Berlin – „Feinstaubpartikel unter 2,5 Mikrometer gelangen in unsere Alveolen, werden von Makrophagen aufgenommen, lösen Inflammation und oxidativen Stress aus und beeinträchtigen das autonome Nervensystem.“ Mit diesen Worten erklärte Prof. Dr. Annette Peters vom Helmholtz-Zentrum München beim Diabeteskongress die pathophysiologischen Zusammenhänge zwischen Umweltverschmutzung und der Inzidenz entzündungsassoziierter Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes [1].
Deshalb spielt laut Peters neben Lärm, extremen Temperaturschwankungen und Umweltgiften aus der Nahrung wie Bisphenol gerade die Schadstoffbelastung aus der Luft eine unrühmliche Rolle für die Gesundheit: Sie kann nicht nur Lungenerkrankungen fördern, sondern auch die Diabetesinzidenz steigern. Dies gilt insbesondere, wenn Überernährung hinzukommt, die diese schädlichen Prozesse ebenfalls triggert. Die aktuellen EU-Grenzwerte für Feinstaub – etwa der erlaubte Jahresmittelwert von 40 µg/m³ – sind zu weit gefasst, meint die Expertin.
Auch geringe Feinstaubbelastung ist nicht harmlos
„Ein Schwellenwert, unterhalb dessen eine Feinstaubbelastung nicht gesundheitsschädlich ist und die Entstehung des Typ-2-Diabetes begünstigen kann, ist derzeit nicht bekannt“, erläutert PD Dr. Christian Herder vom Deutschen Diabetes-Zentrum in Düsseldorf gegenüber Medscape Deutschland. „Wichtig ist in diesem Kontext, dass Feinstaubbelastung nicht nur in hohen Konzentrationen problematisch ist, wie sie zum Beispiel im Ruhrgebiet noch in den 1980er-Jahren messbar war, sondern dass auch die heutige geringere Exposition zu höherem Diabetesrisiko beitragen kann.“
Um den Zusammenhang von Feinstaub und Diabetesinzidenz detailliert nachzuweisen, griffen Dr. Gudrun Weinmayr und Kollegen vom Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung der Universität Düsseldorf auf 2 Datenbasen zurück und verknüpften sie miteinander.
schädlich ist … , ist derzeit nicht bekannt.“
Einerseits nutzten sie die Daten der Heinz Nixdorf Recall Studie (Recall steht für Risk Factors, Evaluation of Coronary Calcification, and Lifestyle): Alle 5 Jahre werden in einer Stichprobe der Allgemeinbevölkerung in Duisburg, Essen und Mülheim im Ruhrgebiet verschiedene Daten gewonnen. Die Teilnehmer dieser bevölkerungsbasierten Longitudinalstudie waren anfangs (2000 bis 2003) 45 bis 75 Jahre alt, bei der 2. und 3. Erhebung (2005 bis 2008 und 2010 bis 2013) entsprechend älter. Es wurden zahlreiche Parameter erfasst, die im Zusammenhang mit Myokardinfarkt und plötzlichem Herztod stehen könnten, darunter auch die Inzidenz eines Typ-2-Diabetes.
Feines Raster: Umweltschadstoffe auf je einen Quadratkilometer genau
Andererseits zapften die Forscher um Weinmayr die EURAD-Datenbank an, die auf den Quadratkilometer genaue Vorhersagen der lokalen und regionalen Luftverschmutzung für Europa, Deutschland und spezielle Teilregionen zur Verfügung stellt – und dies sogar getrennt nach Verschmutzungsquelle, etwa Industrie oder Verkehr. „Das ist vorher so noch nicht untersucht worden“, betonte Weinmayr beim Diabeteskongress.
Aber damit nicht genug: Die Forscher um Weinmayr berücksichtigten getrennt Feinstaub mit 10 µm oder 2,5 µm Partikelgröße sowie zusätzlich die Entfernung des Wohnorts der Probanden zu größeren Straßen. Und sie adjustierten das ermittelte Risiko der Diabetesinzidenz noch für zahlreiche individuelle Gesundheitsvariablen.
Von den ursprünglich 4.800 Teilnehmern der Heinz Nixdorf Recall Studie hatten 3.600 bei Aufnahme keinen Diabetes. Weinmayr und Kollegen untersuchten mittels Poisson-Regression, wie stark eine um 1 µg/m³ höhere Feinstaubbelastung bei ihnen mit neu auftretendem Typ-2-Diabetes assoziiert war.
dass Feinstaub
aus verschiedenen Quellen … auch unterschiedliche Effekte auf den Körper hat, ist plausibel. Wir benötigen aber noch weitere Studien.“
Transportbedingter Feinstaub unter Verdacht
Dabei kam Erstaunliches zutage: Es war keineswegs gleichgültig, woher der Feinstaub stammte; offenbar war Verkehrsfeinstaub besonders belastend. So betrug das relative Risiko (RR) der Diabetesinzidenz bei Mehrbelastung um 1 µg/m³ Feinstaub mit 10 µm Partikelgröße aus der Industrie 1,01, bei Feinstaub aus dem Verkehr dagegen 1,36.
Bei kleineren Partikeln von 2,5 µm ergab sich mit einem RR von 1,03 (Industrie) vs. 1,36 (Verkehr) das gleiche Bild. Zusätzlich erschwerend war es, wenn die Probanden in einer Entfernung von weniger als 100 Meter zu vielbefahrenen Straßen wohnten.
Subgruppenanalysen ergaben zudem Hinweise auf einige besonders „empfindliche“ Populationen, die bei hoher Feinstaubbelastung eher an Diabetes erkrankten. Dazu gehörten vor allem Senioren über 65 Jahren, Männer, Personen mit einem Body-Mass-Index über 30 kg/m² sowie mit hohem Bildungsgrad. Raucherstatus und Bewegungsverhalten, die ebenfalls erfasst wurden, spielten erstaunlicherweise keine Rolle [2].
Eintrag aus Nachbarregionen noch nicht berücksichtigt
Die Studie hat allerdings einige Limitationen. So räumt Weinmayr ein: „Feinstaubeintrag aus benachbarten Regionen, etwa aus den Niederlanden, konnten wir nicht berücksichtigen, es wurde nur die lokale Emission erfasst.“
Und Herder betont im Gespräch mit Medscape Deutschland: „Die Annahme, dass Feinstaub aus verschiedenen Quellen aufgrund seiner unterschiedlichen Zusammensetzung auch unterschiedliche Effekte auf den Körper hat, ist plausibel. Wir benötigen aber noch weitere Studien, um besser zwischen den einzelnen Feinstaubquellen differenzieren zu können.“
Weinmayr und Kollegen haben dafür noch keine praktikable Lösung. Sie planen vorerst, die Zehnjahrestendenz des HbA1c der Probanden in Abhängigkeit von der lokalen Feinstaubbelastung auszuwerten, sobald die Daten der 3. Erhebungswelle (2010 bis 2013) der Heinz Nixdorf Recall Studie zur Verfügung stehen.