Heidelberg – Einer der reichsten Deutschen hat sich zum Ziel gesetzt, die individualisierte Krebsmedizin in Deutschland voranzubringen. Der SAP-Mitgründer Dietmar Hopp stellt 15 Millionen Euro aus seiner Dietmar Hopp Stiftung zur Verfügung, um eine Initiative am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg zu unterstützen. Ziel der Initiative: die personalisierte Krebsmedizin zur Regelversorgung zu machen.

Basis sind wissenschaftliche Erkenntnisse der letzten Jahre über die molekularen Grundlagen von Krebs. Umfangreiche DNA-Analysen von Krebszellen haben gezeigt, dass sich Tumore individuell genetisch unterscheiden. „Es gibt enorme Unterschiede im Muster der Erbgutveränderungen nicht nur zwischen verschiedenen Krebsarten, sondern auch zwischen einzelnen Patienten mit demselben Tumortyp“, erläuterte Prof. Dr. Otmar D. Wiestler, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg, bei der Pressekonferenz, auf der die Initiative vorgestellt wurde [1]. „Wir verstehen aber immer besser, wie die verschiedenen Mutationen wechselwirken.“

Tumorprofile ermöglichen gezielte Therapie
Die individuellen Variationen im Muster der Erbgutveränderungen werden als Hauptursache betrachtet, zum einen für die sehr variablen Verläufe der Krankheit, vor allem aber auch für das individuell sehr unterschiedliche Ansprechen auf die Therapie. Erfolgsraten der Krebsbehandlung von derzeit 35% oder etwas höher seien nicht ausreichend, betonte Prof. Dr. Guido Adler, Leitender Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Heidelberg, auf der Veranstaltung. Die individualisierte Krebsmedizin soll es möglich machen, diese Erfolgsraten deutlich zu steigern. Adler: „Wir können gezielt diejenige Behandlung verabreichen, auf die der Tumor reagiert, aber auch unnötige Therapien vermeiden.“
Alle Beteiligte der Initiative sind sich einig, dass nun der Zeitpunkt gekommen ist, die neuen Erkenntnisse zur individualisierten Krebsmedizin aus der Forschung in die Regelversorgung zu überführen. „Wir stehen an der Schwelle, wo wir die jahrelange Grundlagenforschung in die Therapie bringen können“, sagte Wiestler. „Wir haben jetzt alle Bausteine zur Verfügung, um dieses Konzept zum Nutzen für die Patienten in der Praxis zu implementieren.“ Schon im Jahr 2015 soll jedem Patienten im NCT eine genetische Analyse seines Tumors und darauf aufbauend eine individuelle Empfehlung für die in seinem Fall wirksamste und sicherste Behandlung angeboten werden.
Logistische Herausforderungen
Um die individualisierte Krebsmedizin tatsächlich in der Breite verfügbar zu machen, müssen allerdings auch große logistische Herausforderungen gemeistert werden. Und dafür arbeiten DKFZ und NCT bei ihrer Initiative mit verschiedenen Technologieunternehmen zusammen.
Um die anfallenden riesigen Datenmengen zu managen, hat die SAP AG gemeinsam mit dem Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen eine spezielle Technologie zur Echtzeitanalyse (SAP HANA) entwickelt. In einem zentralen „Data Warehouse“ werden die molekularen und medizinischen Daten zusammengeführt, verknüpft und ausgewertet, um so zu einer klinischen Entscheidung zu kommen.
der Schwelle, wo
wir die jahrelange Grundlagenforschung in die Therapie bringen können.“
Die GATC Biotech AG in Konstanz erstellt Genomsequenzdaten. Das Unternehmen bietet unter anderem eine gezielte Sequenzierung von rund 600 besonders krebsrelevanten Genabschnitten (Diagnostik-Panel) an, die am NCT eingesetzt werden sollen.
Eines für die praktische Umsetzung sehr wichtigen Parts hat sich die Molecular Health GmbH in Heidelberg angenommen. Denn eine individualisierte Krebsbehandlung stellt vor allem auch für den behandelnden Arzt eine große Herausforderung dar: Er muss für jeden einzelnen Patienten dessen individuelle Situation mit den neuesten Erkenntnissen zur Wirksamkeit und Sicherheit verschiedener Therapien abgleichen, um so zu den für genau diesen Patienten am besten geeigneten individualisierten Behandlungsempfehlungen zu gelangen. Eine Aufgabe, die der Arzt alleine auf breiter Ebene kaum leisten kann.
TreatmentMap™ erstellt individualisierte Therapieempfehlungen für den Arzt
Zu Unterstützung der Ärzte hierbei hat das Unternehmen eine Software mit dem Namen „TreatmentMap™“ entwickelt. Die Software „erstellt für jeden Patienten eine individuelle Tumordatenanalyse und interpretiert die genomischen Patientendaten im klinischen Kontext“, wie Dr. Friedrich von Bohlen und Halbach, Beiratsvorsitzender der Molecular Health GmbH, erläuterte. Das Programm nutzt dazu klinische Studiendaten (etwa aus der FDA-Datenbank) von zugelassenen aber auch von noch in Prüfung befindlichen Wirkstoffen und Biomarkern. Es gleicht auch mögliche Risiken der Behandlung mit dem persönlichen Risikofaktorenprofil des Patienten ab.
Wir wollen ihn aber für alle Patienten erstattungsfähig durch die Kranken-
kassen machen.“
Resultat ist eine Therapieempfehlung für den behandelnden Arzt. Von Bohlen und Halbach verglich die Software mit einem „GPS für Onkologen“. „Es ermöglicht eine Standortbestimmung und zeigt Optionen auf, zu einem bestimmten Ziel zu gelangen.“ Die TreatmentMap™ sei europaweit das erste registrierte Medizinprodukt zur Therapieplanung in der individualisierten Krebsmedizin, betonte er.
Wichtig sei dabei auch, dass die Auswertungen möglichst rasch zur Verfügung stehen. Die Unternehmen haben daher unter anderem strategische Partnerschaften geschlossen und arbeiten daran, die Sequenzierung, deren Analyse und Abgleich mit den klinischen Daten sowie die Therapieempfehlung innerhalb weniger Tage zur Verfügung zu stellen. Auch soll die Methodik weiterentwickelt werden, so dass die Abläufe kostengünstiger werden.
Studien geplant
Die Abläufe werden nun zunächst im 3. Quartal 2014 in einer kleinen „Proof-of-Concept“-Studie mit etwa 50 Krebspatienten am NCT geprüft. Die Studie soll sicherstellen, dass die Datenflüsse und Schnittstellen zwischen den Beteiligten funktionieren und die Bereitstellung der Informationen für den behandelnden Arzt zeitnah möglich ist. Im Anschluss ist eine weitere größere Studie mit 1.000 Beteiligten geplant. Sie soll den klinischen und gesundheitsökonomischen Nutzen der individualisierten Krebsmedizin belegen.
In der großen Studie soll dann auch unter anderem untersucht werden, wie umfangreich die Sequenzierung für die Therapieentscheidung sein muss. Es werden 2 verschiedene Ansätze verglichen, erläuterte Wiestler. So wird am DKFZ das gesamte Erbgut der Tumorzellen der Teilnehmer sequenziert. Das Institut besitzt moderne Hochdurchsatzgeräte und ist das zweitgrößte Sequenzierungszentrum in Europa.

Bei GATC Biotech in Konstanz wird nur das Panel der rund 600 krebswichtigen Gene sequenziert. Der Vergleich mit den DKFZ-Sequenzierungsdaten soll dann zeigen, „ob sich im Gesamtgenom weitere wichtige Veränderungen finden, die die Entstehung und den Verlauf der Erkrankung, aber auch die Therapieentscheidung beeinflussen“, erklärte Prof. Dr. Christof von Kalle vom Direktorium des NCT bei der Veranstaltung. Mit der TreatmentMap™ von Molecular Health werden die Ergebnisse jeweils interpretiert und verglichen.
Die Einzelheiten der Studie sind noch in Planung, wie von Kalle auf Nachfrage von Medscape Deutschland sagte. Dazu gehört auch, welche Krebspatienten unter den rund 11.000, die jährlich derzeit am NCT behandelt werden, genau für die Studie infrage kommen.
Ab spätestens 2016 für alle Patienten am NCT verfügbar
Im Jahr 2015, spätestens 2016, sollen dann alle Patienten am NCT in den Genuss dieser neuen Form der „Tumorprofilierung“ und darauf basierender Behandlungsoptimierung kommen. Derzeit sei dieser Ansatz noch „sehr kostenintensiv“. „Wir wollen ihn aber für alle Patienten erstattungsfähig durch die Krankenkassen machen“, kündigte Wiestler an.
Durch die großzügige Unterstützung des Pilotprojektes durch die Dietmar Hopp Stiftung soll diese Entwicklung deutlich beschleunigt werden. SAP-Mitgründer Hopp selbst bezeichnete auf der Veranstaltung die Individualisierung der Krebsmedizin als „gewaltige Evolutionsstufe der Medizin“. Sie markiere „den Übergang von einer eher auf Symptomen und Beobachtungen beruhenden ‚Erfahrungsmedizin‘ in eine auf die tatsächlichen Krankheitsursachen basierten ‚Wissensmedizin‘. Dies werte auch die Rolle des Arztes im Dialog mit dem Patienten und seinen Angehörigen auf.
Die personalisierte Medizin in der Onkologie biete die Chance, diese lebensbedrohliche Erkrankung zunächst in eine chronisch behandelbare Erkrankung zu überführen – und schließlich vielleicht zu heilen, sagte er. „Die Vorzeichen für ein Gelingen stehen gut!“