
Am 1. Juli 2014 erließ der Bundesgerichtshof (BGH) ein Grundsatzurteil zur Anonymität der Nutzer von Internetportalen. Es ging um einen Fall von wiederholten Diffamierungen eines Arztes auf dem Bewertungsportal Sanego. Der Arzt klagte auf Herausgabe der persönlichen Daten des Nutzers – und verlor. „Das Urteil ändert nichts“, resümiert Dr. Peter Müller, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Gesundheit. „Es schreibt nur den Status quo fest.“
Das Urteil
Ein Arzt hatte auf zivilrechtlichem Wege geklagt, nachdem ein Nutzer des Bewertungsportals Sanego mehrfach nachweislich falsche Aussagen gepostet hatte. Der Kläger konnte die Behauptungen, etwa dass Patientenakten in Wäschekörben lägen, man mit Wartezeiten bis zu 4 Stunden rechnen müsse, und er falsche Medikamente verschrieben habe, entkräften. Damit konnte er beim Betreiber des Portals durchsetzen, dass die Diffamierungen gelöscht wurden.
Dies hielt den Nutzer jedoch nicht davon ab, neue Behauptungen online zu stellen. Daraufhin klagte der Arzt vor dem Landesgericht Stuttgart auf Herausgabe der persönlichen Daten des Nutzers – das Gericht gab dem Kläger recht. Sanego ging in Berufung, und auch das Oberlandesgericht Stuttgart entschied im Sinne des Arztes. Sanego rief daraufhin den BGH an, der nun jedoch das Recht auf Anonymität der Portalnutzer bekräftigt hat (Urteil vom 1.7.2014, VI ZR 345/13).
„Das Urteil ändert nichts. Es schreibt nur den Status quo fest.“
Allerdings ist das nicht das Ende aller Möglichkeiten für den Geschädigten, denn der letzte Satz des Urteils lautet: „Darüber hinaus darf der Diensteanbieter nach § 14 Abs. 2, § 15 Abs. 5 Satz 4 Telemediengesetz (TMG) auf Anordnung der zuständigen Stellen im Einzelfall Auskunft über Bestands-, Nutzungs- und Abrechnungsdaten erteilen, soweit dies u. a. für Zwecke der Strafverfolgung erforderlich ist.“
Das heißt: Entschließt sich der Arzt, Strafanzeige zu erstatten, ist alles anders. Dann kann der Staatsanwalt entscheiden, einen richterlichen Beschluss zu erwirken, der den Portalbetreiber dazu zwingt, die IP-Adresse, also die Computeradresse des jeweiligen Nutzers, herauszugeben. Anhand dieser kann dann der Inhaber des Anschlusses ausfindig gemacht werden, von dem aus zum fraglichen Zeitpunkt diese User-IP genutzt wurde – „sofern der Provider des Anschlusses diese Informationen zum Zeitpunkt der Anfrage noch gespeichert hat“, schränkt Müller im Gespräch mit Medscape Deutschland ein.
Meinungsäußerung erlaubt, Tatsachenbehauptung nicht
behauptung.“
Nicht nur die Zahl der Portale ist in den vergangenen 10 Jahren stark gestiegen. Zumindest teilweise gewinnen sie auch an Bedeutung. Auch wenn ihre Kommentare per definitionem subjektive Bewertungen und nicht objektive Beurteilungen darstellen: Nicht alles ist erlaubt. „Die Grenze liegt zwischen einer Meinungsäußerung und einer Tatsachenbehauptung“, konkretisiert Müller. „Der relevante Unterschied liegt in Formulierungen wie ,der Arzt ist unmöglich' oder ,ich finde den Arzt unmöglich'.“ Gegen erstere kann der Kritisierte vorgehen – mit einer schriftlichen Stellungnahme, in der er die Behauptungen widerlegt (Medscape Deutschland berichtete). Der Portalbetreiber ist dann verpflichtet, die Aussage zu löschen.
„Hinweise auf eine Zunahme von Schmähungen habe ich nicht“, konstatiert jedoch Müller. Die Stiftung Gesundheit ist Betreiber der Arzt-Auskunft, dem Verzeichnis aller rund 240.000 Ärzte, Zahnärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der ambulanten Versorgung. Ihre Funktionalität der Arztbewertung haben bereits 15 weitere Portale integriert. Finanziert wird die Arzt-Auskunft über Spenden sowie Umlagen von Ärzten, Internetportalen sowie Krankenversicherungen, mit denen die Betreiber zusammenarbeiten.
eine Zunahme von Schmähungen habe ich nicht.“
Das Portal ist nach eigenen Angaben das einzige, bei dem eine Redaktion die Beiträge prüft, bevor sie online gestellt werden. „Ungefähr 20 Prozent der Beiträge werden nicht freigeschaltet“, weiß Müller. „Da ist offenkundiger Unsinn dabei, Beleidigungen, sprachlich sinnfreier Quark. Das Internet beschleunigt und vereinfacht die Kommunikation auch solcher Beschimpfungen, und seit seiner Erfindung sind die Menschen nun mal nicht besser geworden.“ Bei Grenzfällen macht man sich bei der Arzt-Auskunft übrigens die Mühe, in einer Expertenrunde den Fall zu diskutieren – unter Beteiligung eines Juristen.
Vorbeugen ist besser
An und für sich jedoch sind regelrechte Diffamierungen selten. Müller sieht es pragmatisch: „Unter 5.000 Patienten können halt nicht immer alle glücklich und zufrieden sein.“ Wenn es hart auf hart komme, müsste man den Weg über den Rechtsanwalt gehen, aber prinzipiell sollte man mit dem Sujet gelassen umgehen. Müller hat da so einige Beispiele parat: „Ein Arzt erhielt von einem Nutzer die Bewertung, dass seine Praxis ziemlich heruntergekommen sei und dringend renoviert werden müsse. Zwei Wochen später antwortete der Arzt: ,Stimmt, aber jetzt haben wir renoviert.'“
Ein anderer hätte auf seinem Rezeptblock geschrieben: „Wenn Sie zufrieden sind, sagen Sie es anderen, wenn nicht, sagen Sie es mir.“ Darunter bat er um positive Bewertungen und habe gleich die Adresse von 3 bekannten Bewertungsportalen angegeben. „Wenn es mehrere gute Bewertungen über Sie gibt und einer zetert, ist die Sache auch für die User klar.“