Lindau – Aus dem detaillierten Verständnis der Struktur und Funktionsweise bakterieller Ribosomen ergeben sich große Chancen zur Entwicklung neuer Antibiotika. Diese Vorhersage machte Prof. Dr. Thomas A. Steitz vom Departement of Molecular Biophysics and Biochemistry der Yale University bei seinem Vortrag auf dem Treffen der Medizin-Nobelpreisträger in Lindau [1].

„Als ich anfing, hat man mich gewarnt, Ribosomen zu untersuchen“, erinnerte sich Steitz vor annähernd 500 ausgewählten Nachwuchsforschern. Ribosomen sind in den Zellen für die Proteinsynthese zuständig. Sie haben in tierischen und pflanzlichen Zellen ein Gewicht von etwa 4,2 Millionen Dalton und sind selbst aus etwa 80 einzelnen Eiweißen zusammengesetzt. „Viel zu groß, hat man mir gesagt“, so Steitz. Den Rat, lieber „einfache“ Enzyme ins Visier zu nehmen, wie etwa die Kinasen (sie haben nur 1/25stel der Masse eines Ribosoms) hat er jedoch in den Wind geschlagen.
Dabei dürfte auch eine Rolle gespielt haben, dass Ribosomen interessant sind, weil sie zentraler Bestandteil der zellulären Maschinerie sind. Zudem war zu Beginn von Steitz´ Forschungen bereits bekannt, dass bakterielle Ribosomen deutliche Unterschiede zu denen höherer Lebeweisen aufweisen und deshalb gleich an mehreren Stellen Angriffspunkte für unterschiedliche Gruppen von Antibiotika bieten. Bakterielle Ribosomen sind auch etwas kleiner als die Ribosomen höherer Zellen, haben eine Masse von 2,6 Millionen Dalton und sind aus 52 Proteinen zusammengesetzt.
Ribosom-Untereinheit in atomarer Auflösung
„Man muss zur rechten Zeit am richtigen Problem arbeiten“, erklärte Steitz dazu und widmete seine Karriere dem Verständnis dieser (bakteriellen) Ribosomen. Im Jahr 1985 hat er mit seiner Arbeitsgruppe beschlossen, die Struktur der großen Untereinheit des Ribosoms in atomarer Auflösung zu bestimmen. In Lindau präsentierte er den Fortschritt der Arbeiten in Bildern mit zunehmend höherer Auflösung. Belohnt wurde die Mühe im Jahr 2009 mit der höchsten wissenschaftlichen Auszeichnung, die Steitz zusammen mit Venkatraman Ramakrishnan und Ada Yonath „für die Studien zur Struktur und Funktion des Ribosoms“ zugesprochen bekam.
Detailliert würdigte Steitz in seinem Vortrag die Beiträge verschiedener Arbeitsgruppen, mit denen die Vorgänge im katalytischen Zentrum des Ribosoms und die verschiedenen Akteure – etwa bei der Verlängerung von Proteinen um jeweils eine weitere Aminosäure – dargestellt werden konnten. Per Computersimulation haben die Wissenschaftler die Daten zahlreicher Einzeluntersuchungen zur Bildung einer Peptidbindung und zur Verlängerung der wachsenden Eiweißkette zusammengefasst und in Lindau als Video – unterlegt mit dramatischer Musik – dargestellt.
So werden Ribosomen resistent gegen Antibiotika
Der 1940 geborene Steitz ist immer noch in der Forschung aktiv: Er hat beispielsweise in den vergangenen Jahren mehrere Strukturanalysen geliefert, die das Ribosom im Komplex mit verschiedenen Proteinen zeigen, etwa mit den potenziell therapeutisch interessanten „Winterschlaf-Faktoren“ (hibernation factors), die Bakterien wie Escherichia coli nutzen, um die eigenen Proteinsynthese anzuhalten [2].
Für die pharmazeutische Industrie besonders interessant dürften Steitz´ Arbeiten mit dem Bakterium Thermus thermophilus sein, in denen er die Bindung vieler verschiedener Klassen von Antibiotika an die große Untereinheit visualisierte. Diese Strukturen zeigen nicht nur, wie diese Antibiotika die Proteinsynthese unterbinden. Sie erklären auch, wie das Ribosom durch verschiedene Mutationen gegenüber diesen Antibiotika resistent wird.
zum globalen Gesundheitsproblem.“
Neues Antibiotikum: Radezolid
„Die Zunahme antibiotikaresistenter Bakterien wird zum globalen Gesundheitsproblem“, bemerkte Steitz. Weltweit seien etwa 100.000 Todesfälle pro Jahr auf Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA) zurückzuführen. Nun dienten die von seiner Arbeitsgruppe bestimmten Strukturen der Antikörper-Ribosom-Komplexe als Ausgangspunkt zum Design neuer Wirkstoffe, die sowohl gegen MRSA als auch gegen andere Formen der Antibiotikaresistenz helfen sollen.
Aktuell arbeitet man bei der Firma Melinta Therapeutics in New Haven – hervorgegangen aus dem von Steitz mitgegründeten Unternehmen Rib-X Pharmaceuticals – daran, Antibiotika chemisch so miteinander zu kombinieren, so dass die resultierenden Verbindungen an 2 benachbarten kritischen Stellen des Ribosoms gleichzeitig binden können. Eine von Rib-X übernommene Substanz, Radezolid, habe bereits erfolgreich klinische Studien der Phase 2 überstanden, berichtete Steitz. Im Vergleich zu einer der Ausgangssubstanzen, dem Oxazolidinon Linezolid (Zyvodix®), hat Radezolid demnach eine höhere Potenz und ein breiteres Wirkspektrum.
Mit der gleichen Strategie sei es mit RX-02 gelungen, ausgehend von einem Makrolidantibiotikum das Wirkspektrum zu erweitern und Resistenzen zu vermeiden, die sich gegen die Originalsubstanz gezeigt hatten. Schließlich hofft Steitz auch auf eine neue Waffe gegen XDR-Tuberkulose-Bakterien (XDR = extensive drug resistant). Dies könne durch die chemische Verlinkung von Capreomycin und Paromomycin gelingen, spekulierte der Wissenschaftler.
Die Strukturstudien am Ribosom, von denen man Steitz zu Beginn seiner Karriere abgeraten hat, haben sich also ausgezahlt: „Wir haben nicht nur wichtige Einsichten in die Funktion dieser makromolekularen Maschine gewonnen, sondern diese Studien führen nun auch zu einem praktischen Nutzen für die menschliche Gesundheit“, freute sich der Forscher.