Ambulante spezialfachärztliche Versorgung: Für die „dritte Säule“ der Versorgung wird es nun ernst

Christian Beneker | 2. Juli 2014

Autoren und Interessenkonflikte

Die „3. Säule“ er medizinischen Versorgung ist gerade dabei aus dem Boden zu wachsen. Aber ob sie hält und ob sie bezahlbar ist, ist unklar. Die Rede ist von der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV). In der ASV sollen sich Klinikärzte und Niedergelassene zu intersektoralen, interdisziplinären Teams zusammenschließen können, um besonders schwer erkrankte Patienten oder solche mit sehr seltenen Krankheiten besser behandeln zu können – gegebenenfalls auch mit hochspezialisierten Leistungen [1]. 

Damit entsteht zwischen ambulantem und stationärem Sektor ein dritter Sektor mit Fachärzten aus beiden Bereichen – indessen nicht zu aller Zufriedenheit. Dr. Axel Munte, Vorsitzender des ASV-Bundesverbandes, kritisiert etwa: „Die Chancen, die die ASV für die Patienten bietet, wurden vernachlässigt.“

„Die Chancen, die die ASV für die Patienten bietet, wurden vernachlässigt.“
Dr. Axel Munte

Das Gerüst steht

Indikation für Indikation soll in die ASV aufgenommen werden – insgesamt 26 an der Zahl. Darunter zum Beispiel Epilepsie, schwere onkologische Erkrankungen oder die Versorgung von Patienten rund um eine Lebertransplantation. Seit dem 24. April 2014 gilt die ASV für Tuberkulosepatienten. Wegen der geringen Fallzahl nicht gerade ein fulminanter Start. Ab der Veröffentlichung im Bundesanzeiger im Juli 2014 können nun auch Patienten mit gastrointestinalen Tumoren und Tumoren der Bauchhöhle in das Programm aufgenommen werden.

Damit wird die ASV im Prinzip erstmals „scharf geschaltet“. Die Ärzte können beginnen, sich auch zu Teams für die Behandlung von Patienten mit gastrointestinalen Tumoren (GIT) zusammenzuschließen. Einem ASV-Team steht ein Teamleiter vor. Er organisiert und übernimmt die fachliche Leitung. Hinzu tritt ein Kernteam aus Ärzten – bei den gastrointestinalen Tumoren aus 4 beziehungsweise 5 Fachrichtungen – sowie Ärzten aus 14 verschiedenen Fachrichtungen, die bei Bedarf zur Versorgung hinzugezogen werden können [2]. Die jeweiligen Fachrichtungen werden in den Anlagen zu den entsprechenden Erkrankungen festgelegt. Alle Fachärzte sollen in etwa 30 Minuten die Praxis des Teamleiters erreichen können, um für die Patienten bei Bedarf eine Sprechstunde anbieten zu können.


Dr. Regina Klakow-Franck

„Mit dem heutigen Beschluss wurde die Blaupause für alle weiteren Anlagen zu onkologischen Erkrankungen geschaffen. Wir haben zudem noch offene Grundsatzentscheidungen zum Beispiel zur Definition der schweren Verlaufsformen getroffen und werden nun Zug um Zug nach diesem Muster alle weiteren Anlagen abarbeiten“, sagte Dr. Regina Klakow-Franck, unparteiisches Mitglied im G-BA und Vorsitzende des zuständigen Unterausschusses, bereits im Februar 2014 zur ersten Indikation einer schwere Verlaufsform von Erkrankungen mit besonderem Krankheitsverlauf [3].

Teambildunggar nicht so einfach

Wer mitmachen will, muss sich an den neuen sogenannten erweiterten Landesauschuss wenden. Er prüft, ob die Anzeige des Teams alle Voraussetzungen für die ASV erfüllt. Damit es bei der Genehmigung möglichst fair zugeht, besteht der Ausschuss zu 50% aus Vertretern der Kassen, zu 25% aus Vertretern der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) und zu 25% aus Vertretern der Krankenhausgesellschaft. Der Vorsitz ist unparteiisch. Er kann im Zweifel das Zünglein an der Waage sein, wenn sich Kassen und Leistungserbringer über die Genehmigung eines Antrages nicht einigen können.

Fundament der 3. Säule ist der erweiterte Paragraf 116b SGB V. Er galt seit 2009 nur für die Kooperation von Klinikambulanzen bei der spezialfachärztlichen Versorgung. Erst 2012 wurde er für den niedergelassenen Bereich aufgebohrt. Damit war ein ständiges Hickhack zwischen KVen und den Krankenhäusern vom Tisch – denn die KVen hatten bis dahin stets den 116b kritisiert, weil er den Kliniken den Weg an die Geldtöpfe der ambulanten Medizin öffnete. Nun ist also der Weg für Ärzte beider Bereiche zur Sektoren verbindenden Kooperation frei – theoretisch.

Dazu bemerkt Munte: „Formal könnten ausschließlich Klinikärzte oder ambulante Fachärzte (z.B. eines Medizinischen Versorgungszentrums) eine Anzeige beim erweiterten Landesausschuss einreichen und nur pro forma einen Hausarzt oder umgekehrt einen Klinikarzt mit ins Team aufnehmen. Damit wäre formal die Anzeige des Teams korrekt. Aber tatsächlich kann man kaum von intersektoraler Versorgung sprechen.“

Zudem dürfte die traditionelle Trennung zwischen Niedergelassenen und Klinikärzten eine Teambildung erschweren, „einfach weil viele von ihnen untereinander keinen Kontakt haben“, sagt Detlef Haffke, Sprecher der KV Niedersachsen (KVN). Um wenigstens die Niedergelassenen einer Fachrichtung mit der ASV vertrauter zu machen, will die KVN nun alle Onkologen anschreiben, die seit 1. Juli 2014 für die ASV in Frage kommen und Unterstützung der KVN anbieten.

Keine einheitliche elektronische Dokumentation

Indessen hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) bei der Planung der ASV darauf verzichtet, eine einheitliche elektronische Dokumentation vorzuschreiben. „Das heißt, die Dokumentationen können im Prinzip uneinheitlich und handschriftlich erfolgen. „Enttäuschend“, findet dies Munte. Denn damit wäre der schlagende Vorteil gemeinsamer Versorgung vom Tisch, meint er.

„Der EBM gibt zunächst einmal
die Möglichkeiten,
die Leistungen angemessen zu bepreisen. Aber
was geschieht,
wenn innovative Behandlungen im Rahmen der ASV bezahlt werden müssen?“
Sandra Sterzenbach

„Wenn ein schwerstkranker ASV-Patient als Notfall nachts in seine ASV-Klinik eingewiesen würde, gäbe es keinen Zugriff auf eine elektronische Fallakte mit aktuellen Behandlungsdaten seiner niedergelassenen Teamärzte. Wiederholungsuntersuchungen mit entsprechenden Wartezeiten könnten für diesen Patienten lebensendscheidend sein – also keine Verbesserung zum heutigen Zustand der Sektorentrennung.“

Honorarfrage noch nicht abschließend geklärt

Schließlich ist der Dreh- und Angelpunkt noch nicht letztgültig geklärt: die Bezahlung. Zunächst gilt, wie bei allen ambulanten Leistungen, der EBM, und zwar extrabudgetär. Für angemessenes Geld soll der ebenfalls neu geschaffene „ergänzte Bewertungsausschuss“ sorgen und die Honorare an die Leistungen in der ASV im Laufe eines halben Jahres nachdem die Leistung eingeführt wurde, angleichen. Schließlich soll ein eigenes neues Vergütungssystem für die ASV geschaffen werden. Aber so weit ist es noch nicht.

„Der EBM gibt zunächst einmal die Möglichkeiten, die Leistungen angemessen zu bepreisen“, sagt Sandra Sterzenbach, ASV-Expertin bei der DAK Gesundheit in Hamburg. „Aber was geschieht, wenn innovative Behandlungen im Rahmen der ASV bezahlt werden müssen? Dafür gibt es bisher keine Preise.“

„Im Endeffekt ist die ASV ein Rechenspiel“, meint KVN-Sprecher Haffke. „Nur wenn ein Team genug Patienten in einem überschaubaren Gebiet für die ASV zusammenbekommt, dürfte sich der Zusatzaufwand für ein eventuell höheres Honorar lohnen.“

Für die Versorgung von Tuberkulose-Patienten scheint das nicht der Fall zu sein: Weder in Niedersachsen noch in Bremen liegen entsprechende Team-Anträge vor. 

Referenzen

Autoren und Interessenkonflikte

Christian Beneker
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Munte A, Haffke D, Sterzenbach S, Klakow-Franck R: Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

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