Früher waren Reisende in Entwicklungsländer und die Tropen meist junge gesunde Menschen. „Heute haben Reisende oft Vorerkrankungen und nehmen Medikamente ein, die bei der reisemedizinischen Beratung berücksichtigt werden müssen“, sagt Prof. Dr. Gerd Burchard, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit (DTG).
In einer Untersuchung an 16.000 Reisenden hatten 20% eine chronische Erkrankung und 14% nahmen regelmäßig Medikamente ein. „Es ist möglich, dass es zwischen den Medikamenten gegen chronische Krankheiten und den vor Reisebeginn verschriebenen Medikamenten zu Wechselwirkungen kommt“, warnen die Autoren um Dr. Shmuel Stienlauf. Zudem könnten Krankheiten selbst oder Allergien ein Risiko für den Einsatz verschiedener Reisemedikamente darstellen [1].
Stienlauf und sein Team vom reisemedizinischen Zentrum des Chaim Sheba Medical Center in Tel Hashomer, Israel, untersuchten das Risiko für Wechselwirkungen bei Medikamenten zur Malariaprophylaxe, Antibiotika zur Selbsttherapie von Reisedurchfall und Medikamenten zur Prävention der Höhenkrankheit. Teilnehmer der retrospektiven Studie waren die mehr als 16.000 Reisenden, die sich in einem 3-jährigen Zeitraum an das reisemedizinische Zentrum wandten.
Die Hälfte der Reisenden hat Potenzial für Wechselwirkungen
in Deutschland zur Malariaprophylaxe aufgrund seiner psycho-vegetativen Nebenwirkungen nicht mehr empfohlen.“
Die chronisch kranken Reisenden nahmen mehr als 370 verschiedene Medikamente ein, am häufigsten Mittel gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Cholesterinsenker, Schilddrüsenhormone und Gerinnungshemmer. Von den weiblichen Reisenden nahmen 14% die Pille. Die Autoren nutzten die Arzneimittel-Informations-Datenbank Micromedex®, um Wechselwirkungen zwischen Reisemedikamenten und den eingenommen Medikamenten zu finden [2].
Die auf Wechselwirkungen untersuchten Medikamente zur Malariaprophylaxe waren Mefloquin, Primaquin, Doxycyclin und Atovaquon/Proguanil (Malarone). Notfallmedikamente bei Reisedurchfall waren Fluorochinolone (Ciprofloxacin, Ofloxacin), Rifaximin und Azithromycin. Zur Prophylaxe und Therapie der Höhenkrankheit wurde der Carboanhydraseinhibitor Acetazolamid verschrieben.
Die Autoren fanden, dass fast die Hälfte der Reisenden Medikamente einnahmen, die schädliche Wechselwirkungen mit Reisemedikamenten haben können. 85% dieser Wechselwirkungen waren entweder schwer (potenziell lebensbedrohlich) oder moderat (verschlimmern die chronische Erkrankung).
Von allen untersuchten Reisemedikamenten hatten die Fluorochinolone und Azithromycin das größte Potenzial für Wechselwirkungen mit der Dauermedikation. Von den chronisch eingenommenen Medikamenten waren es die Statine und Metformin, die die häufigsten Wechselwirkungen mit Reisemedikamenten hatten.
Auch zwischen der chronischen Erkrankung selbst und der Reisemedikation kann es zu Wechselwirkungen kommen, in der Studie der israelischen Forscher betraf dies etwa ein Fünftel der chronisch kranken Reisenden.
Malariaprophylaxe auf Vorerkrankungen abstimmen
Wie sollten diese Daten nun die Beratung von Reisenden beeinflussen? Malaria sei die wichtigste Infektionskrankheit bei Reisenden in Entwicklungsländer, schreiben die Autoren. Sie bemängeln, dass die zur Verfügung stehenden Leitlinien und Empfehlungen chronische Erkrankungen und dauerhaft eingenommene Medikamente bei Reisenden nicht genügend berücksichtigen. Für Deutschland gelte dies aber nicht, wie Burchard betont: „Die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit (DTG) zur Chemoprophylaxe der Malaria gehen ausdrücklich auf Personengruppen mit Vorerkrankungen sowie potenzielle Wechselwirkungen der Malariamedikamente ein.“ [3]
es in Deutschland gute Leitlinien,
nicht aber für den Reisedurchfall.“
Für Reisen in Malaria-Hochrisikogebiete ist in Deutschland das Mittel der Wahl für die Prophylaxe Malarone. Das Kombipräparat mit den Wirkstoffen Atovaquon und Proguanil verursacht kaum Wechselwirkungen. „Atovaquon/Proguanil hat nur Wechselwirkungen mit antiretroviralen Mittel, weshalb Vorsicht geboten ist bei der Behandlung von Menschen mit HIV-Infektion“, schreiben die Autoren.
Am häufigsten mit gefährlichen Wechselwirkungen verbunden war das Malariamittel Mefloquin. „In unserer Untersuchung nahmen sechs Prozent der Reisenden Medikamente ein, die mit Mefloquin wechselwirken können. Es kann zu einer Verlängerung der Überleitungszeit im Reizleitungssystem des Herzen und Herzrhythmusstörungen kommen.“
„Mefloquin wird in Deutschland zur Malariaprophylaxe aufgrund seiner psycho-vegetativen Nebenwirkungen nicht mehr empfohlen“, sagt Burchard. Es ist insbesondere bei Menschen mit psychischen und neurologischen Erkrankungen kontraindiziert. „Man weiß, dass Mefloquin psychische und neurologische Erkrankungen verschlimmern kann, bis hin zur Suizidgefahr.“
Ein weiteres Medikament zur Malariaprophylaxe, das Stienlauf und Kollegen überprüften, ist Primaquin, das jedoch in Deutschland als Mittel zur Malariaprophylaxe nicht zugelassen ist. Es ist kontraindiziert bei Menschen mit Glukose-6-Phospatdehydrogenase-Mangel. Dieser muss vor der Einnahme ausgeschlossen werden. „In unserer Kohorte von Reisenden hatten 1,2 Prozent einen solchen Mangel“, so die Autoren.
Auch Doxycyclin kann zur Malariaprophylaxe eingesetzt werden. „Doxycyclin hätte in unserer Studie bei sechs Prozent der Reisenden schwere Wechselwirkungen verursachen können“, berichten die Autoren. Zudem existieren in der Literatur – widersprüchliche – Daten, dass Doxycyclin die Wirkung der Pille herabsetzt.
Reisedurchfall: Antibiotika zur Selbsttherapie in Deutschland unüblich
„Für die Malaria-Prophylaxe gibt es in Deutschland gute Leitlinien“, sagte Burchard, „nicht aber für den Reisedurchfall. Grundsätzlich ist es in Deutschland nicht üblich, Reisenden Medikamente für den akuten Reisedurchfall mitzugeben – wie es in der Studie von Stienlauf recht häufig vorkam“, so Burchard. Antibiotika zur Selbsttherapie des Reisedurchfalls könne man im Einzelfall mitzugeben, z.B. bei Expeditionen in Gebiete, in denen es keine medizinische Versorgung gebe.
„Wenn man ein Mittel gegen Reisedurchfall mitgeben möchte, dann ist Azithromycin das Mittel der Wahl“, so Burchard. „Dann muss man aber auch darauf achten, was der Patient sonst noch einnimmt.“„In unserer Studie gab es bei 30 Prozent der Reisenden das Potenzial für moderate bis schwere Wechselwirkungen mit Fluorochinolonen und Azithromycin“, berichten die Autoren. „Die wichtigsten Nebenwirkungen waren Rhabdomyolyse, also unter anderem die Auflösung quergestreifter Muskelfasern, und eine Verlängerung des QT-Intervalls mit darauf folgenden potenziell tödlichen Herzrhythmusstörungen.“
„Wenn Azithromycin aufgrund der Vormedikation nicht geeignet ist, kann noch das Antibiotikum Rifaximin gegeben werden, das im Darm nicht resorbiert wird und deshalb keine Wechselwirkungen hat“, sagte Burchard.
Höhenkrankheit: Chemoprophylaxe nicht bei Diabetikern
Bei Reisen in große Höhen kann durch die prophylaktische Einnahme von Acetazolamid die Höhenkrankheit vermieden werden. Stienlauf und Kollegen raten aber auch hier zur Vorsicht. Die gleichzeitige Einnahme von Acetazolamid und Metformin, wie sie bei 3% der Reisenden in der Kohorte vorkam, geht mit einem erhöhten Risiko für Laktatazidose einher. Acetazolamid kann zudem bei Diabetikern die Blutzuckerkontrolle beeinträchtigen. Eine weitere Sorge ist, dass Acetazolamid bei Typ-1-Diabetikern eine Ketose induzieren könnte.
„Die derzeit zur Verfügung stehenden Daten sprechen deshalb dafür, Acetazolamid zur Prävention der Höhenkrankheit nicht bei Diabetikern einzusetzen, ganz besonders wenn sie Metformin einnehmen“, so die Autoren. „In Deutschland ist es generell nicht üblich, eine medikamentöse Prophylaxe der Höhenkrankheit zu betreiben“, ergänzt Burchard.
Stienlauf und seine Koautoren ziehen das Fazit, dass bei Reisenden, die chronisch Medikamente einnehmen, ein hohes Potenzial für Wechselwirkungen mit Reisemedikamenten existiert. Ärzte sollten sich deshalb dieser Gefahren bewusst sein und den zu erwartenden Nutzen gegen diese Risiken abwägen, wenn sie Reisende beraten, empfehlen sie.