San Francisco – Ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem automatisierten künstlichen Pankreas: Bei der Jahrestagung 2014 der American Diabetes Association (ADA) in San Francisco haben Forscher der Harvard Medical School in Boston 2 kleine Studien mit ambulanten Typ-1-Diabetespatienten vorgestellt, die 5 Tage lang ein tragbares neuartiges künstliches Pankreas ausprobiert hatten [1]. Das Besondere dieses „closed-loop“-Systems: Es kombiniert – über ein modifiziertes iPhone – eine kontinuierliche Glukosemessung mit einer Infusionspumpe, die nicht nur Insulin, sondern auch Glukagon abgibt.

„Mehrere internationale Forschungsprojekte, sowohl in Europa – hier die Projekte „DREAM“, „AP@home“ und „DIAdvisor“ – als auch in den USA arbeiten am Closed-Loop-System“, erläutert dazu Prof. Dr. Thomas Danne, Pädiater und Diabetologe am Kinderkrankenhaus auf der Bult in Hannover gegenüber Medscape Deutschland. Alle diese Projekte nutzten handelsüblich verfügbare Glukosesensoren und Insulinpumpen, die über ein Smart-Phone oder einen Laptop-Computer gesteuert werden. Danne sieht bei der Entwicklung des künstlichen Pankreas nun einen Wendepunkt gekommen: „Nachdem das artifizielle Pankreas über fast fünf Jahrzehnte eher als Vision galt, ist es nun experimentell realisiert.“ Nun müsse es weiter optimiert sowie durch die Gesundheitsbehörden zugelassen und dann kommerziell eingeführt werden.
In der aktuellen Studie haben im Cross-over-Design 20 Erwachsene während ihres normalen Alltags (den sie aus Sicherheitsgründen während der Zeit mit dem künstlichen Pankreas in einem Hotel verbrachten) und in der zweiten Studie 32 Heranwachsende während eines Diabetes-Jugendcamps jeweils die künstliche bionische Bauchspeicheldrüse getragen (unter Bionik versteht man die Übertragung von Phänomenen der Natur auf die Technik). In der Kontrollphase haben die Teilnehmer dagegen ihre Diabeteserkrankung mit einer herkömmlichen – ihrer eigenen – Insulinpumpe behandelt.

„Ein großer Schritt vorwärts“
Die Qualität der Blutzuckereinstellung war mit dem bionischen Pankreas sogar besser als mit der normalen Pumpentherapie, berichtete Prof. Dr. Steven J. Russell beim ADA-Kongress. Er und sein Team vom Massachusetts General Hospital haben das bionische Pankreas gemeinsam mit Kollegen um Prof. Dr. Ed Damiano von der Abteilung für Biomedizinisches Ingenieurwesen der Boston University entwickelt. Die Studie ist zeitgleich zur Präsentation beim Kongress im New England Journal of Medicine publiziert worden [2].
„Es ist ein großer Schritt vorwärts, weil wir zum ersten Mal das bihormonale bionische Pankreas ‚draußen‘ in einer realistischen Situation getestet haben, wo wir keine Restriktionen bei der Ernährung, den Aktivitäten und im Alltag auferlegt haben“, kommentierte Hauptautor Russell das Ergebnis der Studie gegenüber Medscape Medical News. „Das war eine viel größere Herausforderung als die Klinikumgebung, in der wir das System zuvor getestet hatten.“
Der Pädiater Prof. Dr. Stuart A. Weinzimer, Yale Univerity, New Haven, Connecticut, der bereits viel auf diesem Gebiet geforscht hat, bestätigte, dass auch er die Studienergebnisse für „sehr aufregend“ halte. „Es war ein unglaublich ambitioniertes Projekt, und wir haben diese Studienergebnisse ungeduldig erwartet.“ Er gibt aber auch zu bedenken, dass das System bislang noch bei weitem nicht perfekt ist.
Bessere Blutzuckereinstellung, kürzere Zeit in der Hypoglykämie
als Vision galt, ist es nun experimentell realisiert.“
So gab es mit dem bionischen Pankreas immer noch Blutzuckerentgleisungen in zu hohe bzw. zu niedrige Werte. In der Erwachsenenstudie hatten z.B. die Teilnehmer, während sie das bionische Pankreas trugen, 4,8% der Zeit Blutglukosewerte unter 70 mg/dl (3,9 mmol/l). Andererseits war die Zeit mit zu niedrigen Glukosewerten nach dem ersten Anpassungstag an das künstliche Pankreas geringer als während der Kontrollphase mit der herkömmlichen Pumpenbehandlung (4,1% vs. 7,3% der Zeit, p = 0,01). Glukosemessungen unterhalb von 60 mg/dl waren mit dem bionischen Pankreas um 67% reduziert, berichteten die Autoren. Nachts betrug die Reduktion sogar 94%.
Auch waren die erreichten mittleren Plasma-Glukosespiegel mit dem bionischen Pankreas näher an der Norm als bei normaler Pumpentherapie (133 ± 13 mg/dl nach dem 1. Tag vs. 159 ± 30 mg/dl in der Kontrollphase, p = 0,004).
Bei den Jugendlichen waren die mittleren mit dem künstlichen Pankreas erreichten Blutzuckerspiegel ebenfalls niedriger (138 ± 18 mg/dl vs.157 ± 27 mg/dl, p = 0,004). Sie hatten unter beiden Behandlungen jedoch ähnlich lange Zeiten im hypoglykämischen Bereich (6,1 zu 7,6%, p = 0,23), mussten aber mit dem bionischen Pankreas seltener korrigierend bei Hypoglykämien eingreifen – im Schnitt nur einmal alle 1,6 Tage, bei normaler Pumpentherapie dagegen einmal pro 0,8 Behandlungstage. Auch die Menge der gegen Hypoglykämien verabreichten Kohlenhydrate war halbiert.
zum ersten Mal
das bihormonale bionische Pankreas ‚draußen‘ in einer realistischen Situation getestet.“
Kontrollalgorithmus auf dem iPhone
Beim bionischen Pankreas läuft der Kontrollalgorithmus, der die Messwerte der kontinuierlichen Glukosemessung mit der Hormonabgabe koordiniert, über ein iPhone. Die Glukosemessung erfolgt im interstitiellen Gewebe mit dem G4 Platinum Continuous Glucose Monitor (CGM) von DexCom; Glukagon und Insulin werden subkutan über eine t:slim Infusionspumpe (Tandem Diabetes Care) abgegeben. Die Basalrate wird dabei über eine automatische Insulin/Glukagon-Abgabe alle 5 Minuten gesichert. Die Teilnehmer können zudem vor dem Essen Angaben zur Größe der geplanten Mahlzeiten eingeben, sowie den Mahlzeiten-Typ, ob Frühstück, Mittag- oder Abendessen. Daraus berechnet das System – basierend auf dem Körpergewicht des Patienten – die Größe des Bolus, der dann automatisch abgegeben wird.