
Der jährliche Abstrich vom Gebärmutterhals zur Krebsvorsorge (Zervixscreening) ist für viele Frauen Routine. Doch nun wird diskutiert, ob die Untersuchung wirklich so häufig nötig ist. Länder, die nur alle 3 Jahre testen, erreichen damit keine schlechteren Ergebnisse. Häufigere Abstriche können dagegen möglicherweise schaden: Das Nationale Netzwerk „Frauen und Gesundheit“ kritisiert „unnötig viele Diagnosen“ und eine Übertherapie durch vermeidbare Konisationen [1]. Auch das Gesundheitsministerium will die Vorsorge in diesem Bereich neu regeln. Derzeit berät eine Kommission über neue Leitlinien [2]. Medscape Deutschland sprach mit Prof. Dr. Ingrid Mühlhauser von der Fakultät Gesundheitswissenschaften an der Universität Hamburg über Qualitätssicherung in gynäkologischen Praxen und potenziell unnötige Entfernungen der Gebärmutter.
Medscape Deutschland: Dass Frauen gut vor Krebs geschützt werden, ist auch im Interesse des Netzwerkes Frauen und Gesundheit. Warum sind Sie dann gegen einen jährlichen Test auf Gebärmutterhalskrebs?
Prof. Mühlhauser: Die Frage ist, ob die derzeitige Praxis in Deutschland die optimale Versorgung ist. Die häufigen Abstriche führen vor allem bei jungen Frauen zu unnötigen Diagnosen von Zellveränderungen. Die allermeisten würden sich von alleine zurückbilden, aber der auffällige Befund zieht dann oft eine Konisation nach sich. Wenn diese eigentlich gar nicht nötig ist, ist das ein Schaden. In der Folge kann es zu Komplikationen kommen, etwa bei einer Schwangerschaft und Geburt.
Medscape Deutschland: Aber das Programm ist erfolgreich: Seit 1971 ist die Rate von Gebärmutterhalskrebs in Deutschland um 77 Prozent gesunken, weil die Vorstufen erkannt und entfernt werden.
vor allem bei jungen Frauen zu unnötigen Diagnosen von Zellveränderungen.“
Prof. Mühlhauser: Es ist ja gar kein Programm, und das ist genau das Problem. Die Zahlen vor und nach der Einführung des Screenings sind nie wissenschaftlich erhoben worden. Es gibt in Deutschland keine Kritierien, keine Dokumentation und keine Qualitätssicherung für das Screening mit Zervixabstrich. Wir wissen auch nicht genau, wie viele Konisationen jährlich durchgeführt werden. Die Schätzwerte, die wir haben, weisen aber darauf hin, dass sehr viele Frauen unnötig diesem Eingriff unterzogen werden.
Medscape Deutschland: Angenommen, ein Abstrich ist auffällig. Ist es dann nicht verständlich, dass der Arzt auf Nummer sicher geht und eine Gewebeprobe nimmt?
Prof. Mühlhauser: Nach den derzeitigen Leitlinien soll er das. Aber die sind eben nicht wirklich evidenzbasiert. Wir brauchen ein Programm, das den bestmöglichen Nutzen und den geringstmöglichen Schaden für Patientinnen garantiert. So wie die Vorsorge derzeit in Deutschland ausgeführt wird, erscheint der Schaden ungerechtfertigt hoch.
keine Kritierien,
keine Dokumentation und keine Qualitäts-
sicherung für das Screening mit Zervixabstrich.“
Medscape Deutschland: Ist das geringe Risiko bei einer Konisation nicht akzeptabel, wenn man den Nutzen bedenkt – dass eine potenziell tödliche Krankheit entdeckt und vermieden wird?
Prof. Mühlhauser: Man muss immer beides berücksichtigen. Die Frage ist aber schon, wie viele gesunde Frauen man mit einer Maßnahme schädigen darf. Und dann muss die einzelne Frau auch die Möglichkeit haben, das für sich abzuwägen. Es gibt durchaus Fälle, in denen älteren Frauen zur Vorsorge gleich die ganze Gebärmutter entfernt wird, vor allem Frauen aus den unteren sozialen Schichten. Das spricht dafür, dass die Entscheidung durchaus mit dem Maß der Informiertheit zu tun hat.
Medscape Deutschland: Gibt es Belege, dass ein seltenerer Abstrich zu weniger Konisationen führt?
Prof. Mühlhauser: Es würde mich sehr wundern, wenn es nicht so wäre. Je mehr Screenings man durchführt, desto mehr Verdachtsbefunde bekommt man. Und dann werden eben auch viele Frauen unnötig behandelt. Das Entscheidende ist, dass Länder mit einem späteren und selteneren Screening keine höheren Krebsraten haben.
Medscape Deutschland: In der Altersgruppe 25 bis 29 Jahre gibt es Unterschiede. Hier liegt die Rate der Neuerkrankungen in Deutschland laut Robert-Koch-Institut bei 5,3 auf 100.000 Frauen [3]. In Großbrittanien, das alle 3 Jahre testet, sind es 17,9 Fälle [4]. Ist es nicht bei uns doch sicherer?
sogar schaden.“
Prof. Mühlhauser: Da müsste man erst einmal genau nachsehen, wie die Daten erhoben und dokumentiert werden. Gerade bei jungen Frauen findet man oft Zellveränderungen aufgrund einer aktuellen HPV-Infektion, die überhaupt nichts bedeuten müssen. Hier werden Frauen unnötig beunruhigt. Unter 30 Jahren sollte deshalb überhaupt kein Screening-Abstrich durchgeführt werden. In dieser Phase ist Gebärmutterhalskrebs extrem selten.
Medscape Deutschland: Sie unterstellen, dass Frauenärzte aus rein finanziellem Interesse an einer jährlichen Testung festhalten möchten. Welche Hinweise haben Sie dafür?
Prof. Mühlhauser: Der Zervixabstrich macht einen erheblichen Teil der Einnahmen von gynäkologischen Praxen aus. Wir sehen auch sehr viele IGeL-Leistungen, die den Patientinnen keinen Nutzen bringen oder sogar schaden, zum Beispiel ein vaginaler Ultraschall der Eierstöcke. Auch ein HPV-Test bei beschwerdefeien Frauen unter 30 ist völlig überflüssig und führt nur mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem falschen Alarm. Im Interesse ihrer Patientinnen sollten Ärztinnen und Ärzte das überhaupt nicht anbieten.
Medscape Deutschland: Was muss nun aus Ihrer Sicht passieren?
Prof. Mühlhauser: Der Gemeinsame Bundesausschuss muss ein koordiniertes Programm für die Vorsorge in Deutschland definieren, auf Grundlage des aktuellen internationalen Wissensstandes. Das Intervall für den Abstrich sollte auf jeden Fall verlängert werden. Langfristig müssen wir Nutzen und Schaden kontrollieren. Dazu brauchen wir eine Qualitätssicherung und eine Minimaldokumentation, damit wir wissen, was in den Praxen gemacht wird.