
Wiesbaden – Fast jeder zweite chronisch kranke Jugendliche vernachlässigt seine Therapie, nachdem er altersbedingt von seinem Pädiater entlassen worden ist. Auf der Vorab-Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e.V. zum Internistenkongress 2014 hob Dr. Christina Smaczny vom Frankfurter Referenzzentrum für Seltene Erkrankungen (FRSZE) an der Universitätsklinik Frankfurt/M, daher die Bedeutung des neuen Fachgebietes Transitionsmedizin hervor, die den Übergang vom Kinder- zum Erwachsenenmediziner gestaltet. „Medizin ist keine Industrie, wir haben keine Kunden, wie uns inzwischen verkauft wird. Alle Schwerkranken benötigen – gerade in der Transitionsphase – eine angemessene Versorgung. Die Politik muss unser Gesundheitswesen wieder zu einer ,marktfreien Zone' erklären“, fordert die Ärztin, die sich intensiv mit der Transition von Mukoviszidose-Patienten beschäftigt.
Abbruch der Therapie keine Seltenheit
Die Zahl chronisch kranker Kinder und Jugendlicher steigt stetig. Derzeit leben in Deutschland 38,7% der jungen Menschen mit einer chronischen Gesundheitsstörung, 13,7% der Minderjährigen haben „einen besonderen Bedarf an Gesundheitsversorgung“, so die aufgrund der unterschiedlichen Zahlen und Definitionen in Bezug auf chronische Erkrankungen offizielle Formulierung.
Die Jugendlichen werden, abhängig von der Vereinbarung mit den Kostenträgern bzw. den kassenärztlichen Vereinigungen, zwischen dem 18. und 21. Lebensjahr vom Pädiater in die Erwachsenenmedizin entlassen.
Viele Jugendliche sind jedoch erst weit nach dem 20. Lebensjahr bereit, die Eigenverantwortung für eine eigenständige gesundheitliche Versorgung zu übernehmen, so die Erfahrung von Transitionsexperten. Bis zu 40% von ihnen verlieren nach dem Übergang für kürzere oder längere Zeit den Kontakt zur spezialisierten Medizin.
Auch die Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin Dr. Silvia Müther von den DRK Kliniken Berlin-Westend, hat diese Erfahrung gemacht. „Oft stellen sie sich in den fachlich qualifizierten Einrichtungen der Erwachsenenmedizin erst dann wieder vor, wenn – womöglich vermeidbare – Komplikationen aufgetreten sind“, erläutert sie im Gespräch mit Medscape Deutschland.
Das Alter an der Schwelle zum Erwachsensein ist für alle Menschen – auch für Gesunde – eine Herausforderung. Es geht einher mit der Loslösung vom Elternhaus, der Entwicklung einer eigenen Weltanschauung, ersten Partnerschaften und der beruflichen Orientierung. „Darüber hinaus fragen sich chronisch Kranke aber auch, wie lange sie leben werden“, gibt Smaczny zu bedenken.
In dieser schwierigen Lebenssituation sollte man sie daher auf keinen Fall allein lassen, und „erst, wenn sie in der Lage sind, für sich selbst die Verantwortung zu übernehmen und sich selbst zu versorgen, können wir sie in die Erwachsenenmedizin entlassen. Dieser Zeitpunkt ist abhängig von der körperlichen und kognitiven Reife, dem aktuellen Gesundheitszustand, oder auch der Bereitschaft der Eltern loszulassen. Er ist also individuell verschieden.“
Steigende Zahl erwachsener Mukoviszidose-Patienten
muss unser Gesundheitswesen wieder zu einer ,marktfreien Zone‘ erklären.“
Derzeit leben rund 8.000 Menschen mit Mukoviszidose in Deutschland, von denen dank sich rapide entwickelnder Diagnose- und Therapiemöglichkeiten mittlerweile mehr als die Hälfte über 18 Jahre alt ist. „Trotzdem werden über 40 Prozent von ihnen weiter in pädiatrischen Einrichtungen behandelt“, so Smaczny. Entsprechend dringend werden Strukturen zu deren Behandlung in der Inneren Medizin und vor allem auch zu deren Überleitung in die Erwachsenenmedizin benötigt.
Unter dem Titel „Frankfurter-Modell 2010“ entwickelten Pädiater und Pneumologen an der Universitätsklinik Frankfurt/Main ein Transitionsprogramm für betroffene junge Patienten. Im April 2010 wurde eine pädiatrische mit einer internistischen Mukoviszidose-Einrichtung unter einem Dach zusammengelegt. Pädiater und Internisten treffen sich hier zu gemeinsamen Teamsitzungen und besprechen fachübergreifende Therapien.
„Neben der Abstimmung der Therapiekonzepte muss aber auch eine Einführung in das neue Betreuungssystem stattfinden“, so Smaczny. „Und alle Maßnahmen müssen sich nach der individuellen kognitiven, psychosozialen und physischen Situation des Patienten ausrichten.“ Allerdings, so kritisiert die Ärztin aus Frankfurt, stehe die Finanzierung der Transitionsprojekte auf sehr wackeligen Füßen:
„Zwar war durch das Mukoviszidose-Patientenregister in Deutschland schon frühzeitig klar, dass die Transition Jugendlicher notwendig ist. Aber bislang reagierte die Politik nicht ausreichend. Alle unsere Projekte sind allein spendenfinanziert und damit ist die Zukunft der Transition für dieses Krankheitsbild, aber auch für andere sehr ungewiss.“
Das Berliner TransitionsProgramm
Eine Ausnahme allerdings gibt es in der Hauptstadt. Dort entwickelten Ärzte im Rahmen einer Förderung durch die Robert Bosch Stiftung an den DRK Kliniken Berlin das sogenannte Berliner TransitionsProgramm (BTP). Müther, Projektmanagerin des BTP, stellt auf dem Internistenkongress anhand dieses Programms Aufgaben, Probleme und Lösungsmöglichkeiten für die Transition in die Erwachsenenmedizin vor.
Das BTP wird von verschiedenen Krankenkassen im Rahmen eines IV (Integrierte Versorgung)-Vertrages finanziert. Seine Kernelemente sind die Entwicklung eines „Fahrplans“ über eine Dauer von 2 Jahren mit transitionsspezifischen Leistungen wie T(ransitions)-Gesprächen auch mit den Eltern der Patienten, gemeinsamen Sprechstunden mit Pädiatern und spezialisierten Erwachsenenmedizinern, Fallkonferenzen sowie Epikrisen, einer Art Arztbrief, der neben dem Krankheitsverlauf auch den Patienten als kompletten Menschen beschreibt.
Die Transition wird von einem professionellen, sektorenübergreifenden und außerhalb der behandelnden Zentren angesiedelten Fallmanagement koordiniert. Es soll auch verstärkt nicht-ärztliches Betreuungspersonal zum Einsatz kommen, um zum Beispiel soziale Barrieren ausfindig zu machen und aufzuheben.
einer chronischen Erkrankungen allerdings noch lang. “
„Wir haben das Konzept zwei Jahre mit Jugendlichen mit Diabetes Typ 1 und Epilepsie in Berlin und Brandenburg erprobt und sehr gute Erfahrungen gemacht“, berichtet Müther. Es eigne sich darüber hinaus auch als Matrix für einen fach- und indikationsübergreifenden sowie überregionalen Einsatz. Doch die Expertin schränkt ein: „In Deutschland ist der Weg zu einer einheitlichen strukturierten Transition für Jugendliche mit einer chronischen Erkrankungen allerdings noch lang.“
Verein für einen bundesweiten Ansatz
Um dieses Ziel schneller zu erreichen, wurde vor 2 Jahren die Deutsche Gesellschaft für Transitionsmedizin e.V. gegründet. Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, die bislang zwar vielfältigen, aber unkoordinierten Einzelprojekte zu bündeln und zu einem krankheitsübergreifenden Transitions-Konzept zusammenzufassen.
Besondere Herausforderungen diesbezüglich stellen neben seltenen Erkrankungen auch die Versorgung von Angehörigen ethnischer Minderheiten und sozial benachteiligten Menschen dar.
Das aktuell wichtigste Ziel, das sich der Verein auf die Fahnen geschrieben hat, ist es, Wege für die Finanzierung der Transitionsmedizin zu finden. Das allein dürfte aus heutiger Sicht schon eine schwierige Aufgabe sein.
Mehr zum Thema erfahren Sie auf dem Internistenkongress (DGIM) in dem Symposium „Transitionsmedizin“ am 26. April 2014 um 14:30 Uhr.