Amyotrophe Lateralsklerose: Verbessert multimodale Bildgebung die Diagnose?

Michael Simm | 12. Mai 2014

Autoren und Interessenkonflikte

Berlin Bildgebende Verfahren wie die Kernspintomografie eignen sich bei der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) gegenwärtig nur bedingt als Biomarker oder zur Prognose des Krankheitsverlaufs. Dieses ernüchternde Fazit war der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Diskussionsteilnehmer einer Debatte beim 8. World Congress on Controversies in Neurology (CONy) einigen konnten [1].

Prof. Dr. Amos D. Korczyn, ehemaliger Leiter der Neurologie am Tel Aviv Medical Center, zusammen mit Prof. Dr. Heinz Reichmann, Direktor der Neurologischen Universitätsklinik Dresden, Chairman des Kongresses, erinnerte daran, dass sich die Kernspintomografie (Magnetresonanztomografie, MRT) bereits als sehr nützlich bei der Diagnose von Schlaganfällen, Multipler Sklerose, vaskulären Demenzen und anderen neurologischen Erkrankungen erwiesen hat. Die These „Bildgebung ist ein vielversprechender Biomarker von ALS“ wurde dennoch in einer Abstimmung vor der Debatte von der überwiegenden Mehrheit der anwesenden Neurologen verneint.

„Die Kombination verschiedener bildgebender Modalitäten ist
ein signifikanter Fortschritt bei der Entwicklung eines Biomarkers für ALS.“
Prof. Dr. Eva L. Feldman

Zwar weiß man seit nunmehr 4 Jahren, dass man bei ALS-Patienten entlang des Kortikospinaltraktes ein verstärktes T2/FLAIR-Signal aufzeichnen kann. Allerdings genügt weder die Spezifität noch die Sensitivität dieses Signals den Ansprüchen an eine zuverlässige Diagnosemethode.

ALS-Diagnostik verzögert sich oft

So vergeht heute durchschnittlich ein Jahr zwischen den ersten Symptomen einer ALS und deren definitiver Diagnose, erläuterte Prof. Dr. Eva L. Feldman, Direktorin des Program for Neurology Research & Discovery vom Department of Neurology des Michigan University Health System in Ann Arbor, USA. Mehr als 40% der Patienten erhalten in der Zwischenzeit eine falsche Behandlung, einschließlich chirurgischer Eingriffe.

Der Verlauf der Krankheit ist sehr variabel. So beträgt die mittlere Überlebenszeit 2 bis 4 Jahre, etwa jeder zehnte Patient überlebt aber 10 Jahre.

Vor diesem Hintergrund vertrat Feldman den Standpunkt, dass die Bildgebung bei ALS mehr leisten kann, als man ihr zutraut. Ein eindimensionales Imaging sei allerdings in der Tat unzureichend, räumte Feldman ein. So belegt beispielsweise eine Metaanalyse zum Diffusionstensor-Imaging (DTI) deren begrenzte Genauigkeit, Sensitivität und Spezifität [2].

Indem Feldman zusammen mit ihrer Arbeitsgruppe zusätzlich zur Kernspinresonanzspektroskopie die Diffusionstensor-Bildgebung (DTI) anwandte, konnte sie jedoch die Genauigkeit der Diagnose gegenüber DTI alleine signifikant verbessern. Bei 29 Patienten und 30 Kontrollen erzielten die Neurologen damit in einer aktuellen Studie eine Genauigkeit von 93% bei einer Sensitivität von ebenfalls 93% und einer Spezifität von 85% [3].

„Ein Biomarker sollte eine Diagnose auf individueller Ebene ermöglichen und außerdem bei der Stadieneinteilung
der Krankheit helfen.“
Prof. Dr. Albert C. Ludolph

Die Kombination verschiedener bildgebender Modalitäten ist ein signifikanter Fortschritt bei der Entwicklung eines Biomarkers für ALS“, sagte Feldman. Die Forscherin erhofft sich, dass ihre eigene Arbeit zu einer früheren Diagnose des Leidens beitragen könnte – zusammen mit dem kürzlich erbrachten Nachweis, dass bei der ALS regelmäßig auch das Corpus callosum betroffen ist.

„Aktuell läuft eine größere Anzahl von Bildgebungsstudien mit unterschiedlichen Techniken“, berichtete Feldman in Berlin. In Zukunft müsse man jedoch in solchen Studien mehr Patienten mit ALS-ähnlichen Symptomen aufnehmen, sowie deren Krankheitsverlauf und Konversionsraten bestimmen.

Gefragt: Eine verlässliche Stadieneinteilung

Prof. Dr. Albert C. Ludolph, Ärztlicher Direktor der Klinik für Neurologie an den Universitäts- und Rehabilitationskliniken Ulm, gab sich weniger optimistisch. Die jüngsten MRT-Befunde zur ALS seien zwar interessant und wohl auch statistisch signifikant. Dass diese Techniken eine Differenzierung auf Gruppenebene erlauben, ist unbestritten und wurde von Ludolph mit seinen Kollegen kürzlich selbst in einer Studie nachgewiesen [4].

„Aber“, sagte Ludolph, „ich will mehr: Ein Biomarker sollte eine Diagnose auf individueller Ebene ermöglichen und außerdem bei der Stadieneinteilung der Krankheit helfen.“ Man habe schon einiges erreicht und die Aussichten auf weitere Fortschritte seien gut. Auch ließe sich die Treffsicherheit der Diagnose schon jetzt durch neuropsychiatrische und okulomotorische Untersuchungen erhöhen.

„Wir haben schon einiges erreicht, aber wir sind noch nicht gut genug.“
Prof. Dr. Albert C. Ludolph

Und in einer bereits eingereichten, aber noch nicht veröffentlichten Studie seiner Arbeitsgruppe hat man durch die Analyse der Integrität von Nervenbahnen per DTI ebenfalls eine leichte Verbesserung der Sensitivität und Spezifität erreicht, berichtete der Neurologe [5].

Mit Magnetfeldstärken von 1,5 bzw. 3 Tesla hatte man in dieser Studie 111 ALS-Patienten mit 74 Kontrollpersonen verglichen. Nachdem die Neuroradiologen und Statistiker anhand von Normdaten Schwellenwerte für die Integrität der Nervenbahnen zwischen vorab definierten Ursprungs- und Zielregionen definiert hatten, war es gelungen, 88 Patienten (79%) in eine der 4 Stadien der Krankheit einzuordnen.

„Wir haben schon einiges erreicht, aber wir sind noch nicht gut genug“, bilanzierte Ludolph. Dieser Meinung schloss sich auch die Mehrzahl der Zuhörer an: In der Abstimmung nach der Debatte stimmten sie erneut gegen die These, dass die Bildgebung zum jetzigen Zeitpunkt ein vielversprechender Biomarker bei der ALS sei.

Referenzen

Referenzen

  1. The 8th World Congress on Controversies in Neurology, 8. bis 11. Mai 2014, Berlin
    Debate: “Imaging is a promising biomarker for ALS”, 8. Mai 2014
    http://www.comtecmed.com/cony
  2. Foerster BR, et al: Acad Radiol. 2012; 19(9):1075-1086
    http://dx.doi.org/10.1016/j.acra.2012.04.012
  3. Foerster BR, et al: Ann Clin Transl Neurol. 2014; 1(2):107-114
    http://dx.doi.org/10.1002/acn3.30
  4. Kassubek J, et al: Ther Adv Neurol Disord. 2012; 5(2):119-127
    http://dx.doi.org/10.1177/1756285612437562
  5. Kassubek J, et al: Brain. In press

Autoren und Interessenkonflikte

Michael Simm
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Feldman EL, Ludolph AC: Es liegen keine Angaben zu Interessenkonflikten vor.

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