Ceritinib bei Lungenkrebs: Neue Waffe gegen Hirnmetastasen beim ALK-positiven NSCLC?

Dr. Sylvia Bochum | 5. Mai 2014

Autoren und Interessenkonflikte

Der Nachweis molekularer Veränderungen im Tumorgenom gewinnt bei der Therapie des Lungenkarzinoms zunehmend an Bedeutung. Prof. Dr. Alice Shaw von der Harvard Medical School in Boston und ihre Kollegen haben nun gezeigt, dass beim ALK-positiven Nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) mit Ceritinib nun ein weiterer, vielversprechender Tyrosinkinase-Inhibitor zur Verfügung steht. Die Ergebnisse der Phase-1-Studie wurden jetzt im New England Journal of Medicine publiziert [1].


PD Dr. Jürgen R. Fischer

Ceretinib erzielt bei vorbehandelten Patienten in fortgeschrittenem Stadium hohe Ansprechraten, scheint vor allem aber zusätzlich gegen ZNS-Metastasen wirksam zu sein. „Sollte sich die Aktivität von Ceritinib gegenüber Hirnmetastasen bestätigen, wäre das für die Therapie ein äußerst willkommener Zusatzeffekt“, so PD Dr. Jürgen R. Fischer, Chefarzt der Medizinischen Klinik II an der Klinik Löwenstein und Leiter des dortigen Lungenkrebszentrums.

Vor allem jüngere Nichtraucher könnten profitieren

Bei etwa 5% aller Patienten mit einem NSCLC findet sich in den Tumorzellen ein Rearrangement, an dem das Gen, das für die anaplastische Lymphomkinase (ALK) kodiert, beteiligt ist. Häufigster ALK-Translokationspartner ist hierbei das EML4(echinoderm microtubule-associated protein-like 4)-Gen. Die erworbene genetische Veränderung führt zur Überexpression von ALK, einer Tyrosinkinase, die im normalen Lungengewebe nicht aktiv ist.

Da allein in Deutschland jedes Jahr rund 50.000 Menschen an einem Lungenkarzinom erkranken, handelt es sich bei Patienten mit einer ALK-Translokation um eine insgesamt zwar kleine, zahlenmäßig aber dennoch nicht unerhebliche Subgruppe, die vor allem durch den verhältnismäßig hohen Anteil jüngerer Nichtraucher charakterisiert ist.

Der bereits 2012 zugelassene Multikinase-Inhibitor Crizotinib zeigte bei vorbehandelten NSCLC-Patienten mit dieser spezifischen genetischen Aberration auch im fortgeschrittenen Stadium noch eine beein­druckende Wirksamkeit mit Ansprechraten von annähernd 60% [2]. Allerdings kommt es unter der Therapie mit Crizotinib, zumeist aufgrund sekundärer Mutationen im ALK-Gen, innerhalb der ersten 12 Monate zur Resistenzentwicklung. Diese geht nicht selten mit dem Auftreten von ZNS-Metastasen einher – mit dann nur noch wenigen verbleibenden Behandlungsalternativen.

„Sollte sich
die Aktivität von Ceritinib gegenüber Hirnmetastasen bestätigen, wäre das für die Therapie ein äußerst willkommener Zusatzeffekt.“
PD Dr. Jürgen R. Fischer

Hohe Ansprechrate – unabhängig von Vorbehandlung

Eine in dieser Situation neue, vielversprechende Therapieoption könnte jetzt der neue ALK-Inhibitor Ceritinib sein. Das von dem Pharmaunternehmen Novartis entwickelte small molecule zeigte bereits in präklinischen Studien ein im Vergleich zu Crizotinib vielfach höheres Potenzial gegen den Tumor. In der jetzt veröffentlichten Studie führte Ceritinib bei gut 60% der Patienten zu einer Remission – und zwar unabhängig davon, ob diese zuvor bereits mit Crizotinib behandelt worden waren oder nicht.

In die multizentrische Studie wurden insgesamt 130 Patienten eingeschlossen: 59 in die Dosisfindungsphase (50 bis 750 mg täglich) und weitere 71 in die Expansionsphase. Insgesamt erhielten 114 Patienten Ceritinib in einer Dosierung von mindestens 400 mg täglich. Die meisten Studienpatienten (94%) hatten zuvor schon eine Chemotherapie erhalten. Rund 2 Drittel waren zusätzlich mit Crizotinib vorbehandelt und darunter progredient worden.

Bei einer Ceritinib-Dosierung von mindestens 400 mg täglich war die Gesamtansprechrate (overall response rate, ORR) innerhalb der Subgruppen annähernd gleich hoch – nämlich 56% (95%-KI: 45–67) bei Crizotinib-vorbehandelten Patienten versus 62% (95%-KI, 44–78) bei Crizotinib-naiven Patienten. Deutliche Unterschiede fanden sich hingegen beim medianen progressionsfreien Überleben (progression free survival, PFS) mit Vorteilen für die Crizotinib-naiven Patienten (6,9 Monate vs 10,4 Monate).

Suche nach optimaler Behandlungssequenz

Prof. Dr. Roman Thomas von der Abteilung für Translationale Genomik an der Universität Köln warf in einem begleitenden Editorial deshalb die Frage auf, in welcher Reihenfolge Crizotinib und Ceritinib bei Patienten mit einem ALK-positiven NSCLC verabreicht werden sollten [3].

Das intuitivste Szenario sei, so Thomas, Ceritinib erst nach  dem Auftreten einer Crizotinib-Resistenz einzusetzen – in der Hoffnung, dass sich die Zeitintervalle des progressionsfreien Überlebens der beiden zielgerichteten Inhibitoren aufaddieren und es zu einer deutlichen Verlängerung des Gesamtüberlebens kommt. Die Beobachtung, dass die Wirkung von Ceritinib unabhängig von den zugrundeliegenden Resistenzmechanismen gegen Crizotinib zu sein scheint, stützt diese Sichtweise.

Andererseits sei das um 3 Monate längere progressionsfreie Überleben bei Crizotinib-naiven Patienten durchaus ein Argument für den früheren Einsatz von Ceritinib, so Thomas. Um zu klären, welche zeitliche Reihenfolge die bessere ist, sei ein Kopf-an-Kopf-Vergleich der beiden Wirkstoffe nötig.

Man dürfe aber in dieser Situation nicht das Risiko außer Acht lassen, dass mit dem Auftreten einer Ceritinib-Resistenz sämtliche zur Verfügung stehenden Therapieoptionen bereits frühzeitig erschöpft sein könnten, da man nicht wisse, ob Crizotinib dann noch wirke, so Thomas.

„ZNS-Metastasen stellen unter der Crizotinib-Therapie oftmals die einzige Manifestation eines Progresses dar.“
PD Dr. Jürgen R. Fischer

Ein solches Szenario könnte negative Auswirkungen auf das Gesamtüberleben der Patienten haben. Diese Überlegungen teilt auch Fischer, der gleichzeitig aber betont, dass die neuen zielgerichteten Therapien momentan erst nach dem Ausschöpfen der klassischen Chemotherapie eingesetzt werden dürfen.

Sondersituation ZNS-Metastasen

Etwas eindeutiger könnte sich hingegen die Situation möglicherweise bei Patienten mit ZNS-Metastasen darstellen. „ZNS-Metastasen stellen unter der Crizotinib-Therapie oftmals die einzige Manifestation eines Progresses dar“, so Fischer. Möglicherweise besteht hier – wie in einem Fallreport gezeigt wurde – ein Zusammenhang mit einer im Vergleich zur systemischen Verfügbarkeit äußerst geringeren Konzentration des Wirkstoffes im Gehirn [4]. Von einigen Autoren wurde deshalb sogar die Möglichkeit einer intrathekalen Gabe von Crizotinib diskutiert [5].

In der vorliegenden Studie zeigte sich nun, dass Ceritinib bei Crizotinib-resistenten Patienten zur Größenreduktion entsprechender Läsionen im Gehirn führen kann. Dem neuen ALK-Inhibitor im Falle des Auftretens von ZNS-Metastasen zeitlich den Vorzug zu geben, sei deshalb durchaus eine Option, so Thomas. Noch muss dieser Effekt erst in weiteren Studien bestätigt werden. „Bestätigt sich die Wirkung, wäre das für die Therapie des ALK-positiven NSCLC ein enormer Gewinn“, so Fischer.

Hinsichtlich des Nebenwirkungsprofils sind Crizotinib und Ceritinib durchaus vergleichbar – wenn auch nicht identisch. Beide Wirkstoffe verursachen Leberfunktionseinschränkungen und gastrointestinale Symptome einschließlich Diarrhoe, Nausea und Erbrechen. Eine Diarrhoe Grad 3 oder 4 fand sich aber beispielsweise nur bei mit Ceritinib behandelten Patienten (7% vs 0%). Insgesamt seien die Nebenwirkungen aber relativ mild und leicht zu beherrschen gewesen, so die Autoren.

Referenzen

Referenzen

  1. Shaw AT, et al: NEJM 2014; 370(13):1189-1197
    http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1311107
  2. Shaw AT, et al: NEJM 2013;368(25):2385-2394
    http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1214886
  3. Thomas RK: NEJM 2014;370(13):1250-1251
    http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMe1316173
  4. Costa DB, et al: J Clin Oncol 2011;29:e443-5
    http://dx.doi.org/10.1200/JCO.2010.34.1313
  5. Chun SG, et al: Cancer Biol Ther. 2012;13(14):1376-1383
    http://dx.doi.org/10.4161/cbt.22255

Autoren und Interessenkonflikte

Dr. Sylvia Bochum
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Fischer JR: Es liegen keine Angaben zu Interessenkonflikten vor.

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