Chicago – Bei der Jahrestagung der US-amerikanischen Onkologen (ASCO) wurden bahnbrechende Fortschritte bei der Behandlung des metastasierten Prostatakarzinoms vorgestellt [1]. Eine Chemotherapie mit Docetaxel zu Beginn einer Hormonbehandlung führt zu einer Verlängerung der Lebenszeit um mehr als 13 Monate bei Männern mit hormonsensitivem metastasiertem Prostatakarzinom. Dies berichtete Dr. Christopher Sweeney vom bekannten Dana Farber Cancer Institute in Boston [2]. Der Behandlungseffekt ist sogar größer bei Patienten mit einer weiter fortgeschrittenen Erkrankung, das zeigen die Ergebnisse der randomisierten klinischen Phase-3-Studie.
Ergebnisse mit hoher klinischer Relevanz
„Erstmalig sehen wir eine deutlich höhere Überlebenschance der Patienten mit soliden und metastasierenden Tumoren”, sagte Sweeney, unter dessen Federführung die Studie lief. Dies seien sehr überzeugende Daten mit erheblicher Relevanz für Patienten, die bereits unter einem hohen Volumen von Metastasen leiden, und eine Ermutigung, die zusätzlichen Belastungen einer Chemotherapie auf sich zu nehmen.
Nach bisheriger klinischer Praxis behandelt man Prostatakarzinompatienten, die bereits Metastasen aufweisen, zunächst mit einer Hormontherapie, wodurch sich der Tumor meist zurückbildet. Nach einiger Zeit tritt jedoch das hormonresistente Stadium auf, es kommt zur Tumorprogression. Um die Lebensqualität möglichst lange zu erhalten, wird die Chemotherapie konventionell erst dann verabreicht, wenn der Patient nicht mehr auf die Hormontherapie anspricht.
„Oft sind die Patienten zum Zeitpunkt der Tumorprogression jedoch bereits zu schwach für eine Chemotherapie, was für einen früheren Einsatz von Docetaxel spricht”, argumentierte der Onkologe aus Boston. „Ein wichtiger Vorteil der Gabe von Docetaxel bereits bei Beginn der Hormontherapie ist auch die Tatsache, dass neu entstandene testosteronresistente Tumorzellklone abgetötet werden”, erklärte Sweeney zu Beginn seines Vortrags. Dies führe zu einer Verlängerung der Remission.
Deutlicher Vorteil für hochgradig metastasierte Patienten
Die Studie mit der Bezeichnung E3805, an der zwischen Juli 2006 und November 2012 insgesamt 790 Männer mit metastasiertem Prostatakarzinom teilnahmen, vergleicht eine reine Androgen-Deprivationstherapie (ADT) mit einer Kombination aus Chemotherapie (Gabe von Docetaxel) plus Hormontherapie (ADT).
Zunächst wurde der Grad der Metastasierung (hoch oder niedrig) bei den Patienten festgestellt, wobei ein hoher Grad mindestens 4 oder mehr Knochenmetastasen aufweisen musste. Die Patienten wurden dann in randomisierten Versuchsgruppen behandelt, entweder nur mit ADT oder ADT in Kombination mit 6 Zyklen von Docetaxel. Alle Teilnehmer wurden nach besonderen Merkmalen gleichmäßig auf die Versuchsgruppen verteilt: In beiden Versuchsgruppen litten etwa 2 Drittel der Patienten unter einem hohen Metastasierungsgrad, und 3 Viertel hatten noch keine lokalisierte Behandlung erhalten. Die Chemotherapie wurde alle 3 Wochen und über einen Gesamtzeitraum von 18 Wochen verabreicht.
Die Ergebnisse der Studie, die vom US-amerikanischen National Cancer Institute (NCI) unterstützt wird, zeigen einen deutlichen Vorteil des Kombinationsregimes: Bis Januar 2014 gab es über einen Zeitraum von 29 Monaten insgesamt 101 Todesfälle bei den Patienten, die das Chemotherapie-Medikament Docetaxel in Kombination mit der Androgen-Deprivationstherapie (ADT) erhielten, verglichen mit 136 Todesfällen bei den Patienten mit reiner Hormonbehandlung. Die durchschnittliche Überlebenszeit verlängerte sich durch die Kombinationstherapie um 13 Monate von 44 auf 57,6 Monate.
Je mehr Metastasen, desto besser wirkte die Therapie
Bei Männern mit einem hohen Metastasierungsgrad war der Vorteil sogar deutlich größer: die durchschnittliche Überlebensrate wurde um 17 Monate verlängert auf 49,2 Monate im Vergleich zu 32,2 Monaten bei reiner ADT.
In allen experimentellen Untergruppen war die Kombination Chemo- plus Hormontherapie von Vorteil: Die Durchschnittszeit bis zur klinischen Progression war verlängert und belief sich auf einen Zeitraum von 32,7 Monaten im Vergleich zu 19,8 Monaten bei reiner Hormontherapie. Auch die Zeitspanne bis zur Entwicklung eines kastrationsresistenten Prostatakarzinoms war unter Docetaxel plus ADT signifikant verlängert.
Die erhobenen Daten waren schon bei einer Zwischenanalyse im Oktober 2013 so überzeugend, dass erste Resultate bereits vor dem Abschluss der Studie von den US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH) zur Veröffentlichung freigegeben wurden [3].
Die Relevanz für die klinische Praxis liegt in der frühen Einführung von Docetaxel bei gleichzeitig beginnender Hormontherapie, zu einem Zeitpunkt, zu dem die Patienten diese besser vertragen, die Therapie aber auch besser anschlägt. Das gilt insbesondere für Männer im fortgeschrittenen Krankheitsstadium, die aber fit genug sind für eine Chemotherapie.
Vorteil der Gabe
von Docetaxel
bereits bei Beginn
der Hormontherapie ist auch die Tatsache, dass neu entstandene testosteronresistente Tumorzellklone abgetötet werden.“
In der Diskussion über die Toxizität von Docetaxel wurde berichtet, dass immerhin 28% der Patienten an Nebenwirkungen litten, die eventuell Folge der Chemotherapie sein könnten. Je ein Prozent der Männer auf dem Chemo-Hormon-Regime litten unter schweren Störungen sensorischer oder motorischer Nerven, 6% unter febriler Neutropenie und einer der 397 Patienten auf Docetaxel starb an den Folgen der Behandlung.
Weitere Analysen erforderlich
In der Plenary Session der ASCO diskutierte Dr. Michael J. Morris vom Memorial Sloan Kettering Center in New York die von Sweeney vorgestellten Ergebnisse [4].
Die Studie zeige eindeutige Vorteile für die Kombination Docetaxel plus ADT bei Patienten im fortgeschrittenen Krankheitsstadium mit kastrationssensitivem Prostatakarzinom. Durch den Einsatz von Docetaxel zu einem früheren Zeitpunkt im Krankheitsverlauf vervielfältige sich der Überlebensvorteil in einer Dimension, die man so noch nicht verzeichnet habe, von 2 oder 3 Monaten auf mehr als 13 Monate. Jedoch seien weitere Analysen der Patienten mit weniger Metastasen nötig, um zu untersuchen, ob diese ebenfalls von einer Kombinationstherapie profitieren könnten.
Morris wies darauf hin, dass das Vorkommen eines bereits metastasierten Prostatakarzinoms bei Erstdiagnose mit 4,2% eher selten sei. Die Zahl der Patienten, die außerdem ein hohes Volumen an Metastasen aufweise, sei wiederum ein Bruchteil davon. Insofern ist nur ein sehr kleiner Teil der Patienten betroffen. Trotzdem verändere die vorgestellte Studie immerhin die Behandlung und die Prognose von einigen Patienten.
Ein wichtiger nächster Schritt ist nach Ansicht von Morris, diejenigen Patienten zu identifizieren, welche wirklich von einer frühen Chemotherapie profitierten, und diejenigen, bei denen das nicht der Fall sei. Hierfür müsse man eventuell die Einteilung des Metastasierungsgrades noch einmal neu festlegen.