Berlin – Menschen mit Typ-2-Diabetes sind in der Regel übergewichtig und pflegen einen eher inaktiven Lebensstil. Dementsprechend lautet der gängige ärztliche Rat an diese Patienten: „Sorgen Sie für mehr körperliche Aktivität, nehmen Sie ab und ernähren Sie sich gesund!“ Doch auf Grundlage welcher klinischen Daten lassen sich diese Empfehlungen geben?
Die vorliegende Studienevidenz von Allgemeinmaßnahmen beim Typ-2-Diabetes, welche Ratschläge für Lebensstiländerungen sich daraus ableiten lassen und wie man diese am besten an den Patienten bringt, diskutierten Experten verschiedener Fachrichtungen beim Jahreskongress der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) in Berlin [1].
Look AHEAD: Primärer Endpunkt verfehlt – trotzdem kein negativer Ausgang
halbvoll ist.“
Die wichtigste Lebensstil-Studie für Diabetiker der letzten Jahre ist sicher Look AHEAD [2]. „Look AHEAD war die erste Studie, die versucht hat, den Nutzen von Lebensstiländerungen bei Patienten mit Typ-2-Diabetes prospektiv zu prüfen“, erinnerte Prof. Dr. Norbert Hermanns, Psychologe am Forschungsinstitut der Diabetesakademie Mergentheim (FIDAM), beim Kongress. Doch endete die Studie leider nicht mit dem gewünschten Ergebnis.
Geplant war eine Studiendauer von mehr als 13 Jahren. Abgebrochen wurde bereits nach 9,5 Jahren. Ein Beratergremium der National Institutes of Health (NIH), die die Studie durchgeführt hatten, war zu dem Schluss gekommen, das primäre Ziel, nämlich durch intensive Lebensstiländerung das kardiovaskuläre Risiko von adipösen Patienten mit Typ-2-Diabetes signifikant zu senken, sei nicht mehr zu erreichen: Nach fast 10 Jahren gab es immer noch keinen Unterschied zwischen der Gruppe mit intensiver Lebensstilintervention und der Kontrollgruppe gemessen am primären Endpunkt (kardiovaskulärer Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall oder stationäre Behandlung wegen Angina).
Sind also alle Bemühungen um mehr Bewegung, Abnehmen und gesunde Ernährung bei diesen Patienten nutzlos? Look AHEAD habe „nur primär zu einem enttäuschenden Ergebnis“ geführt, meinte Prof. Dr. Klaus G. Parhofer, Medizinische Klinik und Poliklinik II Klinikum der Universität München, Großhadern. Er empfahl beim DDG-Kongress „eine andere Betrachtungsweise der Studie“.
Weniger Medikamente, doch der gleiche kardiovaskuläre Schutz
Zunächst habe es nicht an der mangelnden Umsetzung der Lebensstilintervention gelegen, betonte er: Von den insgesamt 5.145 Teilnehmern mit einem mittleren Ausgangs-BMI von 36 kg/m² hatten diejenigen in der Gruppe mit intensiver Lebensstilintervention tatsächlich mehr abgenommen (über die gesamte Studiendauer im Schnitt 2 bis 4 kg) und waren körperlich fitter geworden als die Kontrollgruppe.
Auch ihr HbA1c-Wert und Bauchumfang hatten sich verringert. Doch gleichzeitig hatten diese Studienteilnehmer auch weniger Antihypertensiva (vor allem RAS-Hemmer), Antidiabetika und Statine erhalten. „Trotzdem ist in beiden Gruppen – was das kardiovaskuläre Risiko angeht – das gleiche Ergebnis erzielt worden!“, sagte Parhofer.
„Die gleichen Resultate bei weniger Medikation – die negative Wahrnehmung der Studie ist damit nicht gerechtfertigt!“, betonte der Münchner Diabetologe. Nach seiner Interpretation hatte die Gruppe mit intensiver Lebensstiländerung vor allem aufgrund der geringeren Verordnungsrate an Statinen einen schlechteren medikamentösen kardiovaskulären Schutz – dieser sei durch die Lebensstiländerungen ausgeglichen worden, so dass daraus das insgesamt neutrale Ergebnis der Studie resultierte.
die kardiovaskuläre Ereignisrate bei allen Lebensstil-Studien über den Blutdruck und vor allem die Lipide vermittelt wird!“
Parhofer erinnerte ebenso wie Hermanns daran, dass die Lebensstilgruppe zudem auch noch in weiteren sekundären Parametern profitiert und besser abgeschnitten hatte als die Kontrollgruppe. So hatte sie z.B. eine höhere Lebensqualität und weniger Depressionen, seltener Schlafapnoe, eine bessere körperliche Fitness, weniger erektile Dysfunktion bei den Männern und weniger Inkontinenz bei den Frauen.
Hermanns führte noch weitere Punkte an, die den Ausgang der Studie beeinflusst hatten: So war die kardiovaskuläre Ereignisrate niedriger als die angenommenen 2% pro Jahr gewesen – gerade zwischen den Jahren 2000 und 2010, als die Studie stattfand, habe sich z.B. die Infarkt- und Schlaganfallrate unter Diabetespatienten in den USA stark verringert – stärker als in der übrigen Bevölkerung. „Die Studie war eindeutig underpowered“, sagte Hermanns. „Es hätte mehr Patienten gebraucht, um einen Effekt nachzuweisen.“ Auch er favorisiert daher eine andere Sicht auf die Studie: „Man kann auch danach noch sagen, dass das Glas halbvoll ist.“
PREDIMED: Olivenöl, Nüsse, Wein und Fisch – ohne Kalorienreduktion
Dass sich die Mühe um einen gesünderen Lebensstil lohnt, bestätigen zudem noch weitere große Studien. Parhofer erinnerte an die PREDIMED-Studie [3]: Sie hat die Effekte einer mediterranen Ernährung mit zusätzlich Olivenöl (mindestens 4 Teelöffel pro Tag) oder zusätzlich Nüssen (mindestens 3 Portionen à 50 g pro Woche) in der Primärprävention getestet. Die Kontrollgruppe erhielt lediglich den Rat, die Nahrungsfette zu reduzieren; in keiner der beiden Gruppen wurde eine Kalorienrestriktion verlangt.
Etwa die Hälfte der knapp 7.500 Teilnehmer hatte Diabetes. Das Ergebnis nach fast 5 Jahren Beobachtungsdauer: Die Rate an Infarkten, Schlaganfällen oder kardiovaskulären Todesfällen war in der Gruppe mit mediterraner Kost plus Nüsse oder Olivenöl um signifikant 30% geringer als in der Kontrollgruppe.
Was konkret bedeutet aber mediterrane Kost? Parhofer präsentierte eine Liste, welche Lebensmittel in der spanischen Studie empfohlen worden waren: Neben Olivenöl und Nüssen viel frisches Obst und Gemüse, weißes Fleisch, Hülsenfrüchte, Seefisch oder Meeresfrüchte mindestens 3-mal pro Woche und zu den Mahlzeiten ein Glas Wein (also mindestens 7 Gläser Wein pro Woche). Nicht empfohlen waren dagegen Softdrinks, rotes Fleisch, Streichfett und kommerziell hergestellte Backwaren.
Worauf der positive Effekt solcher Lebensstilinterventionen beruht, dazu hat Parhofer eine Hypothese: „Ich denke, dass der günstige Effekt auf die kardiovaskuläre Ereignisrate bei allen Lebensstil-Studien über den Blutdruck und vor allem die Lipide vermittelt wird!“ Er zitierte eine Metaanalyse von prospektiven Kohortenstudien, in denen die Aufnahme verschiedener Fettsäuren mit der kardiovaskulären Ereignisrate verglichen worden war.
Das etwas überraschende Ergebnis der 144.000 Teilnehmer umfassenden Analyse: Weder die Menge an aufgenommenen gesättigten Fetten, noch an einfach oder mehrfach ungesättigten Fettsäuren beeinflusste das kardiovaskuläre Risiko – jedoch wirkte sich eine hohe Aufnahme von Transfettsäuren eindeutig ungünstig aus und langkettige Omega-3-Fettsäuren waren – nicht ganz so eindeutig – eher günstig [4].
Und der Sport? 10 bis 20 Minuten täglich laufen, bringt bereits etwas
Bleibt noch die Frage nach der körperlichen Aktivität. Auch hier gab es im vergangenen Jahr eine große (positive) Studie. In einer Zusatzanalyse von NAVIGATOR (Medscape Deutschland berichtete), einer großen randomisierten Studie bei Patienten mit gestörter Glukosetoleranz und kardiovaskulären Risikofaktoren, in der eigentlich die Effekte von Nateglinide und Valsartan geprüft worden waren, hatte ein Teil der über 9.300 Teilnehmer einen Pedometer erhalten.
Die Frage war, inwieweit körperliche Aktivität mit der kardiovaskulären Ereignisrate verknüpft ist. Die Antwort: Pro 2.000 Schritte täglich mehr bei der „Baseline-Aktivität“ nahm das kardiovaskuläre Risiko um 10% ab. Verknüpfte man die Änderung der Ausgangs-Aktivität mit der kardiovaskulären Ereignisrate, dann verringerte sich diese um 8%, wenn das Aktivitätslevel um 2.000 Schritte pro Tag zunahm [5].
senkt das Risiko!“
Was bedeutet dies nun? Mit solchen Größenordnungen können Patienten möglicherweise nicht viel anfangen. „1.000 Schritte sind etwa zehn Minuten Gehzeit“, erläuterte Prof. Dr. Dr. Christine Graf von der Deutschen Sporthochschule Köln, Abteilung für Bewegungs- und Gesundheitsförderung. In Leitlinien empfohlen werden 150 Minuten – also 2,5 Stunden – Sport pro Woche, wobei etwa 1.000 kcal verbrannt werden. Nur rund 30% aller Männer und 20% der Frauen kommen nach der Deutschen Gesundheitsstudie von 2013 DEGS1 auf dieses Level. Und dies sind Eigenangaben, die oft noch etwas geschönt ausfallen, und Werte über alle Altersstufen – bekanntlich nimmt das Aktivitätslevel mit zunehmendem Alter ab.
Auch wenn die meisten typischen Diabetespatienten damit „meilenweit“ von der empfohlenen körperlichen Aktivität entfernt sind, seien selbst kleine Erfolge nicht zu vernachlässigen, sagte Graf. „Jede Minute Bewegungszeit senkt das Risiko!“ So verringere sich z.B. nach einer Studie die Wahrscheinlichkeit, ein Metabolisches Syndrom zu entwickeln mit 1.000 Schritten oder 10 Minuten Gehzeit, pro Tag zusätzlich bereits um 10%. „Zwischen 400 und 500 Schritte braucht es, um nur ein Stück Würfelzucker zu verbrennen“, so die Sportmedizinerin und Sportwissenschaftlerin. „Für eine Tafel Schokolade ist eine Stunde Joggen notwendig.“
Ihre Ratschläge an die Ärzte: „Passen Sie Ihre Vorschläge zur Lebensstiländerung an die Vorlieben des Patienten an! Berücksichtigen Sie auch Alltagsaktivitäten, nicht nur Sport im engeren Sinne. Krafttraining kann ebenso sinnvoll sein wie Ausdauertraining. Ein Schrittzähler kann ein wertvolles Motivationsinstrument sein.“
Das Ziel sei eine Ausdaueraktivität an 3 bis 5 Tagen die Woche von 30 bis 60 Minuten Dauer. Beim Krafttraining werden 2 bis 3 Tage pro Woche mit je 45 bis 60 Minuten angestrebt. Die Intensität sollte niedrig bis moderat beginnen (bei 50 bis 70% der maximalen Herzfrequenz, beim Krafttraining mit 8 bis 10 verschiedenen Übungen und jeweils 12 bis 15 Wiederholungen). So lasse sich langfristig vielleicht dann doch das Ziel von 150 Minuten pro Woche und 1.000 kcal zusätzlichem Energieverbrauch erreichen. „Niemals aufgeben!“ lautete ihr Appell.