Chronisch entzündliche Darmerkrankungen – Therapie im Umbruch

Gerda Kneifel | 24. April 2014

Autoren und Interessenkonflikte

Wiesbaden – Die Prävalenz chronisch entzündlicher Darmerkrankungen (CED) nimmt zu, aber auch neue Medikamente wurden in den vergangenen Jahren entwickelt. So haben sich mit der Zulassung von TNF-alpha-bindenden Antikörpern die Behandlungsmöglichkeiten deutlich erweitert.


PD Dr. Oliver Bachmann

Jedoch sind die meist immunsuppressiv wirkenden Medikamente eingeschränkt oder nur bei bestimmten Subgruppen wirksam. Zwar ließe sich mit den bisherigen Therapien das Beschwerdebild bessern und schwere Entzündungszustände vermeiden.

„Bislang gibt es aber zu wenig evidenzbasierte Therapien, die den Entzündungsprozess im Darm kontrollieren und den chronischen Verlauf unterbrechen“, erläutert PD Dr. Oliver Bachmann, Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie, Medizinische Hochschule Hannover, auf der Vorab-Pressekonferenz zum Internistenkongress in Wiesbaden.  

„Doch derzeit verschieben sich die Studien-Endpunkte. Die Forscher haben nicht mehr nur die Besserung der Beschwerden im Blick, sondern erste Untersuchungen zielen auf die Gewebeheilung, die Verhinderung von Operationen oder auch die Vermeidung von Krankenhausaufenthalten.“

Noch keine befriedigende Lösung in Sicht

„Das sehr weit verbreitete orale Immunsuppressivum Azathioprin zum Beispiel wurde nie in ausreichend großen, kontrollierten Vergleichsstudien untersucht.“
PD Dr. Oliver Bachmann

Noch mangele es aber an entsprechenden belastbaren Studien. „Das sehr weit verbreitete orale Immunsuppressivum Azathioprin zum Beispiel wurde nie in ausreichend großen, kontrollierten Vergleichsstudien untersucht“, so Bachmann. Im vergangenen Jahr zeigte dann eine Studie, dass das Medikament bei Patienten mit neu diagnostiziertem Morbus Crohn keinen therapeutischen Vorteil gegenüber Placebo bringt. Ganz im Gegenteil, deutlich mehr Studienteilnehmer brachen die Behandlung aufgrund unerwünschter Nebenwirkungen ab als in der Vergleichsgruppe [2].

Wenn das Immunsuppressivum Azathioprin versagt, sehen die Leitlinien eine Anti-TNF-alpha-Therapie vor. TNF-alpha beeinflusst viele verschiedene immunregulatorische und metabolische Vorgänge. Die den Tumornekrosefaktor alpha bindenden Antikörper Infliximab, Adalimumab und Certolizumab pegol zeigen auch eine deutliche Wirkung – allerdings „stellt auch diese Therapie keine Lösung für alle Patienten mit CED dar“, schränkt der Mediziner aus Hannover ein.

In den großen Zulassungsstudien zeigte sich für alle 3 Antikörper, dass die positiven Effekte bei weniger als der Hälfte der Patienten über ein Jahr aufrecht erhalten werden konnten. Damit steht zu befürchten, dass auch die Anti-TNF-alpha-Therapie nicht mehr als 20 bis 30% der Patienten dauerhaft in einer entzündungsfreien Remission halten kann [2]. Und das bei deutlich erhöhter Infektionsgefahr unter dieser Therapie.

Die Anti-TNF-alpha-Therapie sei damit zwar eines der verfügbaren wirksamen Präparate, jedoch durch eingeschränkte Effektivität und das Potential infektiöser Nebenwirkungen belastet. „Daher wird derzeit an einer zweiten Generation solcher Moleküle gearbeitet, die eine deutlich geringere Immunogenität besitzen sollen.“

Ein erstes Beispiel dieser Generation ist laut Bachmann Golimumab, das bei CU zugelassen ist. Es wirkt ähnlich effizient wie Infliximab und hat auch ein vergleichbares Nebenwirkungsprofil.

T-Zellen-Aktivierung wenig erfolgreich

Medikamente, die T-Zellen im Visier haben – die wichtigsten Akteure des adaptiven Immunsystems – bringen ernüchternde Ergebnisse. So zeigten 2 große multizentrische Studien mit Abatacept keinen therapeutischen Nutzen bei CED.

„Bei Morbus-Crohn-Patienten sind die sehr prominenten Panethzellen mit ihren vielen Granula verändert, die Granula wirken wie angefressen.“
PD Dr. Oliver Bachmann

Eine Studie mit dem Antikörper AMG 827 wurde erst vor kurzem abgeschlossen, bislang ist nur ein Abstract veröffentlicht. Auch diese Untersuchung brachte ein ernüchterndes Ergebnis: Das Medikament, das die T-Zellen durch die Blockade des Zytokins Interleukin-17 aktivieren sollte, hatte nicht nur keinen therapeutischen Nutzen, sondern verschlechterte sogar den Zustand eines großen Teils der Probanden.

„Gleiches gilt für Secukinumab, einen zweiten IL-17-Antikörper“, berichtete Bachmann. „Alles in allem ist also eine auf die Aktivierung von T-Zellen abzielende Therapie der CED nicht sehr erfolgreich, beziehungsweise führt sogar zu einer Verschlechterung der Erkrankung.“

Etwas erfreulicher sieht es derzeit nur bezüglich Ustekinumab bei moderatem bis schwerem Morbus Crohn aus, das an Untereinheiten von Interleukin-12 und -23 andockt. Die Wirkung ist dabei auch auf die Aktivierung der Epithelzellen sowie die Aufrechterhaltung der Barriere im Gastrointestinaltrakt zurückzuführen. Erste Studienergebnisse mit einem positiven Effekt auf den Crohn's Disease Activity Index (CDAI) liegen bereits vor. Derzeit läuft eine sehr große Phase-3-Studie, die den therapeutischen Nutzen bestätigen soll.

Sind andere Angriffspunkte für Biologika die Lösung?

Andere Biologika haben Interleukin-6 oder auch Adhäsionsmoleküle zum Ziel. Bereits für die Therapie der rheumatoiden Arthritis zugelassen ist Tocilizumab, das auch bei mittelschwerem bis schwerem MC zumindest nach 12 Wochen Wirkung zeigte. Anwendung findet das Medikament bei dieser Erkrankung dennoch nicht. „Der Grund hierfür könnte in einer seiner Nebenwirkungen, der gastrointestinalen Perforation, liegen“, so Bachmanns Vermutung. Generell sei das die große Herausforderung bezüglich der IL-6-blockierenden Therapien: Zwar könne man mit ihnen effizient die Entzündungsprozesse kontrollieren, gleichzeitig hemmten sie jedoch viele andere Entzündungsmechanismen.

Ein neuer Hoffnungsträger ist laut Bachmann auch Vedolizumab, das Adhäsionsmoleküle inhibiert, die den bei CED auftretenden Einstrom von Leukozyten in die entzündete Darmwand ermöglichen. Der Antikörper mit erhöhter Darmspezifität habe eine dauerhafte klinische Antwort beziehungsweise eine dauerhafte kortisonfreie Remission bei mittelschwerer bis schwerer CU hervorgerufen.

„Morbus Crohn ist demnach keine einheitliche Erkrankung, sie lässt sich vielmehr in unterschiedliche Klassen aufteilen: Dickdarm-MC und Dünndarm-MC.“
PD Dr. Oliver Bachmann

Bei MC allerdings verfehlte es in einer Studie an 416 Patienten den Endpunkt der klinischen Remission nach 6 Wochen. „Trotzdem wird das Biologikum das therapeutische Spektrum bei CED wesentlich erweitern und voraussichtlich das erste hierfür bei uns zugelassene Medikament mit diesem Wirkmechanismus darstellen“, ist sich Bachmann sicher.

Die Panethzellen-Theorie

Dass Biologika als Wundermittel gegen Autoimmunerkrankungen nicht die erhofften Wirkungen bringen, könnte im Falle der CED einen einfachen Grund haben. Seit rund 15 Jahren postulieren PD Dr. Jan Wehkamp und Prof. Dr. Eduard Stange, beide Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart, dass CED keine Autoimmunerkrankungen darstellen, sondern einen Defekt der Barrierefunktion des Darmepithels. Im Dünndarm etwa seien die Panethzellen im Epithel gestört.

„Bei Gesunden sezernieren Panethzellen antibiotisch wirksame Substanzen, vor allem sogenannte Defensine, die Bakterien davon abhalten, in die Darmschleimhaut einzudringen“, erläutert er im Gespräch mit Medscape Deutschland. „Dort ist die Schleimhaut weitgehend steril. Bei Morbus-Crohn-Patienten sind die sehr prominenten Panethzellen mit ihren vielen Granula verändert, die Granula wirken wie angefressen.“ Die Produktion der körpereigenen Antibiotika funktioniert nicht mehr einwandfrei und Bakterien können sich daher an das Epithel anlagern und gelangen in die Mukosa.

„Als französische Kollegen im Jahr 2001 nachwiesen, dass Morbus Crohn mit einer Mutation des NOD2-Gens assoziiert ist, war das für uns ein Durchbruch“, erinnert sich Wehkamp, denn das NOD2-Gen wiederum ist assoziiert mit einer reduzierten Defensin-Produktion im Dünndarm – den Defensinen also, die von Panethzellen sezerniert werden. Im Dickdarm blieb die Defensin-Konzentration unverändert. „Morbus Crohn ist demnach keine einheitliche Erkrankung, sie lässt sich vielmehr in unterschiedliche Klassen aufteilen: Dickdarm-MC und Dünndarm-MC“, zieht Wehkamp die klinisch bedeutende Schlussfolgerung.

Bei Colitis ulcerosa, der zweiten wichtigen Krankheit der CED, verhält es sich nach Ansicht der Stuttgarter etwas anders. Die Ursache ist nach Auffassung von Wehkamp und Stange – die für ihre Theorie mittlerweile weltweit Anerkennung erhalten – eine gestörte Bildung der von Becherzellen produzierten Darmschleimbestandteile. Gerade bei CU-Patienten ist diese Schleimschicht nämlich deutlich schmaler als bei Gesunden. In der Folge wandern Defensine vermehrt durch sie hindurch ins Darmlumen, wodurch sie ihrer schützenden Funktion auf dem Epithel nicht mehr nachkommen können. 

Das Ziel von Wehkamp und Stange ist nun, auf dieser Theorie basierende Therapien zu entwickeln. Ein Beispiel in diese Richtung ist das Bakterium E. coli Nissel 1917. Es wirkt prophylaktisch gegen Colitis-ulcerosa-Schübe, weil ein Protein des Bakteriums die Bildung spezifischer Defensine im Dickdarm fördert. Als Ergänzung zur Immunsuppression bei akuten Schüben könnten solche die Barrierefunktion stärkende Substanzen künftig helfen, die Remission zu erhalten.


Mehr zum Thema erfahren Sie auf dem Internistenkongress (DGIM) u.a. in den Veranstaltungen „Darm aktuell: Mikrobiota und Probiotika“ am 26. April 2014 um 14:30 Uhr, „Gastroenterologie/Hepatologie: Was ist neu für die Praxis?“ am 29. April um 10:00 Uhr und in dem Symposium „Chronisch entzündliche Darmerkrankungen“ am 27. April 2014 um 8:00 Uhr.


Referenzen

Referenzen

  1. 120. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), 26. bis 29. April 2014, Wiesbaden
    Vorab-Pressekonferenz (23.04.2014)
    http://www.dgim2014.de 
  2. Schreiber S, et al: Internist 2014;55:367-376
    http://www.dx.doi.org/10.1007/s00108-013-3415-4

Autoren und Interessenkonflikte

Gerda Kneifel
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Bachmann O: Er hat Einladungen zu Vorträgen angenommen oder an Beratungsstunden teilgenommen, die durch die pharmazeutischen Firmen Abbvie, Falk, Ferring und MSD unterstützt wurden.

Wehkamp J: Beratung für MSD, Abbvie, Novartis, Ardeypharm und Böhringer Ingelheim. Vortragshonorare von Falk, MSD, Abbvie, Roche, Ferring.

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