Gestationsdiabetes, danach manifester Typ-2-Diabetes? – Nicht zwangsläufig

Simone Reisdorf | 24. Juni 2014

Autoren und Interessenkonflikte



Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer

Berlin – „Etwa zehn Prozent aller Schwangeren erleben einen Gestationsdiabetes, in der multinationalen HAPO-Studie waren es sogar 16 Prozent.“ Dies erklärte Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer, Internistin und Professorin für Gender-Medizin an der Medizinischen Universitätsklinik Wien, auf dem Diabeteskongress [1, 2]. „In Deutschland rechnen wir mit knapp fünf Prozent Schwangeren mit Gestationsdiabetes“, ergänzte Dr. Helmut Kleinwechter, Internist und Diabetologe, Diabetologikum Kiel, im Gespräch mit Medscape Deutschland. „So waren im Jahr 2012 bei 650.000 Geburten etwa 28.000 Frauen betroffen.“

In der Folgezeit haben die Frauen ein erhöhtes Risiko, nach dem Gestationsdiabetes (GDM) auch an einem manifesten Typ 2-Diabetes zu erkranken. So wurde bei 2.731 von 16.817 kanadischen GDM-Patientinnen (16,2%) in der Nachbeobachtungszeit von im Median 4,5 Jahren ein Typ-2-Diabetes diagnostiziert [3].

Bei jeder nachfolgenden Schwangerschaft werden „die Karten neu gemischt“

Es wird häufig angenommen, dass nach GDM das Diabetesrisiko mit jeder weiteren Schwangerschaft steigt. Die kanadische Studie zeigte etwas Anderes: Während eine weitere Schwangerschaft mit erneutem GDM das Risiko eines künftigen manifesten Typ-2-Diabetes leicht erhöhte (adjustierte Hazard Ratio HR = 1,12; p = 0,03), hatte eine nachfolgende Schwangerschaft ohne erneuten GDM sogar eine drastische Risikoreduktion zur Folge (HR = 0,34; p < 0,0001). Nur in 41,5% der Folgeschwangerschaften wurde überhaupt ein erneuter GDM festgestellt [3].


Dr. Helmut Kleinwechter

Dies passt auch zu einer Studie, an der Kautzky-Willer selbst beteiligt war: Hier zeigte sich, dass ehemalige GDM-Patientinnen bei einer weiteren Schwangerschaft, selbst im Falle eines erneuten Gestationsdiabetes, im Vergleich zu Frauen ohne weitere Schwangerschaft kein erhöhtes Risiko hatten, weder im Hinblick auf den Stoffwechsel noch auf das Herz. „Allerdings kann ein Anstieg des Körpergewichts nach Schwangerschaften die Diabetesinzidenz fördern“, räumte die Expertin ein; auch dies hatte die Studie gezeigt.

Diabetes-Karriere stoppen!

Die Standardtherapie für Frauen mit GDM besteht in Lebensstilanpassungen, das stellten sowohl Kautzky-Willer als auch Kleinwechter im Gespräch mit Medscape Deutschland klar. Dazu gehören Ernährungsumstellung, Kontrolle der Gewichtszunahme, Nikotinkarenz sowie Bewegung.

„Schon dreimal wöchentlich ein halbstündiger Spaziergang in schnellem Schritt sowie Kraftsport für die Muskulatur des Oberkörpers kann etwas bewirken“, ermutigte Kleinwechter. „Bei intakter Schwangerschaft sind auch mäßige Belastungen in Ausdauersportarten wie Schwimmen, Joggen, Radfahren und Walken durchaus angebracht, diese sollten etwa 150 Minuten pro Woche durchgeführt werden“, legte Kautzky-Willer die Latte etwas höher.

„Allerdings kann
ein Anstieg des Körpergewichts nach Schwangerschaften die Diabetesinzidenz fördern.“
Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer

„Die Blutzuckerselbstkontrolle sollte anfangs viermal täglich durchgeführt werden“, erläuterte Kleinwechter auf Nachfrage von Medscape Deutschland. Erfolgskriterium ist ein Blutzuckerspiegel unter 5,3 mmol/l (unter 95 mg/dl) nüchtern sowie unter 7,8 mmol/l (unter 140 mg/dl) eine Stunde nach den Mahlzeiten. „Werden diese Ziele erreicht, können die Messungen im weiteren Schwangerschaftsverlauf auf einmal pro Tag zu wechselnden Zeiten beschränkt werden.“

Nachsorgeuntersuchung nicht verpassen

Während Kleinwechter davon ausgeht, dass etwa 80% der GDM-Patientinnen die Zielwerte ohne Medikamente schaffen, beobachtet Kautzky-Willer diesen Erfolg nur bei etwa 50 bis 70%. „Die übrigen Patientinnen sollten mit Insulin behandelt werden, das sagen auch die Leitlinien“, erklärte sie.

„Die Blutzucker-
selbstkontrolle sollte anfangs viermal täglich durchgeführt werden.“
Dr. Helmut Kleinwechter

Wichtig ist, darin sind sich beide Experten einig, die Kontrolluntersuchung ca. 8 Wochen nach der Entbindung mit oralem Glukosetoleranztest (oGTT). „Leider nehmen aber nur etwa 30 bis 50 Prozent der Frauen diese Chance wahr“, bedauert Kautzy-Willer. Ist der oGTT nach der Entbindung ohne Befund, genügt es, die Lebensstilmaßnahmen weiterzuführen und künftig etwa alle 1 bis 2 Jahre zu kontrollieren.

Risikoscore hilft bei der Einschätzung

Meike Köhler vom Institut für Diabetesforschung am Helmholtz-Zentrum München stellte einen neu entwickelten Score für das Diabetesrisiko nach einem GDM vor. Datenbasis war eine Kohorte von deutschen GDM-Patientinnen, die im Median 4,6 Jahre (bis zu 19 Jahre) nachbeobachtet wurden.

„Der Score
erfasst bekannte Risikofaktoren bei GDM-Patientinnen für einen künftigen Typ-2-Diabetes. Seine Aussagekraft sollte nun prospektiv in einer unabhängigen Kohorte evaluiert werden.“
Dr. Helmut Kleinwechter

Ursprünglich hatten die Statistiker um Köhler etliche Marker ins Auge gefasst, übrig blieben nur 4, deren gewichtete Summe ermittelt wird: „Eine notwendige Insulintherapie zählt 160 Punkte. Der Body-Mass-Index wird mit 4 multipliziert und das Produkt hinzuaddiert. Eine positive Familienanamnese bringt 15 Punkte. Für das Stillen dagegen werden 30 Punkte subtrahiert, da es einen protektiven Einfluss hat“, zählte Köhler auf. Dabei können durchaus Werte von 50 bis über 350 Punkten zusammenkommen.

Der Cut-off für ein hohes vs. niedriges Diabetesrisiko wurde bei 156 Punkten ermittelt: Die Diabeteswahrscheinlichkeit betrug nach 1, 5 und 10 Jahren für die Hoch- vs. Niedrigrisikogruppe 39% vs. 7%, 69% vs. 15% und 87% vs. 25%, so Köhler.

„Der Score erfasst bekannte Risikofaktoren bei GDM-Patientinnen für einen künftigen Typ-2-Diabetes“, so Kleinwechter. „Seine Aussagekraft sollte nun prospektiv in einer unabhängigen Kohorte evaluiert werden.“

Therapeutische Konsequenzen hat solch ein Punktwert nicht: „Man könnte ihn verwenden, um den Patientinnen ihr Risiko noch eindrücklicher darzustellen“, bestätigte Kautzky-Willer gegenüber Medscape Deutschland. „Aber auch Frauen mit GDM, die unter dem genannten Cut-off bleiben, sollten unbedingt nachbeobachtet werden.“

Referenzen

Referenzen

  1. 49. Kongress der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG 2014), 28. bis 31. Mai 2014, Berlin
    Symposium „Gestationsdiabetes – Was wird aus Mutter und Kind?“ (29. Mai 2014)
    http://www.diabeteskongress.de/ programm/wissenschaftliches-programm.html
  2. Metzger BE, et al: N Engl J Med. 2008; 358(19):1991-2002
    http://dx.doi.org/10.1056/NEJMoa0707943
  3. Retnakaran R, et al: Diabet Med. 2011; 28(3):287-292
    http://dx.doi.org/10.1111/j.1464-5491.2010.03179.x

Autoren und Interessenkonflikte

Simone Reisdorf
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Kautzky-Willer A: Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Kleinwechter H, Köhler M: Es liegen keine Angaben zu Interessenkonflikten vor.

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