Nervenwachstumsfaktor heilt Hornhautgeschwüre – bald als Medikament?

Nadine Eckert | 11. Juni 2014

Autoren und Interessenkonflikte

Der rekombinante humane Nervenwachstumsfaktor (rhNGF) ist die erste kurative Therapie für neurotrophe Keratopathien. Bislang gab es keine wirklich effektive Behandlung.


Prof. Dr. Claus Cursiefen

„Die Idee, rhNGF bei neurotropher Keratopathie einzusetzen, ist nicht neu“, erläutert Prof. Dr. Claus Cursiefen im Gespräch mit Medscape Deutschland. „Doch nun hat sich endlich eine Arzneimittelfirma entschlossen, ihn als Medikament für Patienten zu produzieren“, sagt der Geschäftsführende Direktor des Zentrums für Augenheilkunde der Universität zu Köln.

Bei der Jahresversammlung der Association for Research in Vision and Ophthalmology (ARVO) in Orlando sind vorläufige Daten der REPARO-Phase-1-Studie zu rhNGF bei neurotropher Keratopathie vorgestellt worden [1, 2]. Sie bestätigen die Verträglichkeit der Substanz und zeigen, dass bei einem hohen Anteil an Patienten die Hornhautläsionen vollständig heilen.

Geschwüre, Risse, Verlust der Sehkraft

„Die neurotrophe Keratopathie ist eine degenerative Erkrankung, die aus einer verminderten Innervation der Hornhaut infolge verschiedener Krankheitszustände wie Diabetes, Herpes-Infektionen oder neurochirurgischer Eingriffe resultiert“, erläutert Prof. Dr. Stefano Bonini, Leiter des Instituts für Augenheilkunde am BioMedico-Campus in Rom und leitender Prüfarzt der REPARO-Studie, in einer Pressemitteilung. „Die Erkrankung kann Geschwüre und Risse in der Hornhaut verursachen und so zum Verlust der Sehkraft führen.“

Bereits 1986 erhielt die italienische Neurologin Rita Levi Montalcini für ihre Untersuchung von rhNGF den Nobelpreis für Medizin. „Dass NGF bei neurotropher Keratopathie fehlt, weiß man schon lange“, sagt Cursiefen. 1998 berichteten der Augenarzt Dr. Alessandro Lambiase und Kollegen von der Universität Tor Vergata in Rom, dass NGF-Augentropfen bei Patienten mit neurotrophen Hornhautgeschwüren die Integrität der Hornhaut wieder herstellen können [3].

Als Orphan Disease lange wenig attraktiv

Doch die schweren, behandlungsbedürftigen Stadien der neurotrophen Keratopathie sind selten. Mit einer geschätzten Prävalenz von deutlich unter 5/10.000 Personen zählt die Erkrankung zu den seltenen Erkrankungen (Orphan Diseases) und bietet somit keinen großen Markt für Medikamente.

Es dauerte deshalb noch einmal 15 Jahre, bis sich ein Unternehmen für den Wachstumsfaktor interessierte. 2013 starte das italienische biopharmazeutische Unternehmen Dompé das REPARO-Studienprogramm, um rhNGF als Medikament gegen neurotrophe Keratopathie auf den zu Markt bringen. In Deutschland ist neben 5 weiteren Studienzentren auch die Augenklinik der Universität zu Köln beteiligt.

An der Phase 1 nahmen 18 Patienten mit mäßiger bis schwerer neurotropher Keratopathie teil. Bei den Studienteilnehmern war die Erkrankung durch Diabetes, Augeninfektionen mit Herpes-Viren, andere Infektionen und neurochirurgische Eingriffe verursacht. „In selteneren Fällen kann die neurotrophe Keratopathie auch angeboren sein“, berichtet Cursiefen. „Weitere Ursachen können Operationen an der Hornhaut wie LASIK oder Katarakt-Operationen sein“ (LASIK: Laser-in-situ-Keratomileusis).

Gesunde Hornhaut braucht Wachstumsfaktoren

„Im gesunden Auge setzen die Nerven Wachstumsfaktoren frei, die für die Integrität der Hornhaut wichtig sind. Bei neurotropher Keratopathie kommt es zu Hornhautgeschwüren, weil die Nerven geschädigt sind und nicht mehr ausreichend Wachstumsfaktoren sezernieren“, erklärt Cursiefen.

„Die Idee, rhNGF
bei neurotropher Keratopathie einzusetzen, ist
nicht neu. Doch nun hat sich endlich eine Arzneimittelfirma entschlossen, ihn
als Medikament
für Patienten zu produzieren.“
Prof. Dr. Claus Cursiefen

Der Wachstumsfaktor rhNGF ist für Patienten gedacht, die auf die bisher zur Verfügung stehenden Behandlungen nicht ansprechen. „Die neurotrophe Keratopathie wird bislang mit befeuchtenden Augentropfen behandelt. Hilft das nicht, kann operiert werden. Dabei wird ein Stück Amnionmembran auf die Hornhaut genäht, um die Heilung zu fördern. In besonders schweren Fällen hat man auch schon die Augenlider komplett zugenäht, oder der Patient braucht eine Hornhauttransplantation“, so Cursiefen.

In der REPARO-Studie verglichen die Autoren Augentropfen mit rhNGF (10 mg/ml und 20 µg/ml) gegen Placebo. Nach Behandlungsende wurde bei 11 der mit rhNGF behandelten Patienten eine deutliche Verbesserung des Hornhautzustands festgestellt. Bei der Mehrheit der Patienten war die Hornhautläsion vollständig abgeheilt. Die unterschiedliche Dosierung von rhNGF machte dabei keinen Unterschied. Bei etwa einem Drittel der Patienten stieg auch die Sensitivität der Hornhaut an.

NGF stimuliert das Wachstum, den Erhalt und das Überleben von Nervenzellen. Für die Phase 2 der REPARO-Studie werden derzeit Patienten rekrutiert [2]. Die Studie wird an 39 Zentren in 9 europäischen Ländern durchgeführt. In Deutschland nehmen 6 Zentren an der Studie teil.

Referenzen

Referenzen

  1. ARVO 2014: Annual Meeting, Association for Research in Vision and Ophthalmology, 4. bis 8. Mai 2014, Orlando, Florida
    http://www.arvo.org/Annual_Meeting/Past_Annual_Meetings
  2. Abstract der Studie:
    http://www.arvo.org/webs/am2014/abstract/sessions/442.pdf
  3. REPARO-Studienprogramm
    www.clinicaltrials.gov/ct2/show/study/NCT01756456?term=REPARO&rank=1
  4. Lambiase A, et al: NEJM. 1998; 338:1174-1180
    http://dx.doi.org/10.1056/NEJM199804233381702

Autoren und Interessenkonflikte

Nadine Eckert
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Cursiefen C: Prüfarzt der REPARO-Studie
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