Prävention in Deutschland besser machen: Yes, we can

Gerda Kneifel | 19. Mai 2014

Autoren und Interessenkonflikte

Wiesbaden – Der neue Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hat mit dem geplanten Präventionsgesetz eine Verbesserung der Prävention „in hoher Qualität“  von der Kita bis zur Altenpflege angekündigt. „Das liest sich wunderbar“, freut sich Dr. Johannes Scholl, der mehrere auf Präventivmedizin spezialisierte Praxen betreibt, auf dem Internistenkongress in Wiesbaden.

Der Vorsitzende der Deutschen Akademie für Präventivmedizin (DAPM) hat dem von ihm geleiteten Symposium „Präventivmedizin – geliebt in der Theorie, ignoriert in der Praxis“ jedoch nicht umsonst diesen provozierenden Titel gegeben: „Da haben wir in Deutschland ein Problem, denn uns fehlen die Strukturen, um die Qualität präventivmedizinischer Leistungen und Empfehlungen überhaupt zu gewährleisten.“

Hypertonie-Therapie, ein deutsches Stiefkind

Vor allem in Sachen Bluthochdruck-Therapie liege vieles im Argen. Die EURIKA-Studie aus dem Jahr 2011 belege, dass die Erfolge deutscher Ärzte in der Bluthochdruck-Therapie im internationalen Vergleich im unteren Mittelfeld anzusiedeln sind, weit hinter Frankreich und Griechenland etwa [2].

„Man kann es besser machen, wenn man die 24-Stunden-Blutdruckmessung systematisch einsetzt.“
Dr. Johannes Scholl

„Man kann es besser machen, wenn man die 24-Stunden-Blutdruckmessung systematisch einsetzt, um den Tages-Mittelwert zu bestimmen, wenn man den so genannten Weißkittel-Effekt ausschließt und eine maskierte Hypertonie erkennt“, zählt Scholl auf. Weiterhin müssen Endorganschäden ausgeschlossen beziehungsweise entsprechend behandelt sowie das kardiovaskuläre Gesamtrisiko eingeschätzt werden.

Eine individuell angepasste Medikation bzw. Arzneimittelkombination ist dabei sehr wichtig. „Man muss sicherstellen, dass z.B. Patienten mit metabolischem Syndrom nicht mit Medikamenten behandelt werden, die das Diabetesrisiko steigern, vor allem Betablocker“, warnt Scholl und mahnt: „Außerdem ist die laienverständliche Erläuterung der Bluthochdruckfolgen für die Patienten bei uns nicht gut genug.“

Mit diesem Konzept erreichte Scholl in einer eigenen Studie an 535 Probanden mit einem Follow-up von etwa 3,5 Jahren bei deutlich mehr Patienten eine gute Blutdruckkontrolle als deutsche Patienten in der EURIKA-Studie [3]. Bei Männern mit Hypertonie stieg sie von 28,6% auf 45,7%, bei Frauen von 38,2% auf 52,7%.

Telemonitoring verbessert Blutdruck-Kontrollrate

Bedient man sich über das Bewährte hinaus noch moderner Methoden wie dem Telemonitoring, geht es sogar noch besser, ist sich der Präventivmediziner sicher und verweist auf eine Untersuchung aus dem Jahr 2013, an der 450 Patienten aus 8 US-amerikanischen Kliniken teilgenommen hatten [4].

Die Patienten hatten zu Hause ihren Blutdruck gemessen und per SMS an den Apotheker in ihrem Krankenhaus gesendet, mit dessen Unterstützung sie ihn dann gegebenenfalls anpassten. Die Blutdruck-Kontrollrate stieg mit Telemonitoring von rund 50% auf über 70%: „Telemonitoring wird in Zukunft einen noch höheren Stellenwert bekommen“, ist sich der Präventivmediziner denn auch sicher. 

„Telemonitoring wird in Zukunft einen noch höheren Stellenwert bekommen.“
Dr. Johannes Scholl

Statine in der Primärprävention

Dass in Großbritannien mit gut 70% mehr als doppelt so viele wegen Hypercholesterinämie behandelte Patienten einen Gesamtcholesterinwert von unter 200 mg/dl haben als in Deutschland, liegt nach Ansicht Scholls auch an ihrer konsequenten Statintherapie. „Es hilft uns nicht, dass wir sechsmal mehr Herzkatheter-Operationen durchführen als die Briten und dreimal mehr als der Rest der Europäer. Wir setzen hier am falschen Ende an“, rechnet er vor.

International gibt es gleich mehrere neue Leitlinien, in denen diskutiert wird, ab wann man ein Statin in der Primärprävention einsetzen sollte [5]. Auch hier vertreten US-Amerikaner und Europäer unterschiedliche Standpunkte. „Die Fragen beziehen sich zum Beispiel darauf, ab welcher Schwelle wir Statine einsetzen sollten, oder legen wir anstelle des Lebenszeit-Risikos besser das 10-Jahres-Risikos zugrunde. Für definierte Zielwerte sehen die US-Amerikaner keine Evidenz, sie verordnen eine Hochdosis-Statintherapie für Hochrisiko-Kandidaten.“

„Deutschland ist im Vergleich eher ein Niedrigdosis-Land. Die niedrige Verordnungsquote in der Primärprävention hierzulande ist eine Tragödie. Wir therapieren mit Statinen eher in der Sekundärprävention – und auch dort häufig zu niedrig dosiert.“ 

„Wir therapieren mit Statinen eher in der Sekundärprävention – und auch dort häufig zu niedrig dosiert.“
Dr. Johannes Scholl

In den USA liegt eine Indikation zur Primärprävention mit Statinen bei einem 10-Jahres-Risiko, eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu erleiden, von 7,5% und einem hohen Lebenszeit-Risiko vor – ohne Cut-off. In Großbritannien ist die Indikation bei 10% gegeben und bei einem Risiko von über 40% bis 80 Jahren. „In Deutschland dagegen liegt die Indikationsgrenze bei mehr als 20% für alle Altersklassen, was jüngere Patienten mit hohem Risiko definitiv benachteiligt“, so Scholl.

Anfang April dieses Jahres ging mit dem JBS3-Risikorechner  der Joint British Societies for the prevention of cardiovascular disease ein kostenfreies, patientenorientiertes Werkzeug online. Der von Prof. Dr. John Deanfield entwickelte Rechner berechnet das Herzalter eines Patienten und zeigt ihm auf, wie er es senken kann. Zudem berechnet er, wieviel gesunde Lebensjahre der Betroffene gewinnt, wenn er die Ratschläge des JBS3-Rechners befolgt. „Das Tool ist sehr anschaulich für Patienten und Ärzte können damit für ihre Praxis ein Archiv ihrer Patienten anlegen“, erzählt Scholl von seinen Erfahrungen.

Bessere Prävention ist machbar

Neben den Statinen und der Blutdruckkontrolle ist die Ernährung ein wichtiger Faktor in der Prävention. Auch hier sieht Scholl enormen Nachholbedarf in der Prävention. Die Ernährungsempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung sind seiner und der Erfahrung vieler Experten nach nicht up to date. Die Mittelmeerdiät, die sich in zahlreichen Studien als besonders protektiv gegen kardiovaskuläre Erkrankungen erwiesen hat, finde in den Richtlinien der DGE keinen Niederschlag.

Fatalistisch sei zudem, dass bestimmte Schäden im Alter als normal betrachtet werden, wie zum Beispiel der Altersdiabetes oder der Schlaganfall in höherem Alter, obwohl es absolut vermeidbare Schäden seien.

„Prävention soll Geld einsparen, Therapien dagegen dürfen Geld kosten. Das ist unsinnig.“
Dr. Johannes Scholl

„Prävention soll Geld einsparen, Therapien dagegen dürfen Geld kosten. Das ist unsinnig, denn wenn Prävention weniger kostet bei gleichem Nutzen wie die Therapie, dann müsste man das gegeneinander aufwiegen“, so Scholl. „90-Jährige können 100% Kraftzuwachs in 3 Monaten erreichen, wenn sie trainieren. Warum nutzen wir das nicht, sondern verwalten vielmehr die Pflegebedürftigkeit? Die Politik sollte dafür bezahlen, dass man sich gesund hält. Es kann kosteneffektiv sein, wenn man einem Raucher dafür, dass er aufhört zu rauchen, Geld erstattet.“

Neben dem IQWiG sollte es ein IQWiP geben

Zudem fehlt es in Deutschland an präventivmedizinischen Inhalten in Studium, Fort- und Weiterbildung – anders als in den meisten westlichen Ländern. „Es sollte vielleicht auch mehr präventivmedizinische Versorgungsforschung als Grundlagenforschung seltener genetischer Varianten der einen oder anderen Erkrankung gefördert werden.

Und wir sollten überlegen, wie wir das, was wir schon wissen, in die Praxis umsetzen.“ Scholl schlägt vor, ein dem IQWiG angegliedertes IQWiP, ein Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Prävention, zu gründen – und Joint German Societies-Guidelines für Prävention (JGS-1) zu formulieren. Von alldem ist man hierzulande allerdings noch weit entfernt.

Referenzen

Referenzen

  1. 120. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), 26. bis 29. April 2014, Wiesbaden
    http://www.dgim2014.de 
  2. Banegas JR, et al: European Heart Journal. 2011; 32: 2143–2152
    http://dx.doi.org/10.1093/eurheartj/ehr080
  3. Scholl J, et al: Europ Heart Journal. 2012; 33; Abstract Supplement 953
    http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1402670?query=featured_home&
  4. Margolis KL, et al: JAMA. 2013; 310:46-56
    http://dx.doi.org/10.1001/jama.2013.6549
  5. 2013 ACC/AHA Guideline on the Treatment of Blood Cholesterol to Reduce Atherosclerotic Cardiovascular Risk in Adults (American Heart Association)
    http://circ.ahajournals.org/content/early/2013/11/11/01.cir.0000437738.63853.7a
  6. European Guidelines on cardiovasculare disease prevention in clinical praxis (Preventive Cardiology, GB, 2012)
    http://www.escardio.org/guidelines-surveys/esc-guidelines/GuidelinesDocuments/guidelines-CVD-prevention.pdf
  7. 2014 Evidence-Based Guidelines for the Management of High Blood Pressure in Adults
    (Joint National Committee (JNC8), USA)
    http://jama.jamanetwork.com/article.aspx?articleid=1791497

Autoren und Interessenkonflikte

Gerda Kneifel
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Scholl J: Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

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