
Paris – Gicht ist vor allem eine Männerkrankheit, weshalb die Beschreibung der Risikofaktoren und die Therapie bislang hauptsächlich auf männliche Patienten zugeschnitten waren. Das muss sich ändern, lautete die Botschaft auf dem diesjährigen Kongress der European League Against Rheumatism (EULAR) [1]. Der Bedarf ist da, denn bei Frauen nach der Menopause nimmt die Inzidenz zu. Und: Die Krankheit verläuft beim weiblichen Geschlecht deutlich anders als bei den Männern.
Prof. Dr. Leslie Harrold stellte in Paris Ergebnisse aus dem CORRONA-Gicht-Register vor, für das ein großes Konsortium von Rheumatologen aus den USA Daten über Gichtpatienten sammelt [2]. Wie die Leiterin der Abteilung für Rheumatologie an der Universität Massachusetts in Worcester, USA und Studiendirektorin dieses Registers erläuterte, gibt es bereits erhebliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen im Hinblick auf die Gicht-Risikofaktoren.
Männer konsumieren zuviel Fleisch und Alkohol, Frauen zu viele Medikamente
Bei Männern über 40 ist Gicht die häufigste Form einer entzündlichen Arthritis, immer noch gelten Alkohol und rotes Fleisch als Hauptverursacher dieser äußerst schmerzhaften Erkrankung. „Bei Frauen hingegen sind es vor allem Medikamente, die Gicht und zahlreiche Begleiterkrankungen auslösen“, fasste Harrold die Ergebnisse des Registers zusammen.
sind es vor allem Medikamente, die Gicht und zahlreiche Begleiterkrankungen auslösen.“
An der Studie waren 54 Rheumatologen beteiligt, die zwischen 2012 und 2013 insgesamt 1.167 Gicht-Patienten (davon 239 Frauen) rekrutierten. Von allen Probanden wurden die demografischen Daten, die prädisponierenden Faktoren wie Begleiterkrankungen, Medikation und Ernährung, die Gicht-Symptome, die Art der laufenden Behandlung sowie die Ergebnisse der körperlichen Untersuchung registriert.
Die Frauen waren im Schnitt 10 Jahre älter als die Männer (71 Jahre vs. 61 Jahre) und hatten einen weit höheren Body-Mass-Index (34 kg/m2 vs. 23 kg/m2). Sie litten außerdem signifikant öfter unter hohem Blutdruck (77% vs. 57%), Diabetes (28% vs. 17%) und Nierenerkrankungen (25% vs. 14%).
Zu Beginn der Studie lag die Diagnose bei den Männern deutlich länger zurück als bei den Frauen (11 Jahre vs. 6 Jahre), sei neigten außerdem weniger zur Ablagerung von Harnsäurekristallen (26% vs. 35%).
Risikofaktoren durch die Einnahme von Medikamenten wie Diuretika fanden sich bei Frauen jedoch mehr als doppelt so häufig als bei Männern (49 % vs. 22 %). Bei den männlichen Patienten fungierte vor allem die Ernährung als Risikofaktor: Sie nahmen wesentlich mehr Bier, Schnaps, Rind- und Schweinfleisch zu sich als die Frauen.
hat gezeigt, dass
sich das Profil von Männern und Frauen mit Gicht markant unterscheidet.“
Frauen brauchen eine andere Gicht-Therapie als Männer
Die klinischen Anzeichen einer Gicht zum Zeitpunkt der Diagnose waren bei beiden Geschlechtern ähnlich; Frauen berichteten allerdings über stärkere Beeinträchtigungen im Alltag. Zwar lagen bei den Frauen deutlich mehr Kontraindikationen gegen eine Behandlung mit NSAIDS (nichtsteroidalen Antirheumatika) oder mit Colchicin als bei den Männern. Dennoch erhielten beide Geschlechter ähnlich häufig die gleiche Therapie zur Harnsäurereduktion (78% Frauen vs. 84% Männer).
„Unsere Studie hat gezeigt, dass sich das Profil von Männern und Frauen mit Gicht markant unterscheidet“, resümierte Harrold und forderte eine personenzentrierte Therapie: „Ärzte haben normalerweise nur ein einziges Konzept für einen typischen Gicht-Patienten. Aber wir leben in einer Zeit der personalisierten Medizin und wir müssen unsere Untersuchungen und Therapien auf den individuellen Patienten hin zuschneiden. Es gibt hier keinen „One-size-fits-all“-Ansatz. Wir brauchen für Frauen und Männer mit Gicht jeweils unterschiedliche Behandlungsstrategien.“

Männer mit Gicht leiden meist auch an erektiler Dysfunktion
Die Komorbiditäten der männlichen Gicht-Patienten, vor allem die erektile Dysfunktion, kardiovaskuläre Erkrankungen und die koronare Herzkrankheit, waren das Thema des Vortrags von Prof. Dr. Naomi Schlesinger. Die Direktorin der Rheumatologischen Abteilung an der Rutgers-Robert Wood Johnson Medical School in New Brunswick im US-Staat New York präsentierte auf dem Kongress erstmalig die Ergebnisse einer Studie von rheumakranken Männern und ihren Komorbiditäten.
Die Querschnittsanalyse umfasste 201 Männer im Alter zwischen 18 und 89 Jahren, die sich zwischen August 2010 und Mai 2013 in einer Rheumaklinik befanden. Von diesen hatten 83 Personen Gicht.
Um vergleichen zu können, ob Männer mit Gicht häufiger an Erektiler Dysfunktion (ED) litten, als Patienten mit anderen rheumatischen Erkrankungen, füllten alle Teilnehmer einen Fragebogen zur Sexualgesundheit aus, den „Sexual Health Inventory in Men“ (SHIM). Er sollte in jeweils 5 Kategorien (nicht vorhanden, mild, leicht bis mittelschwer, mittel, schwer) die Fähigkeit zur Erektion, die Stärke der Erektion, die Fähigkeit zur Penetration sowie zur sexuellen Befriedigung messen. Ein Wert von ≤ 21 indizierte eine erektile Dysfunktion; ein Wert von ≤ 10 eine schwere ED.
Der mittlere SHIM-Wert aller Patienten betrug 16,88. Gicht-Patienten hatten einen durchschnittlichen SHIM-Wert von 14,38 versus 18,53 bei Patienten ohne Gicht (p < 0,0001). Patienten mit Gicht litten signifikant öfter auch an einer ED als ihre Kollegen ohne Gicht (76% vs. 52%, p = 0,0007). Zudem war die ED bei Männern mit Gicht schwerer ausgeprägt als bei Männern mit anderen rheumatischen Erkrankungen (43% vs. 30%, p = 0,007).
Dass die erektile Dysfunktion nicht nur mit dem Alter zusammenhängt, zeigten die Ergebnisse für Männer über 65 Jahren: Die Gicht-Patienten unter ihnen hatten nicht nur signifikant häufiger eine erektile Dysfunktion (p = 0,0002) sondern auch signifikant schwerere Ausprägungen als die Patienten gleichen Alters ohne Gicht (p = 0,0001).
Eine unheilige Allianz: Gicht, erektile Dysfunktion und Herzkrankheiten
„Wir waren wirklich überrascht, wie viele Gichtpatienten unter erektiler Dysfunktion litten“, bemerkte Schlesinger. „Männer klagen normalerweise nicht von sich aus über ihre sexuellen Probleme. Deshalb sollten Ärzte ihre Gicht-Patienten aktiv danach befragen. In unserer Studie waren die Männer richtig froh, dass sich endlich jemand für dieses drängende Problem interessiert hatte.“
Eine Multivarianzanalyse, adjustiert nach Alter, Bluthochdruck, LDL-Cholesterin, glomerulärer Filtrationsrate, Übergewicht, Diabetes und Depression, ergab schließlich, dass die Assoziation zwischen Gicht und ED tatsächlich statistisch signifikant war (p = 0,0096).
zum Beweis des Gegenteils.“
„Nicht nur Gicht ist häufig mit Risikofaktoren für Herz-Kreislauferkrankungen und koronarer Herzkrankheit verbunden. Die gleichen Gefährdungen haben Patienten, die an erektiler Dysfunktion leiden“, betonte Schlesinger. „Die Bedeutung von Gefäßerkrankungen als eine der Ursachen der erektilen Dysfunktion ist wissenschaftlich gut belegt. Die erektile Dysfunktion ist damit ein unabhängiger Prognosefaktor für kardiovaskuläre Ereignisse. Man nimmt an, dass einer von fünf Männern mit ED auch eine stille koronare Herzerkrankung hat. Deshalb gilt: Ein Mann mit erektiler Dysfunktion, auch wenn er keine kardialen Symptome aufweist, ist ein Herzpatient bis zum Beweis des Gegenteils.“
Bei Patienten, die neben der Gicht auch an einer ED als Begleiterkrankung leiden, summieren sich die Risikofaktoren für kardiovaskuläre Ereignisse. Deshalb appellierte die amerikanische Wissenschaftlerin an die Ärzte, sowohl alle Gichtpatienten als auch alle Patienten mit erektiler Dysfunktion auf Herzprobleme zu screenen. Denn, so ihr wenig erfreuliches Fazit: „Die drei ‚EDs’ scheinen miteinander verwandt zu sein: Eine endotheliale Dysfunktion führt zu einer erektilen Dysfunktion und diese wiederum zu frühem Tod (‚early death‘).“