Berlin – Patienten mit Depression haben ein um 40% gesteigertes Risiko, einen Diabetes mellitus zu bekommen, und umgekehrt ist bei Diabetikern das Depressionsrisiko um 30% erhöht. Darauf machte Priv.-Doz. DP Dr. Bernhard Kulzer, Fachpsychologe Diabetes DDG in Bad Mergentheim, beim Diabeteskongress in Berlin aufmerksam [1].
Aber nicht immer geht es gleich um eine klinische Depression: „Menschen mit Diabetes haben neben alltäglichem Distress auch krankheitsbezogene Belastungen“, betonte Kulzer. Dysfunktionale Bewältigungsstrategien könnten dann zu einer (subklinischen) depressiven Symptomatik führen. „Diese sollten wir von manifesten Depressionen abgrenzen, um die Patienten nicht unnötig zu stigmatisieren.”
Laut Prof. Dr. Johannes Kruse, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinikum Gießen Marburg, tritt eine solche subklinische depressive Symptomatik bei 25 bis 30% der Diabetespatienten auf. Eine handfeste klinische Depression erleidet jeder 10. Diabetiker. Was dabei Ei oder Henne ist, steht nicht fest: „Der Zusammenhang ist bidirektional.“ Eine suffiziente Behandlung ist wichtig, denn, so Kruse: „Die Depression erhöht die ohnehin schon gesteigerte Mortalität der Menschen mit Diabetes“ [2].
Verhaltenstherapie hat moderate Effekte
Prof. Dr. Frank Snoek, Freie Universität Amsterdam, verwies auf unterschiedliche Subtypen der Depression: Neben der bekannten melancholischen Depression wird gerade bei Diabetikern öfter eine atypische oder „metabolische“ Depression gefunden. Sie ist durch gesteigertes Schlaf- und Essbedürfnis, erhöhte Empfindsamkeit für vermeintliche persönliche Ablehnung, aber auch durch Aufhellbarkeit der Stimmung charakterisiert [3].
Bei Patienten beider Subtypen wird kognitive Verhaltenstherapie eingesetzt. Snoek nannte die kognitive Umstrukturierung, Coping gegen Rumination (Grübeln), Verhaltensaktivierung, aber auch Schlafhygiene sowie Problemlösungs- und Entspannungsstrategien, Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie sowie Akzeptanz- und Commitmenttherapie. „Psychotherapie zeigt mittlere Effektstärken bei Diabetespatienten mit Depression“, berichtete er [4]. Eine noch relativ neue Option ist die internetgestützte Verhaltenstherapie, die einen bequemen, stigmafreien Zugang erlaubt [5].
SSRI sind Medikamente der Wahl
Dr. Christoph Axmann, Leitender Internist und Diabetologe der Klinik Dr. Fontheim in Liebenburg, erläuterte pathophysiologische Grundlagen der Depression bei Diabetes: „Entzündungsmediatoren der Insulinresistenz können sich in stimmungsrelevanten Zentren des Gehirns ablagern”, erklärte er. Zudem können Entzündungsmediatoren, dauerhafte Hyperglykämie und schwere Hypoglykämien direkt die HPA-Achse stimulieren (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse). Dann wird der Serotonintransporter überexprimiert und zu viel Serotonin aus dem synaptischen Spalt rückresorbiert. Serotoninmangel entsteht des Weiteren auch durch die Unfähigkeit des Serotonin-Ausgangsstoffs Tryptophan, bei Insulinresistenz die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden.
Deshalb bieten sich Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) als Erstlinientherapie an, betonte Axmann: „Sie haben auch ein günstiges Verträglichkeitsprofil hinsichtlich Zuckerstoffwechsel und Körpergewicht.” Positive Effekte auf Depression und/oder Stoffwechsel wurden in einigen Studien für Sertralin und Citalopram gezeigt. Zudem scheinen bei Diabetikern mit Depression auch Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) wie Venlafaxin oder Duloxetin effektiv zu sein, ergänzte Axmann.
Für den Therapiebeginn empfahl er einen SSRI wie Sertralin 50 mg oder auch Citalopram 20 mg. Zeige sich nach 2 bis 4 Wochen eine Remission, sollte diese Behandlung über 6 bis 12 Monate fortgeführt werden. Bei einer Teilremission empfehle sich eine Dosiserhöhung auf das Doppelte bis Dreifache, bei Nonresponse komme ein SNRI oder ein Dopamin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (DNRI) in Betracht.
Bei komorbider diabetischer Neuropathie sollten depressive Diabetiker in der Erstlinie SNRI erhalten, etwa Duloxetin 30 mg oder Venlafaxin 75 mg. Respondieren sie nach 2 bis 4 Wochen, sollte dies 6 bis 12 Monate fortgeführt werden, bei Teilresponse kann auch hier die Dosis erhöht werden – auf bis zu 120 mg Duloxetin bzw. 225 mg Venlafaxin. Bei Nonresponse kann man laut Axmann auf trizyklische Antidepressiva (TZA) oder DNRI zurückgreifen.
Antidiabetika und Antidepressiva: Engpass in der Leber
hemmer haben
auch ein günstiges Verträglichkeitsprofil hinsichtlich Zuckerstoffwechsel und Körpergewicht.“
Auf mögliche Interaktionen zwischen Antidiabetika und Antidepressiva am Zytochrom P450 wies Prof. Dr. Baptist Gallwitz, Universitätsklinikum Tübingen, hin. So wirken Sulfonylharnstoffe, aber auch Glinide und Sitagliptin (und Rosiglitazon) stärker, wenn der Patient zugleich Fluvoxamin einnimmt; das erhöht die Hypoglykämiegefahr. Abgeschwächt wird die Wirkung dieser Antidiabetika dagegen durch Barbiturate.
Fluoxetin verstärkt den Effekt von Nateglinid sowie von TZA, SSRI, Mirtazapin, Reboxetin und Venlafaxin. Pioglitazon, Barbiturate und Carbamazepin dagegen vermindern die Wirkung dieser Antidepressiva.