Psychische Therapie beim Hausarzt: „Wir brauchen ein neues Anreizsystem“

Christian Beneker | 21. Juli 2014

Autoren und Interessenkonflikte


Professor Dr. Johannes Kruse

Nichts gegen die Psychologischen Psychotherapeuten – aber Professor Dr. Johannes Kruse möchte dennoch größere Teile der Behandlung von psychisch belasteten Patienten in die Hände von Hausärzten legen. Der Ärztliche Direktor der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Gießen und Marburg plädiert für mehr Möglichkeiten zur ärztlichen Psychotherapie und eine bessere Bezahlung dieser Leistungen.

Medscape Deutschland: Professor Kruse, Sie möchten, dass die Bedeutung der ärztlichen Versorgung von psychisch kranken Patienten gestärkt wird. Warum?

Prof. Dr. Kruse: Wir wollen deutlich machen, dass ein großer Bereich der psychosomatischen und psychotherapeutischen Versorgung durch Ärzte wahrgenommen wird. Viele seelisch belastete Patienten wenden sich ganz natürlich zunächst an ihren Hausarzt. Sie wollen, dass Körper und Seele gemeinsam gesehen werden und wollen auch so behandelt werden – mit ärztlicher Kompetenz. Denn sie vertrauen den Ärztinnen und Ärzten.

Medscape Deutschland: Was findet ein seelisch belasteter Patient beim Hausarzt?

„Viele seelisch belastete Patienten wenden sich ganz natürlich zunächst
an ihren Hausarzt.“

Prof. Dr. Kruse: Kommt zum Beispiel ein Patient mit Herzrasen zum Hausarzt und stellt sich im Verlauf der Diagnostik heraus, dass es sich um eine funktionelle Störung handelt, dann ist es vorteilhaft, wenn der Patient zunächst vom Hausarzt im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung betreut wird. Stellt sich zum Beispiel heraus, dass sich diese Störung im Rahmen einer akuten psychischen Belastungssituation entwickelte, so kann sich der Hausarzt zunächst informieren, den Patienten für eine Zeit beobachten, ohne ihn gleich mit dem Schild einer „schweren psychischen Störung“ zu pathologisieren.

Medscape Deutschland: Wäre das im Zweifel nicht auch die Aufgabe der psychologischen Psychotherapie?

Prof. Dr. Kruse: Wir wollen als Ärzte mehr beraten und die Versorgungskaskade verbessern, beginnend mit einem niederschwelligen Angebot beim Hausarzt, und erst dann gegebenenfalls in die spezialisierte Versorgung beim Psychosomatiker, psychologischen Psychotherapeuten oder Psychiater übergeben. Es geht darum, gute Kooperationsformen zwischen dem ärztlichen und psychologisch-psychotherapeutischen Bereich aufzubauen. Gleichzeitig gilt es den ärztlich-psychotherapeutischen Bereich zu stärken.

„Wir wollen
als Ärzte mehr beraten und die Versorgungskaskade verbessern – beginnend mit einem niederschwelligen Angebot beim Hausarzt.“

Medscape Deutschland: Gut - warum tun sie es nicht einfach?

Prof. Dr. Kruse: Diese psychosomatische Grundversorgung in der Fläche zu implementieren, wäre ein eindeutiges Qualitätsmerkmal der Versorgung als solcher. Aber es gibt bis heute keine Möglichkeit, sie auch eigens abzurechnen. Das heißt, wir brauchen ein Anreizsystem für Hausärzte und Fachärzte, um die sprechende Medizin zu stärken.

Medscape Deutschland: Wie sieht dieses Anreizsystem aus?

Prof. Dr. Kruse: Zunächst müsste die psychosomatische Grundversorgung wieder als Einzelleistung abrechenbar sein. Das ist sie derzeit nicht. Nun gibt es Patienten, etwa mit einer Angststörung, bei denen die psychosomatische Grundversorgung nicht genügt.  Es bedarf einer Kooperationsstruktur zwischen anderen niedergelassenen Fachärzten, psychologischen Psychotherapeuten und Institutsambulanzen, in dessen Rahmen Patienten auch konsiliarisch gesehen werden können. Dazu benötigen Niedergelassene mehr Möglichkeiten, diagnostische, psychosomatische und psychotherapeutische Leistungen vernünftig abzurechnen.

„Niedergelassene brauchen mehr Möglichkeiten, diagnostische, psychosomatische und psychotherapeutische Leistungen vernünftig abzurechnen.“

Bei dieser initialen Diagnostik kann der Patient auch im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplans umfassend aufgeklärt werden. Dann ist für die Patienten auch die Wartezeit auf eine anstehende Psychotherapie tolerabel. Schließlich brauchen wir als dritte Stufe eine ausreichend finanzierte Intervention im Krisenfall. Eine Kurzzeittherapie muss man derzeit beantragen, wir wollen aber das Verfahren endbürokratisieren und initial eine Psychotherapie ermöglichen, die ohne Antrag über 10 bis 20 Stunden durchgeführt werden kann. Dass dies nötig ist, wird zurzeit allgemein anerkannt.

Medscape Deutschland: Warum setzen auch Hausärzte mit Zusatzbezeichnung und Fachärzte nicht auf IV-Verträge zur Versorgung von psychisch Kranken, zum Beispiel Depressionsverträge. Da könnten auch Fachpflegedienste oder psychologische Psychotherapeuten eingebunden werden.

Prof. Dr. Kruse: Bei den IV-Verträgen gibt es mehrere Fallstricke, auf die man achten muss. Ich schätze Selbsthilfe, spezialisierte Pflegedienste und alles, was damit zusammenhängt, sehr. Aber die verschiedenen Aktivitäten im Rahmen eines Strukturvertrages entsolidarisieren die Versorger auch vom gemeinsamen KV-System. Auf der anderen Seite ist zu fragen, ob solche IV-Verträge nicht am Ende Sparverträge sind mit möglicherweise erheblichen Einschränkungen. Manche Verträge beschränken zum Beispiel das Leistungsspektrum der Gesetzlichen Krankenversicherung, da ist Vorsicht geboten.

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Christian Beneker
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Kruse J: Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

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