisel umkam. Bislang ist unklar, ob das Lima-Syndrom durch Schuldgefühle, moralische Unentschlossenheit, nachträglichen Zweifeln an der eigenen Handlung oder Ausblendung erklärt werden kann.

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Dia 13

Stendhal-Syndrom

Das Stendhal-Syndrom wird durch physische oder emotionale Angstzustände charakterisiert, die sich bis zu Panikattacken, dissoziativen Erfahrungen, Verwirrtheitszuständen und sogar Halluzinationen entwickeln können, wenn ein Individuum Kunstobjekten ausgesetzt ist. Das Syndrom wird typischerweise durch Kunst getriggert, die als besonders schön empfunden wird oder wenn jemand einer kulturellen Reizüberflutung an einem singulären Ort ausgesetzt wird. Der Begriff kann auch für eine ähnliche Reaktion auf ein überwältigendes Ereignis verwendet werden, wie beispielsweise bei der Konfrontation mit einem enorm schönen Bild in der Natur.

Das Stendhal-Syndrom ist nach dem berühmten französischen Autor Stendhal benannt, der im 19. Jahrhundert seine Erfahrung mit diesem Phänomen im Rahmen eines Besuchs von Florenz in Italien im Jahre 1817 im Alter von 34 Jahren beschrieb. Es ist auch als Hyperkulturämie oder Florenz-Syndrom bezeichnet worden. In der Regel ist das Stendhal-Syndrom selbstlimitierend und zieht keine bleibenden oder schweren Geisteserkrankungen nach sich, weshalb auch außer supportiven keine weiteren Maßnahmen notwendig sind.

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Dia 14

Diogenes-Syndrom

Beim Diogenes-Syndrom handelt es sich um eine Erkrankung, die durch eine extreme Selbstvernachlässigung, soziale Zurückgezogenheit, Schamverlust, Apathie und das zwanghafte Ansammeln von Müll gekennzeichnet ist. Hauptsächlich ist dieses Syndrom bei älteren Menschen anzutreffen und mit progressiver Demenz assoziiert.

Die Krankheit ist nach dem griechischen Philosophen Diogenes von Sinope (412 oder 404 bis 323 vor Christus) benannt, der ein Zyniker und Minimalist war. Die Philosophie des Zynismus basiert auf dem Glauben, dass der Sinn des Lebens darin besteht, ein tugendhaftes Leben im Einklang mit der Natur zu leben, indem alle konventionellen Bedürfnisse nach Wohlstand, Macht, Gesundheit und Ruhm abgelehnt werden, um ein einfaches Leben frei von allem Besitztum zu leben. Diogenes brachte den Zynismus an sein logisches Extrem. Er soll in einem Weinfass in den Straßen Athens gewohnt und Ideen des Nihilismus und des Animalismus gefördert haben. In einer berühmten Anekdote antwortete er auf die Frage Alexander des Großen, der der mächtigste Mann der damaligen Zeit war, auf dessen Frage, was er am meisten von der Welt wünsche: “dass du mir aus dem Sonnenlicht gehst“. Der Name des Syndroms ist eigentlich eine Fehlbezeichnung, da Diogenes nicht seinen Müll sammelte oder seine Hygiene vernachlässigte und die Diskussion mit anderen Menschen in der Agora suchte.

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Dia 15

Münchhausen-Syndrom/Artifizielle Störung I

Die artifizielle Störung, die nach dem Baron von Münchhausen – einem deutschen Offizier im 18. Jahrhundert, der dafür bekannt war, seine Lebensgeschichten und -erfahrungen großzügig auszuschmücken – oft auch als Münchhausen-Syndrom bezeichnet wird, beinhaltet das Vortäuschen körperlicher oder psychologischer Symptome ohne offensichtliche Belohnung für dieses Verhalten. In der ICD-Klassifikation fällt diese Erkrankung in die Sektion somatischer Symptome und verwandter Störungen und wird in 2 Subtypen unterteilt: Verhaltensstörung sich selbst gegenüber und Verhaltensstörung gegenüber anderen Personen oder auch artifizielle Störung/Münchhausen-Syndrom in Vertretung. Die Erkrankung unterscheidet sich von der Hypochondrie dadurch, dass sich Patienten mit Münchhausen-Syndrom ihren Übertreibungen vollkommen bewusst sind, während Hypochonder wirklich glauben, dass sie krank sind.

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Dia 16

Münchhausen-Syndrom/Artifizielle Störung II

Menschen, die von einer artifiziellen Störung betroffen sind, produzieren oder übertreiben absichtlich das Ausmaß von Symptomen auf verschiedene Weisen. Sie können Symptome erfinden, sich selbst verletzen oder diagnostische Tests manipulieren. Zu den Warnzeichen gehören eine dramatische, aber widersprüchliche Krankengeschichte, der Besuch immer wechselnder Gesundheitseinrichtungen, eine ausgeprägte Kenntnis mehrerer Krankenhäuser und/oder medizinischer Fachbegriffe, das Verlangen nach medizinischer Behandlung, neue Symptome, die auf negative Testergebnisse folgen, das anamnestisch ausschließliche Vorhandensein von Symptomen, wenn der Patient allein ist und nicht unter Beobachtung steht und Probleme mit der eigenen Identität und dem Selbstbewusstsein. In der Vorgeschichte solcher Patienten findet sich häufig ein Missbrauch oder eine Vernachlässigung in der Kindheit, während Persönlichkeitsstörungen oft bei Menschen mit artifizieller Störung auftreten. Kliniker, die den V.a. eine artifizielle Störung haben, sollten zuerst somatische Erkrankungen im Frühstadium ausschließen. Das erste Therapieziel ist, das Verhalten der betreffenden Person zu ändern und den Missbrauch oder die Überbeanspruchung medizinischer Ressourcen zu reduzieren. Ebenso sollte jedwede zugrundeliegende psychiatrische Erkrankung identifiziert und behandelt werden. Der primäre Therapieansatz bei einer artifiziellen Störung besteht in der Durchführung einer Psychotherapie einschließlich einer kognitiven Verhaltenstherapie und Familientherapie.

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Dia 17

Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom/artifizielle Störung als Stellvertreter-Syndrom

Das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom/artifizielle Störung als Stellvertreter-Syndrom ist das Erfinden, Übersteigern oder tatsächliche Verursachen von körperlichen oder mentalen Krankheiten oder deren Symptomen bei meist gesunden Dritten, in der Regel Kinder. Betroffene können bezüglich der Symptome lügen, diagnostische Tests oder Krankenakten manipulieren oder Symptome durch verschiedenste Maßnahmen hervorrufen (z.B. Vergiftung, Erstickung, Verhungern oder der Verursachung von Infektionen). Patienten mit artifizieller Störung als Stellvertretersyndrom sind oft Eltern oder die erwachsenen Kinder eines älteren Patienten und Mitarbeiter im Gesundheitssystem, die sich der behandelnden Person gegenüber sehr freundlich und kooperativ zeigen und dem „betroffenen“ Kind oder dem designierten Patienten gegenüber ziemlich besorgt (manchmal auch überbesorgt) erscheinen. Sie können selbst an einer artifiziellen Störung leiden. Die Erfindungen dienen nicht einer Vorteilsnahme wie einem finanziellem Gewinn, anders als vielleicht Sympathien oder Beachtung durch andere. Ätiologische wie auch therapeutische Überlegungen ähneln denen bei artifizieller Störung, allerdings mit zusätzlicher Sorge um die Sicherheit des potenziellen Opfers. Das Behandlungsteam verlangt eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Sozialarbeitern, Organisatoren für Pflegeunterbringungen und Vollstreckungsbeamten zusätzlich zu den behandelnden Ärzten.

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Dia 18

Apotemnophilie und Akrotomophilie

Bei der Apotemnophilie, die auch als Identitätsstörung der Körperintegrität oder als Störung mit Vorliebe zu Amputationen bezeichnet wird, handelt es sich am wahrscheinlichsten um ein neurologisches Krankheitsbild, im Rahmen dessen eine Person das übersteigernde Verlangen hat, sich gesunde Körperteile zu amputieren. In extremen Fällen amputieren sich Betroffene ihre eigenen Extremitäten oder fragen andere, dies für sie zu machen. Da nur wenige Chirurgen bereit sind, gesunde Extremitäten zu amputieren, versuchen Patienten häufig, ihre Extremitäten unwiderruflich zu schädigen, um eine formal dann notwendige Amputation zu erzwingen. Nach einer Amputation sind die Patienten dann in der Regel froh über ihre Entscheidung. Die Apotemnophilie wird einer Schädigung der rechten parietalen Hirnhälfte zugeschrieben, da die Krankheit gemeinsame Eigenschaften mit der Somatoparaphrenie aufweist. Hierbei handelt es sich um eine Form des monothematischen Wahns aufgrund einer Verletzung des Lobus parietalis, in dessen Rahmen der Betroffene eine Extremität seines Körpers oder eine komplette Halbseite seines Körpers als nicht ihm zugehörig empfindet. Das Hauptproblem bezüglich einer Therapie besteht darin, dass die meisten Patienten überhaupt keine Krankheitseinsicht haben. Kognitive Verhaltenstherapie und Aversionstherapien sind bereits ausprobiert worden. Eine verwandte Störung ist die Akrotomophilie – eine Form des sexuellen Fetischismus -, bei der nicht amputierte Menschen ein gesteigertes sexuelles Interesse an Menschen mit fehlenden Extremitäten haben.

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Dia 19

Autoren und Interessenkonflikte

 

Dieser Fall wurde ursprünglich auf medscape.com präsentiert.


Mitarbeiterinformationen
Bret S. Stetka, MD
Editorial Director, Medscape

Christoph U. Correll, MD
Professor of Psychiatry and Molecular Medicine, Hofstra
North Shore LIJ School of Medicine
Hempstead, New York;
Medical Director, Recognition and Prevention (RAP) Program
The Zucker Hillside Hospital
Glen Oaks, New York

Correll CU: arbeitete als Sprecher für Actelion Pharmaceuticals, Ltd ; Alexza Pharmaceuticals ; Bristol-Myers Squibb Company; Cephalon, Inc.; Eli Lilly and Company; Genentech, Inc.; Gerson Lehrman Group, Inc.; Intra-Cellular Therapies, Inc.; Janssen Pharmaceuticals, Inc.; Johnson & Johnson Pharmaceutical Research & Development, LLC; Lundbeck, Inc.; MedAvante, Inc; Merck & Co., Inc.; Otsuka Pharmaceutical Co., Ltd.; Pfizer Inc; ProPhase Labs Inc.; Roche; Sunovion Pharmaceuticals, Inc.; Takeda Pharmaceuticals North America, Inc.; Teva; Vanda Pharmaceuticals Inc.; arbeitete als Sprecher für Merck & Co., Inc. (non-promotional presentations only); erhielt Forschungsgelder von Bristol-Myers Squibb; Janssen/J&J; Otsuka Pharmaceutical Co., Ltd.; erhielt Honorare von mindestens $250 von Actelion Pharmaceuticals, Ltd ; Alexza Pharmaceuticals ; Bristol-Myers Squibb Company; Cephalon Inc.; Eli Lilly and Company; Genentech, Inc.; Gerson Lehrman Group, Inc.; Intra-Cellular Therapies, Inc.; Janssen Pharmaceuticals, Inc.; Johnson & Johnson Pharmaceutical Research & Development, LLC; Lundbeck, Inc.; MedAvante, Inc; Merck & Co., Inc.; Otsuka Pharmaceutical Co., Ltd.; Pfizer Inc; ProPhase Labs Inc.; Roche; Sunovion Pharmaceuticals, Inc.; Takeda Pharmaceuticals North America, Inc.; Teva; Vanda Pharmaceuticals Inc.

Übersetzung:

Dr. Christoph Eimer
Urologe

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