Anfangs war die Hoffnung noch groß, dass auf die Erschütterung bald wieder eine Erholung folgen würde. Nun, knapp 2 Jahre nach Bekanntwerden des Transplantationsskandals, wird deutlich, dass die Erholung noch länger auf sich warten lässt: Im vergangenen Jahr gab es nur noch 876 Organspender – ein Negativrekord für Deutschland.

Doch während der Vertrauensverlust bei der Gesamtbevölkerung relativ klar zu erkennen war, blieb bislang unbekannt, wie es um das Verhältnis speziell von Ärzten zur Organspende steht. Als Meinungsbildner, Multiplikator und Vertrauensperson in einem hat ihre Meinung ein besonderes Gewicht. Diese soll nun mit Hilfe einer Umfrage des Universitätsklinikums Essens und der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) der Region Nordrhein-Westfalen zusammen mit Medscape Deutschland erhoben werden. Im Interview erläutert der Transplantationsbeauftragte Dr. Stefan Becker die Hintergründe und seine persönliche Motivation.
Medscape Deutschland: Herr Dr. Becker, der Transplantationsskandal hat im vergangenen Jahr zu Debatten im öffentlichen Raum geführt. Ist das Thema denn nun – Monate später – noch aktuell?
Zentrum in Essen sind im vergangenen Jahr allein 39 Patienten gestorben, die auf eine Leber gewartet haben.“
Dr. Becker: In der Tat. In den letzten beiden Jahren ist die Zahl der Organspender laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation um 27 Prozent zurückgegangen. Der Trend scheint sich auch in diesem Jahr fortzusetzen. Dadurch entwickelt sich in Deutschland eine immer größere Diskrepanz zwischen der Verfügbarkeit geeigneter Organe und der Anzahl der auf eine Transplantation wartenden Patienten. Das hat zur Folge, dass in Deutschland derzeit pro Jahr leider mehr als 1.000 Patienten aufgrund eines fehlenden Spenderorgans sterben. An unserem Zentrum in Essen sind im vergangenen Jahr allein 39 Patienten gestorben, die auf eine Leber gewartet haben.
Medscape Deutschland: Können Sie sich erklären, warum das Fehlverhalten weniger zu einem Vertrauensverlust vieler geführt hat?
Dr. Becker: Die bekannt gewordenen Einzelfälle von Fehlverhalten fanden in einem sehr sensiblen Bereich statt. Daher ist es für mich persönlich nachvollziehbar, dass die Ereignisse zur Verunsicherung und sinkenden Spenderzahlen beigetragen haben. Unter den Folgen leiden aber diejenigen, die keinerlei Schuld trifft: Die Patienten.
Medscape Deutschland: Mit welchen Mitteln können wir den Patienten auf der Warteliste denn am besten helfen?
Dr. Becker: Wichtig ist es, das Vertrauen in die Transplantationsmedizin zurück zu gewinnen. Dazu müssen wir das System der Organtransplantation für die Bevölkerung transparent gestalten und die Kontrollinstrumente weiter stärken.
Medscape Deutschland: Welche Rolle spielen die Ärzte dabei?
Dr. Becker: Eine ganz entscheidende! Ärzte sind Meinungsbildner, Multiplikatoren und Vertrauenspersonen in einem und haben damit wichtigen Einfluss auf die Meinung und das Verhalten der Bevölkerung. Deswegen richtet sich unsere bundesweite Befragung auch gezielt an deutsche Ärzte. Wir wollen herausfinden, wie sie mit dem Thema Organspende umgehen.
Medscape Deutschland: Welche möglichen Folgen könnten sich hieraus ergeben?
bin überzeugt, dass die Transplantationen häufig die einzige erfolgversprechende Therapie von Organ-
erkrankungen im Endstadium ist. Sie hilft, Leben zu retten.“
Dr. Becker: Es gilt festzustellen, wo unter den Kollegen noch Informationsbedarf besteht. So wären wir in der Lage, gezielt unterstützende oder aufklärende Aktionen zu den Themen Organspende und -transplantation durchzuführen oder die bestehenden Maßnahmen lokal zu intensivieren.
Medscape Deutschland: Gibt es denn eine persönliche Motivation, warum Sie das Thema so strikt verfolgen?
Dr. Becker: Ich persönlich bin überzeugt, dass die Transplantationen häufig die einzige erfolgversprechende Therapie von Organerkrankungen im Endstadium ist. Sie hilft, Leben zu retten. Das ist für mich ein starkes Motiv, mich für die Organtransplantation und -spende einzusetzen.
Medscape Deutschland: Herr Dr. Becker, wir danken Ihnen für das Gespräch.