Wenn Euphorie zerplatzt: Ecstasy als Auslöser eines spinalen Aneurysmas

Gerda Kneifel | 16. Juli 2014

Autoren und Interessenkonflikte

US-amerikanische Ärzte warnen, dass die Einnahme von Ecstasy auch die Rückenmarkarterie schwächen und zur Ruptur eines Aneurysma führen könnte. Dr. Dileep Yavagal, Department of Neurology and Neurosurgery, University of Miami, und Kollegen beschreiben erstmals den Fall eines Teenagers, bei dem nach Ecstasy-Einnahme ein Aneurysma der Spinalarterie gerissen und eine Hirnblutung aufgetreten ist [1].


Prof. Dr. Rainer Wirtz

„Auch wenn die Kombination eines spinalen Aneurysmas und der Missbrauch von Amphetaminen eine absolute Rarität ist: Bei Patienten, bei denen man von Drogenkonsum weiß, sollte man bei starken Kopf- und Nackenschmerzen eine solche Ursache im Hinterkopf haben“, bestätigt Prof. Dr. Rainer Wirtz, Ärztlicher Direktor der Klinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum Ulm.

Eine Woche nach Konsum in die Klinik

Ein ansonsten gesunder Teenager wachte am Tag nach seinem Ecstasy-Konsum mit Kopf- und Nackenschmerzen sowie Muskelspasmen auf. Nach einer Woche anhaltender Beschwerden kam es plötzlich zu einer Verschlimmerung der Schmerzen sowie Übelkeit, woraufhin er die Notaufnahme eines Krankenhauses aufsuchte.

Dort zeigte eine Computertomographie (CT) des Gehirns keine Auffälligkeiten, eine cerebrale CT-Angiographie (CTA) dagegen Schwellungen der Cerebralarterien, weshalb die behandelnden Ärzte zunächst eine Vaskulitis als Ursache der Beschwerden vermuteten. Später jedoch wurde eine Blutung zwischen innerer und mittlerer Hirnhaut, eine Subarachnoidalblutung (SAB), nachgewiesen.

Knapp 2 Wochen nach Einsetzen der Beschwerden erhielt der Patient eine Lumbalpunktion, die jedoch keine Vaskulitis, Vasospasmen oder andere vaskuläre Abnormalitäten zutage brachte. Dagegen zeigten die Magnetresonanztomographie (MRT) sowie Magnetresonanzangiographie (MRA) der Halswirbelsäule eine knotige Region auf der dorsalen Seite des Rückenmarks, Hinweise also auf eine Läsion des Rückenmarksgefäßes.

„Bei Patienten,
bei denen man von Drogenkonsum weiß, sollte man bei starken Kopf- und Nacken-
schmerzen eine solche Ursache (spinales Aneurisma) im Hinterkopf haben.“
Prof. Dr. Rainer Wirtz

Daraufhin wurde der Teenager einem zervikalen und thorakalen Spinalangiogramm unterzogen, bei denen im Nacken des jungen Mannes ein 2 mal 1 mm großes Aneurysma auf der linken Seite der Rückenmarksarterie entdeckt wurde.

Interkranielle Komplikationen durch Extasy schon bekannt

Aneurysmen der Spinalarterien sind – sofern nicht Malformationen des Rückenmarkkanals zugrunde liegen – ungewöhnlich. Aneurysmen der hinteren Rückenmarkarterie (posterior spinal artery, PSA) sind sogar sehr selten. Genau 12 Fälle wurden zuvor in der Literatur beschrieben. Der 13. in der aktuellen Fallstudie ist der erste überhaupt, der in Zusammenhang mit Ecstasy gebracht wird.

Das Amphetamin-Derivat ist auch in Deutschland eine der beliebtesten Partydrogen. Meist enthält es die Substanz 3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin (MDMA). Sein Konsum ist „assoziiert mit einer Reihe von systemischen und neurologischen Komplikationen“, erläutern Yavagal und Kollegen. So sei bereits zuvor von intrakraniellen Komplikationen wie SAB, von cerebraler Vaskulitis und auch intraparenchymalen Blutungen nach dem Konsum von MDMA berichtet worden.

MDMA kann durch den erhöhten Blutdruck „potentiell zur Ruptur von zuvor existierenden vaskulären Läsionen wie Aneurysmen und arteriovenösen Malformationen führen“, so die Autoren. Es habe sogar schon Veröffentlichungen gegeben, bei denen von neu entstandenen Aneurysmen aufgrund von MDMA-Konsum berichtet wurde.

„Subarachnoidal-
blutungen werden in der Regel von Aneurysmen in hirnversorgenden Arterien an der Schädelbasis ausgelöst. Nur sehr selten werden sie
von Spinalarterien verursacht.“
Prof. Dr. Rainer Wirtz

„Subarachnoidalblutungen werden in der Regel von Aneurysmen in hirnversorgenden Arterien an der Schädelbasis ausgelöst. Nur sehr selten werden sie von Spinalarterien verursacht, wie eben in diesem Fall“, konstatiert Wirtz.

„Durch den Drogenkonsum kann der Blutdruck stark ansteigen und es kann zu einer Vaskulitis, entzündlichen Veränderungen in den Gefäßwänden kommen, so dass sich Gefäßwände auch der hirnversorgenden Arterien erweitern können. Hierzu gibt es bereits relativ viel Literatur“, bestätigt der Ulmer Mediziner. „Auch intrazerebrale Blutungen werden in Zusammenhang mit Amphetaminen wie Ecstasy oder auch mit Kokain beschrieben. Insofern ist der Zusammenhang mit dem sehr seltenen PSA-Aneurysma, den die Autoren herstellen, nachvollziehbar.“

Allerdings treten die Symptome in der Regel sofort auf, denn der von der Droge direkt ausgelöste Serotoninausstoß lässt auch den Blutdruck sehr schnell steigen. „Hirnblutungen stehen deswegen meist in direktem zeitlichem Zusammenhang mit dem Drogenkonsum. Dass der Patient erst eine Woche lang mit offensichtlich relativ moderaten Schmerzen zu tun hatte, ist ungewöhnlich“, meint Wirtz. „Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass das Aneurysma und dann die Blutung durch einen fortschreitenden entzündlichen Prozess hervorgerufen wurden, der die Gefäßwand geschwächt hat. Aber das ist Spekulation.“

Interventionelle oder chirurgische Behandlung?

Aneurysmen werden entweder chirurgisch oder interventionell behandelt. Dabei wird ein Katheter durch die Arterie von der Leiste aus bis zu dem Aneurysma geführt. „In etwa der Hälfe aller Fälle wird interventionell-endovaskulär behandelt und das Gefäß künstlich verschlossen. Es gibt aber auch Patienten, bei denen der Katheter nicht bis zur Gefäßwanderweiterung geführt werden kann. Dann ist die chirurgische Entfernung die Behandlung der Wahl“, konstatiert Wirtz.

„Hirnblutungen stehen deswegen meist in direktem zeitlichem Zusammenhang mit dem Drogenkonsum.“
Prof. Dr. Rainer Wirtz

Bezüglich der Behandlungsform gibt es keine einheitliche Meinung. Die Experten diskutieren nach wie vor die Vor- und Nachteile der jeweiligen Verfahren. „Die Gefahren einer interventionellen Therapie sind zwar erst einmal niedriger als die einer Operation“, gibt Wirtz zu bedenken. „Aber auch sie birgt Gefahren. An der Katheterspitze etwa können sich kleine Gerinnsel bilden, die sich lösen und Gefäße verstopfen können. Für bestimmte Untergruppen aber ist die interventionelle Therapie vorteilhafter. So gelten vor allem Aneurysmen des hinteren Kreislaufs, der Vertebral- und Basilararterien – zum Beispiel Basilariskopf-Aneurysma – als typische Indikation zur interventionellen Therapie.“

Bei dem Teenager war eine neuroradiologische Behandlung mittels Katheter nicht möglich, da das PSA über ein Netzwerk kleiner Anastomosen mit anderen Gefäßen gefüllt wurde. Das Aneurysma wurde daher chirurgisch entfernt. Der Drogenkonsum hatte in diesem Fall keine bleibenden Folgen: Nach der Operation erholte sich der Jugendliche komplett und war neurologisch völlig wieder hergestellt.

Referenzen

Referenzen

  1. Johnson J, et al: BMJ Case Rep (online) 3. Juli 2014
    http://dx.doi.org/10.1136/bcr-2014-011248

Autoren und Interessenkonflikte

Gerda Kneifel
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Yavagal D, Wirtz R: Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

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