Analgesie bei Kindern ungenügend: Welches Nicht-Opioid ist nach OP am besten?

Gerda Kneifel | 21. Mai 2014

Autoren und Interessenkonflikte

Leipzig – Im vergangenen Jahr legte eine Studie überraschend offen, dass Patienten gerade bei den vergleichsweise „kleinen Eingriffen“ Tonsillektomie und Appendektomie unter starken Schmerzen leiden [1]. „Diese Untersuchung kam einem Meilenstein in der deutschen Anästhesiologie gleich“, berichtete Dr. Karin Becke auf dem Symposium „Sichere und effektive Schmerztherapie im Kindesalter“ des Deutschen Anästhesiekongresses. „Wir wissen ganz sicher, dass die perioperative Schmerztherapie bei Kindern weit davon entfernt ist, optimal zu sein“, so die Chefärztin der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin in der Cnopf'schen Kinderklinik, Klinik Hallerwiese in Nürnberg

„Die Aufmerksamkeit in der perioperativen Schmerztherapie sollte deswegen auf die Normalstation bei stationären und auf zu Hause bei ambulanten Eingriffen ausgeweitet werden.“ Wichtig ist dabei ein multimodaler Ansatz, bei dem die Verwendung von Nicht-Opioiden (NO) obligat sein sollte.

Die kleineren Eingriffe sind problematisch

In der Studie im Rahmen des Projekts Qualitätsverbesserung in der perioperativen Schmerztherapie (QUIPS) wurde bei mehr als 50.000 Patienten nach 179 verschiedenen chirurgischen Eingriffen der postoperative Schmerz ab dem ersten Postoperationstag standardisiert erfasst. Die 30 schmerzhaftesten Eingriffe wiesen einen medianen Maximalschmerz von 6 bis 7 auf der bis 10 reichenden Numerischen Rating-Skala (NRS) zur Schmerzerfassung auf.

„Wir wissen
ganz sicher, dass
die perioperative Schmerztherapie bei Kindern weit davon entfernt ist, optimal zu sein.“
Dr. Karin Becke

Das überraschende Ergebnis: Die in aller Regel bei Kindern durchgeführte Tonsillektomie mit einem mittleren Maximalschmerz von 5,89 und die Appendektomie mit einem NRS von 5,95 zählten zu den Eingriffen mit starken postoperativen Schmerzen.

Nach einer Tonsillektomie verlangte rund jedes 3. Kind mehr Schmerzmittel, nach einer Appendektomie waren es sogar 43%. „Ob sie die Schmerzmittel erhalten haben oder nicht, ist eine andere Frage“, so Becke. Auch Übelkeit und Erbrechen – ebenfalls ein großes Problem in der Kinderanästhesiologie – erwiesen sich bei beiden Operationen als relevante Nebenwirkungen.

Bestätigt werden diese durchaus überraschenden Werte laut Becke durch australische Wissenschaftler, die Eltern von ambulant operierten Kindern zum postoperativen Schmerz sowie der postoperativen Einschränkung von Aktivität befragt hatten.

Auch hier zeigte sich, dass zum Beispiel Herniotomien und Orchidopexien bezüglich des Schmerzes kein Problem waren. Er blieb bereits am 2., teilweise sogar am 1. postoperativen Tag unter dem Cut-off-Wert von 4. Im Gegensatz hierzu kam es bei Tonsillektomien bis zum 7. Tag zu Schmerzen weit über diesem Wert und auch zu schweren Einschränkungen der Aktivität bis zum 7. oder gar 8. Tag.

„Wir haben gute multimodale Konzepte, sie müssen aber auch durchgeführt werden“, forderte Becke. „Die Regionalanästhesie sollte dabei wann immer möglich angewendet werden. Zum Beispiel bei der Tonsillektomie aber fällt sie heraus, hier brauchen wir unbedingt die Nichtopioide mit Paracetamol, Ibuprofen, Metamizol und eventuell noch Diclofenac.“

Das dritte Standbein der perioperativen Schmerztherapie sind die Co-Analgetika Dexamethason, Clonidin und Ketamin „und zukünftig vielleicht auch noch Lidocain“, hofft Becke. Unter den Opioiden ist bei sehr starken Schmerzen Nalbuphen – ein Medikament, das nicht dem Betäubungsmittelrecht unterliegt und damit frei zugänglich auch für Pflegekräfte ist – eine sichere Alternative, „die selbst in einem Fall von zehnfacher Überdosierung nicht zu einer Atemdepression geführt hat“. Entsprechend sollte bei Bedarf auch nicht gezögert werden, dieses Medikament zu geben.

„Am heißesten
wird derzeit wohl
der Einsatz von Metamizol diskutiert, das sehr gut antipyretisch und perfekt spasmolytisch wirkt.“
Dr. Karin Becke

Eindeutig suboptimal: Paracetamol

Die Vorteile des Klassikers Paracetamol sind bekannt, doch hat es als schwaches bis mittleres Analgetikum eine eingeschränkte Effizienz. Aber auch seine „durchaus problematische Pharmakokinetik, insbesondere durch eine sehr unterschiedliche Resorption bei der rektalen Gabe, und teilweise sehr später Wirkung erst bis zu 120 Minuten nach der Gabe“ sprechen gegen das Medikament. Zudem wirkt es hepatotoxisch und steht nachweislich in Zusammenhang mit Asthma, Kryptorchismus und Autismus.

In der derzeit in Überarbeitung befindlichen S3-Leitlinie zur Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen wird zwar auf eine allgemein gute Sicherheit, aber auch auf das Risiko einer Leberzellnekrose, insbesondere bei Kindern und bei Patienten mit Leberschädigungen, hingewiesen. Eine Überdosierung, die, „wenn wir ehrlich sind, alle schon einmal erlebt haben“, sollte also auf jeden Fall vermieden werden.

Thematisiert wird zudem das Problem der Pharmakokinetik, insbesondere bei rektaler Gabe. „Weil der Plasmaspiegel deutlich niedriger ist als bei oraler oder intravenöser Gabe, wird eine wirklich hohe initiale Loading-Dosis von 45 mg/kg Körpergewicht (KG) empfohlen, und das ist schon mehr als die Hälfte der Tageshöchstdosis von etwa 80 mg/kg KG“, gibt Becke zu bedenken. Ein Kind unter 10 kg KG sollte maximal 7,5 mg/kg KG pro Anwendung erhalten – „und damit sind wir weit entfernt von einer analgetischen Wirkung“.

In Bezug auf Kinder weisen die Leitlinien darauf hin, dass bei enteraler Gabe nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) gegenüber Paracetamol Vorteile haben. „Und es ist ja unser Ziel, die Kinder so schnell wie möglich von der Infusion wegzubekommen. Bei entzündungsbedingten Schmerzen – denken Sie an die Appendektomie – und bei Weichteilödemen – denken Sie an die Tonsillektomie – sind NSAR indiziert. Und vor allem: Bei viszeralen, spastischen und krampfartigen Schmerzen ist Metamizol das Mittel der Wahl. Damit haben wir kaum noch eine Indikation für Paracetamol, vor allem in Hinblick auf die Effektivität.“ 

Dass es in der perioperativen Schmerztherapie im Kindesalter Besseres aus der Gruppe der NSAR gibt als Paracetamol, hat sich herumgesprochen. Im Jahr 2011 verabreichten das Analgetikum nur noch 65% aller Kliniken – 10 Jahre zuvor waren es noch 97%.

Macht Ibuprofen das Rennen?

Ibuprofen, das vor allem oral verabreicht wird, hat Paracetamol bereits den Rang abgelaufen. Mittlerweile verwenden es 90% aller Kliniken. Mit Blick auf die bekannten Risiken resümiert Becke, dass „einem systematischen Review zufolge das Toleranz- und Sicherheitsprofil von Ibuprofen bezüglich gastrointestinaler, pulmonaler und respiratorischer sowie renaler Nebenwirkungen vergleichbar mit dem von Paracetamol ist“. Die empfohlene Dosis pro Anwendung liegt bei 10 mg/kg KG, bei einer Tageshöchstdosis von 40 mg/kg KG.

Da Ibuprofen die Thrombozytenaggregation beeinflusst, besteht jedoch zumindest ein theoretisch erhöhtes Risiko postoperativer Blutungen. Bezüglich des Risikos von Nachblutungen bei Tonsillektomien zeigen kleinere Untersuchungen aus der Türkei, dass weder Paracetamol noch Ibuprofen oder Metamizol das Risiko für Nachblutungen signifikant erhöhen.

„Nach meiner persönlichen Bewertung hat Metamizol das Rennen unter
den drei NO
klar gewonnen.“
Dr. Karin Becke

Im vergangenen Jahr wurde auch ein Cochrane Review veröffentlicht, für den 15 Studien mit 1.101 Kindern mit Tonsillektomie analysiert wurden [3]. Das Resümee: Es gibt eine insuffiziente Evidenz, dass kein erhöhtes Risiko für Nachblutungen besteht. „Ich glaube, besser kann man es nicht sagen“, konstatiert Becke.

Unsicherheiten bei Metamizol

„Am heißesten wird derzeit wohl der Einsatz von Metamizol diskutiert, das sehr gut antipyretisch und perfekt spasmolytisch wirkt“, fasst Becke zusammen. In Deutschland wird es seltener als andere NO und in den USA und Skandinavien überhaupt nicht angewandt, „weil die Angst vor Nebenwirkungen wie der Agranulozytose groß ist. Laut Datenlage haben wir damit aber in der perioperativen Schmerztherapie im Kindesalter kein Problem. Es gibt keinen beschriebenen derartigen Fall“, so Becke.

Gleiches gilt für Hypotensionen und Anaphylaxien. „Anaphylaxien gibt es auch in schweren reanimationspflichtigen Verläufen bei Erwachsenen“, so die Anästhesistin. „Bei Kindern scheinen wir damit ebenfalls kein klinisch relevantes Problem zu haben.“ Wohl nicht zuletzt aufgrund der breiten Empfehlung in den Leitlinien wird Metamizol mittlerweile in 70% aller Kliniken überwiegend intravenös in der Schmerztherapie eingesetzt – im Vergleich zu 50% im Jahr 2001.

Angestoßen durch die vielfältigen Diskussionen und die mangelhafte Studienlage, die die Sicherheit von Metamizol bei Kindern belegt, haben Becke und ihr Team im vergangenen Jahr eine Anwendungsbeobachtung an mehreren Kliniken begonnen.

„Wir haben bislang rund 700 Fälle untersucht und in keinem der Fälle traten schwere Nebenwirkungen auf. Es gab lediglich zwei vorübergehende Hautreaktionen, die aber nicht in einem Zusammenhang standen mit einer Anaphylaxie“, resümiert Becke. „Von daher können wir erst einmal eine vorsichtige Entwarnung geben.“ Allerdings ist die Studie noch nicht abgeschlossen, insgesamt sollen die Arzneimittelwirkungen bei 1.000 Kindern unter 6 Jahren untersucht werden. 

Doch Becke ist optimistisch, dass auch im weiteren Verlauf keine schwerwiegenden Nebenwirkungen von Metamizol auftreten werden: „Nach meiner persönlichen Bewertung hat Metamizol das Rennen unter den drei NO klar gewonnen – auch wenn wir es nicht unkritisch betrachten wollen und mit den Anwendungsbeobachtungen weitermachen. Ibuprofen hat sich durch seine gute Verfügbarkeit als Saft und die inzwischen gute Datenlage auf Platz 2 vorgearbeitet. Paracetamol auf der dritten Stufe des Treppchens möchte ich aber auf keinen Fall verbannen. Es ist immer noch ein gutes Medikament, allerdings sollte man die klaren Vorgaben zur Tageshöchstdosis und die Therapiedauer im Kopf behalten.“

Projekt QUIPS – Lernen von den Besten

Das multizentrische interdisziplinäre Benchmark-Projekt Qualitätsverbesserung in der perioperativen Schmerztherapie (QUIPS) hilft, Fehler in der perioperativen Schmerztherapie aufzudecken und Optimierungspotential zu nutzen. Seit 2011 gibt es zudem das kinderspezifische QUIPSInfant.

Über Patientenfragebögen werden u.a. Schmerzintensität, Nebenwirkungen, schmerzbedingte Beeinträchtigungen und der Wunsch nach mehr Schmerzmitteln erfasst. Zudem werden demographische Daten und Prozessparameter standardisiert erhoben und analysiert.

Die Teilnehmer erhalten dann eine automatisierte, webbasierte Rückmeldung, mit der sie die Qualität ihrer Schmerztherapie einschätzen, Verbesserungsvorschläge herausziehen und ihre Ergebnisse kontinuierlich beobachten können. Die multizentrische Ausrichtung des Projekts ermöglicht zudem einen Vergleich der eigenen Ergebnisse mit denen anderer – im Sinne von „Lernen von den Besten“.


Referenzen

Referenzen

  1. Gerbershagen HJ, et al: Anaesthesiology 2013;118(4):934-944
    http://dx.doi.org/10.1097/ALN.0b013e31828866b3 
  2. 61. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DAC), 08. bis10. Mai 2014, Leipzig
    Symposium „Sichere und effektive Schmerztherapie im Kindesalter“ (9.5.2014)
    http://www.dac2014.de 
  3. Lewis SR, et al: Cochrane Daabase Syst Rev. 2013;18(7):CD003591
    http://dx.doi.org/10.1002/14651858.CD003591.pub3

Autoren und Interessenkonflikte

Gerda Kneifel
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Becke K: Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.