Auf Knopfdruck Hilfe – wie sinnvoll ist der Hausnotruf für Ältere?

Claudia Steinert | 9. Mai 2014

Autoren und Interessenkonflikte

Das System ist denkbar einfach: Ein Sender, der wie ein Armband oder eine Kette getragen wird, baut auf Knopfdruck über die normale Telefonleitung eine Verbindung zu einer Notrufzentrale auf. Die Mitarbeiter dort beurteilen den Ernst der Lage und benachrichtigen entweder Nachbarn oder Angehörige oder alarmieren direkt einen Notarzt oder Rettungsdienst. Doch während der Hausnotruf von einigen Akteuren gepriesen wird, sehen andere eine Gefahr darin, dass unnötige oder fälschlich ausgelöste Alarme die Rettungsdienste überlasten. Soll das System ausgeweitet oder eingedämmt werden?

Die Johanniter-Unfall-Hilfe preschte vor kurzem auf diesem Gebiet vor. Eine eigens in Auftrag gegebene FORSA-Umfrage unter 150 Allgemeinmedizinern, Praktikern und hausärztlich tätigen Internisten (API) kommt zu dem Ergebnis, dass 87% der befragten Ärzte den Hausnotruf für ein sinnvolles Hilfsmittel für alleinstehende, ältere Menschen halten [1].

Laut einer Studie der Stiftung Warentest kostet ein Hausnotruf zwischen 14 und 25 Euro im Monat [2]. Nur wer Pflegestufe I, II oder III vorweisen kann oder eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz aufweist, kann sich die Kosten von der Pflegekasse erstatten lassen. 55% der befragten Ärzte würden es jedoch befürworten, wenn die Kassen den Hausnotruf bei entsprechendem Bedarf auch unabhängig von einer Pflegestufe bezuschussten. Die Botschaft der Umfrage ist klar: Wir brauchen mehr Hausnotrufe und die Patienten dafür mehr Geld.

„Hausnotrufe sind oft notwendig, aber leider vielen Patienten unbekannt.“
Dr. Hans-Michael Mühlenfeld

Liegt es am Geld oder der fehlenden Informationspolitik?

Die zentrale Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland (GKV-Spitzenverband) ist von dieser Idee nur mäßig begeistert. „Das Geld, was wir haben, muss sinnvoll verteilt werden und pflegerische Leistungen müssen sich nach dem individuellen Bedarf richten“, so Pressesprecher Florian Lanz.

Doch ohnehin ist nicht klar, ob fehlende finanzielle Mittel überhaupt die Ursache für die geringe Verbreitung des Hausnotrufs sind. Die Initiative Hausnotruf, ein Zusammenschluss von Hausnotrufanbietern und Herstellern von Hausnotrufgeräten, geht von derzeit etwa 400.000 Nutzern aus [3]. Das entspricht nur etwa 2,6% der Bevölkerung über 65 Jahren. In Großbritannien nutzen hingegen mehr als 15% der Senioren einen solchen Dienst [4].

Dr. Hans-Michael Mühlenfeld, Vorsitzender des Bremer Hausärzteverbands, sieht das Problem nicht im Geldmangel, sondern vor allem in der fehlenden Informationspolitik: „Hausnotrufe sind oft notwendig, aber leider vielen Patienten unbekannt.“ Er nimmt nicht nur die Allgemeinärzte in die Informationspflicht, sondern auch Gesundheitspolitiker und Krankenkassen. „Das Problem ist, dass bisher keinem Akteur diese Aufgabe zugewiesen worden ist. Keiner fühlt sich verantwortlich, weil es weder gesetzlich noch vertraglich geregelt ist!“

Auch die Initiative Hausnotruf ist der Meinung, dass es vor allem an der mangelnden Bekanntheit liegt. Nur 40% der Menschen über 50 wüssten überhaupt davon.

Anekdoten dominieren, Fakten sind schwer zu finden

Anekdoten über den Hausnotruf gibt es zuhauf. Sie handeln von Leuten, die aus Versehen oder „nur zum Testen“ auf den Knopf gedrückt haben, weil sie der Technik nicht trauten. Doch wenn der ältere Mensch dann nicht mit der Hausnotrufzentrale spricht, gehen die Mitarbeiter dort von einem Notfall aus und senden einen Krankenwagen, manchmal sogar inklusive Feuerwehr, um die Wohnungstür aufzubrechen.

Daneben stehen Fälle, bei denen ein Hausnotruf wirklich Leben gerettet hat. Ein harmloser Sturz kann tödlich enden, wenn die Person sich nicht alleine wieder aufrichten kann und niemand etwas von ihrem Unglück bemerkt. Ein nicht schnell genug behandelter Herzinfarkt hat schlimme Folgen. Dann ist es gut, dass es den Hausnotruf gibt.

Harte Fakten zum Verhältnis Alarm/Fehlalarm gibt es indes bisher nur für einzelne Gebiete Deutschlands. Die Johanniter-Zentrale in Berlin beispielsweise betreut 16.500 Hausnotruf-Teilnehmer aus Berlin, Brandenburg und Sachsen. Sie nimmt laut Auskunft ihrer Pressestelle jeden Monat etwa 14.000 Notrufmeldungen entgegen. Davon sind 10% medizinische Notfälle. Jeden Monat rücken also allein in diesen 3 Bundesländern 1.400 Ärzte zu Patienten aus, die ohne Hausnotruf vielleicht keine Hilfe hätten holen können.

„Bei den
Johannitern
werden solche sozialen Anrufe genauso ernst genommen wie die akuten medizinischen Notfallsituationen.“
Uta Kay

Die restlichen 12.600 Alarme teilen sich wie folgt auch: 20% beziehen sich auf Stürze ohne ernsthafte Folgen und 30 bis 40% sind entweder Fehlalarme oder die Hausnotruf-Teilnehmer haben Fragen. Meist wollen die Menschen wissen, wann denn das Essen geliefert wird oder wann die Pflegekraft kommt. Problematisch wird ein Fehlalarm nur dann, wenn die Teilnehmer der Notrufzentrale nicht mitteilen, dass alles in Ordnung ist. Dann rückt ein Krankenwagen aus, der gar nicht gebraucht wird.

Die restlichen 30 bis 40% Alarme sind rein sozialer Natur. Dafür genüge dann oft ein verständnisvolles, einfühlsames Gespräch mit dem Teilnehmer. „Bei den Johannitern werden solche ‚sozialen Anrufe‘ genauso ernst genommen wie die akuten medizinischen Notfallsituationen“, sagt Uta Kay von der Johanniter-Hausnotrufzentrale in Berlin. In diesem Punkt also könnten Hausnotrufe die niedergelassenen Ärzte entlasten, die von ihrer älteren Klientel nicht immer nur wegen medizinischer Probleme aufgesucht oder angerufen werden.

Ein kleines Armband ersetzt die große Familie

Befürworter des Hausnotrufs meinen außerdem, dass das System den Umzug ins Pflegeheim hinauszögert und es den Menschen ermöglicht, länger in ihrer gewohnten Umgebung zu wohnen. Ein Wunsch, der bei alten Leuten ganz oben auf der Liste steht. Früher lebten alte Menschen oft mit ihren Kindern und Enkeln unter einem Dach.

Wenn ihnen etwas zustieß, war auf schnelle Hilfe verlass. Heute werden die Menschen nicht nur älter, sondern auch einsamer. Das Statistische Bundesamt schreibt in seinem Mikrozensus 2011, dass in jedem vierten Haushalt ausschließlich Menschen im Alter von 65 Jahren und älter wohnten [5]. Tendenz steigend.

Ob durch eine weite Verbreitung des Hausnotrufs die Gesamtkosten für das Gesundheitssystem wachsen oder schrumpfen, ist nicht ganz klar. Eine Langzeitvergleichsstudie, in der die Kosten von Patienten mit und ohne Nutzung des Hausnotrufs verglichen werden, gibt es bisher nicht.

Zumindest theoretisch findet das Konzept des Hausnotrufs reichlich Zuspruch. Laut einer FORSA-Umfrage im Auftrag des BMBF finden 90% der Bevölkerung über 40 Jahren, dass Hausnotruf oder Sturzerkennung eine sinnvolle Hilfe im Alter sind [6].

Referenzen

Referenzen

  1. Johanniter-Unfall-Hilfe e.V.: Imagebefragung Hausnotruf, 24. April 2014
    http://www.johanniter.de/die-johanniter/johanniter-unfall-hilfe/aktuelles/nachrichten/aktuelle-forsa-umfrage-unter-hausaerzten
  2. Stiftung Warentest: Hausnotruf, 09/2011
    http://www.test.de/Hausnotrufdienste-Drei-sind-gut-4270637-0
  3. Initiative Hausnotruf: Wirkungs- und Potenzialanalyse zum Hausnotruf in Deutschland, April 2010
    http://www.initiative-hausnotruf.de/11.html
  4. ICT & Ageing: European Study on Users, Markets and Technologies. Final Report January, 2010
    http://www.ict-ageing.eu
  5. Bundeszentrale für politische Bildung: Haushalte nach Zahl der Personen
    http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61587/haushalte-nach-zahl-der-personen
  6. FORSA-Umfrage im Auftrag des BMBF: „Alter und Technik heute, morgen und übermorgen", 21. Oktober 2013
    http://www.bmbf.de/press/3523.php

Autoren und Interessenkonflikte

Claudia Steinert
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Lanz F, Mühlenfeld H-M, Kay U: Es liegen keine Angaben zu Interessenkonflikten vor.

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