Wer sehr niedrige Vitamin-D-Spiegel hat, hat ein erhöhtes Sterberisiko – aber warum?

Inge Brinkmann | 4. Juli 2014

Autoren und Interessenkonflikte

Eine jüngst im British Medical Journal publizierte Metaanalyse mit über 26.000 Patientendaten hat gezeigt, dass ein niedriger Serumspiegel des Vitamin-D-Metaboliten 25-Hydroxy-Vitamin D (25(OH)D) mit einem signifikant erhöhten Sterberisiko verbunden ist [1].


Prof. Dr. Armin Zittermann

Vollkommen überraschend ist das Ergebnis nicht. So häufen sich seit einiger Zeit die Hinweise darauf, dass Vitamin D nicht nur den Knochenstoffwechsel, sondern möglicherweise auch Autoimmunerkrankungen, kardiovaskuläre Erkrankungen, Infektionen oder Krebs beeinflussen kann. Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen 25(OH)D-Serumkonzentrationen und der Mortalität hatten zudem auch schon vorangegangene Übersichtsarbeiten geliefert.

Aber: „Es ist die erste Metaanalyse zu dieser Fragestellung, die auf individuellen Patientendaten beruht“, erklärt Prof. Dr. Armin Zittermann, Leiter der Studienzentrale der Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie am Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen in Bad Oeynhausen, im Gespräch mit Medscape Deutschland. Damit gingen die Autoren einen Schritt weiter als die Verfasser vieler anderer Metaanalysen, in denen zumeist keine Einzeldaten, sondern nur die Ergebnisse verschiedener Studien kombiniert und analysiert werden. Aus diesem Grund erhalten die aktuellen Ergebnisse ein besonderes Gewicht.

Personen mit geringen 25(OH)D-Serumkonzentrationen sterben früher

Die Metaanalyse des internationalen Teams um Erstautor Dr. Ben Schöttker von der Abteilung für Klinische Epidemiologie und Alternsforschung des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg stützt sich auf Daten vom Projekt „Consortium on health and ageing: Network of cohorts in Europe and the United States“ (CHANCES). Das Projekt kombiniert verschiedene Kohortenstudien mit Teilnehmern aus Europa und Nordamerika. Somit lagen von insgesamt 26.018 Frauen und Männern zwischen 50 und 79 Jahren aus 8 prospektiven Kohortenstudien die 25(OH)D-Serumkonzentrationen vor. Je nach Kohorte lagen diese im Mittel zwischen 24 und 62 nmol/l.

„Es ist die erste Metaanalyse zu
dieser Fragestellung, die auf individuellen Patientendaten beruht.“
Prof. Dr. Armin Zittermann

Als Endpunkte wurden die allgemeine und die kardiovaskuläre Mortalität sowie die Krebsmortalität festgelegt. Die mittlere Follow-up-Zeit der einzelnen Kohorten betrug zwischen 4,2 und 15,8 Jahren. In dieser Zeit starben 6.695 Teilnehmer, davon 2.624 aufgrund kardiovaskulärer Erkrankungen und 2.227 als Folge einer Krebserkrankung.

Studienteilnehmer mit Serumkonzentrationen im jeweils untersten Quintil ihrer Kohorte wiesen dabei im Vergleich zu Teilnehmern mit den höchsten Konzentrationen eine 1,57-fach erhöhte allgemeine Mortalität, eine 1,41- bzw. 1,65-fach erhöhte kardiovaskuläre Sterblichkeit (mit bzw. ohne kardiovaskuläre Vorerkrankungen) sowie eine 1,7-fach erhöhte Krebsmortalität (bei Teilnehmern mit bereits dokumentierten Krebserkrankungen) auf.

Verschiedene Parameter wie das Geschlecht, das Herkunftsland oder der Zeitpunkt der Blutentnahme wirkten sich zwar wie auch in früheren Studien deutlich auf die ermittelten Serumkonzentrationen aus – im Sommer oder bei männlichen Teilnehmern waren die Werte beispielsweise generell höher. Die ermittelten Zusammenhänge zwischen den 25(OH)D-Werten und der Mortalität änderten sich dadurch jedoch nicht.

Ist der Vitamin-D-Mangel tatsächlich die Ursache für die erhöhte Mortalität?

„Die Meta-Analyse von Schöttker und Kollegen beruht einzig auf prospektiven Beobachtungsstudien.“
Prof. Dr. Armin Zittermann

Mit den hier festgehaltenen Ergebnissen mögen sich nun die Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Mangel und erhöhter Mortalität verdichten. Die Frage nach der eigentlichen Kausalität ist damit jedoch noch nicht geklärt.

So könnte eine niedrige 25(OH)D-Konzentration auch schlicht auf einen schlechten Gesundheitszustand – und damit ein erhöhtes Sterberisiko – hindeuten, schreiben Schöttker und seine Kollegen. Ein plausibler Gedankengang, da Menschen mit einem schlechten Gesundheitszustand weniger Zeit im Freien verbringen und so wegen mangelnder UVB-Exposition die Produktion des Provitamins D3 in der Haut limitiert ist.

Und noch ein weiterer Punkt erschwert die Interpretation der aktuellen Ergebnisse: „Die Meta-Analyse von Schöttker und Kollegen beruht einzig auf prospektiven Beobachtungsstudien“, erklärt der Vitamin-D-Experte Zittermann. Ein direkter Zusammenhang ließe sich jedoch nur mit randomisiert-kontrollierten Interventionsstudien nachweisen.

Allerdings gebe es auch bereits Metaanalysen, die auf solchen Interventionsstudien beruhten, ergänzt er. Deren Ergebnisse seien zwar etwas weniger eindeutig gewesen, so Zittermann, würden aber durchaus in dieselbe Richtung weisen.

„In der Altersgruppe ab 65 Jahren ergibt sich prinzipiell
eine stärkere Notwendigkeit
für die Einnahme eines Vitamin-D-Präparats.“
Prof. Dr. Armin Zittermann

Bestehende Empfehlungen gelten bis auf Weiteres weiter

Die Notwendigkeit weiterer kontrollierter Studien mit dem Endpunkt Mortalität erkennen auch Schöttker und Mitarbeiter, gerade auch um irgendwann konkrete Empfehlungen zur Vitamin-D-Supplementierung ableiten zu können. 4 große Untersuchungen seien indes schon gestartet, berichten sie. Erste Ergebnisse daraus erwarte man allerdings erst zwischen 2017 und 2020.

Bis dahin könne man den relativ eindeutigen Empfehlungen diverser internationaler Ernährungsgesellschaften sowie der kürzlich überarbeiteten Osteoporose-Leitlinie [2] folgen, meint Zittermann. Gerade die Empfehlungen für ältere Menschen weichen in den verschiedenen Schriften wenig voneinander ab.

„In der Altersgruppe ab 65 Jahren ergibt sich prinzipiell eine stärkere Notwendigkeit für die Einnahme eines Vitamin-D-Präparats“, sagt er. Die Vitamin-D-Syntheseleistung nehme dann ab, und gerade mobilitätseingeschränkte Ältere hielten sich weniger im Freien auf. Der Zielwert der 25(OH)D-Serumkonzentration liege bei 50 nmol/l, durch eine pauschale Gabe von 800 bis 1.000 IE Vitamin D pro Tag ließe sich dieser ohne jegliche Risiken erreichen.

Referenzen

Referenzen

  1. Schöttker B, et al: BMJ (online) 17. Juni 2014
    http://dx.doi.org/10.1136/bmj.g3656
  2. Leitlinie Osteoporose 2014 des Dachverbands Osteoporose
    http://www.dv-osteologie.org/dvo_leitlinien/osteoporose-leitlinie-2014

Autoren und Interessenkonflikte

Inge Brinkmann
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Schöttker B, Zittermann A: Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

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