
Mannheim – Was interventionelle Eingriffe in der Kardiologie angeht, sind die Deutschen Weltmeister. Mit mehr als 10.000 per Katheter implantierten Aortenklappen (TAVI) im Jahr 2013 stehe „Deutschland einsam an der Spitze“, berichtete Kongresspräsident Prof. Dr. Christian W. Hamm zum Start der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) in Mannheim [1]. Ist dies eine gute oder eine schlechte Nachricht?
Allgemein werden Koronarinterventionen in Deutschland im internationalen Vergleich sehr häufig vorgenommen – zu häufig, lautet ein immer wieder erhobener Vorwurf. Diesem Vorwurf trat Hamm, Klinikdirektor Kardiologie-Angiologie am Universitätsklinikum UKGM Gießen, bei der Auftakt-Pressekonferenz in Mannheim entgegen. Er verwies auf den Herzbericht 2013. Nach diesem hat die Zahl der Linksherzkatheter-Untersuchungen von 2011 auf 2012 sogar um 2,5% abgenommen – von (hochgerechnet) 870.282 auf 857.688 – und die Zahl der perkutanen Koronarinterventionen (PCI) ist lediglich um 2,7% von 328.654 auf 337.171 gestiegen [2]. Hamm: „Die Zahlen haben ein Plateau erreicht und stabilisieren sich.“
Demographie erklärt zum Teil die steigenden Interventionen
Zudem seien die Zahlen vor dem Hintergrund der Erkrankungshäufigkeiten zu sehen. Auch dazu liefert der Herzbericht aktuelle Zahlen: Einer Abnahme bei den koronaren Herzerkrankungen (KHK) in allen Altersgruppen steht ein Anstieg bei den Herzinsuffizienz- und Herzklappenerkrankungen jenseits des 75. Lebensjahres und der Herzrhythmusstörungen bereits in der Altersklasse ab 45 Jahren gegenüber.
Ein Teil dieser Zunahme sei sicher der demographischen Entwicklung geschuldet, sagte Hamm, ein weiterer Teil der Verbesserung in den diagnostischen Methoden.
auf Kosten der Operationen,
sie sind additiv dazugekommen!“
Als „erfreulich“ bezeichnete er dabei die „anhaltende Tendenz einer zurückgehenden Sterblichkeit bei Herzkrankheiten im vergangenen Jahrzehnt“ – so sei die Sterbeziffer (Gestorbene pro 100.000 Einwohner) beim akuten Myokardinfarkt zwischen 2000 und 2010 bei den Frauen um 18,4% und bei den Männern um 15,8% zurückgegangen.
So weit die „Good News“. Doch werden besonders die hohen – und weiter rasant steigenden – TAVI-Zahlen in Deutschland auch immer wieder kritisiert. Zwar ist die Implantation der Aortenklappe per Katheter das schonendere Verfahren und ohne Einsatz der Herz-Lungenmaschine möglich. Zum anderen bleibt bei dieser Methode aber die Ungewissheit, welche Optionen der Re-Intervention es gibt, wenn die neuen Klappen vielleicht nach 10 bis 15 Jahren etwa aufgrund von Verkalkungen nicht mehr funktionieren, erläuterte DGK-Pressesprecher Prof. Dr. Eckart Fleck aus Berlin bei der Veranstaltung.
Im Gegensatz dazu ist nach einem chirurgischen Eingriff am offenen Herzen eine Re-Operation in der Regel möglich – ein Grund, warum die TAVI-Methode bislang nur für ältere Patienten mit hohem Operationsrisiko als indiziert gilt.
Was sagt die Zahl der Interventionen wirklich aus?
Doch lassen die hohen Interventionszahlen in Deutschland nicht per se vermuten, dass diese Indikation, die auch die DGK in ihren Leitlinien betont, in der Praxis nicht immer eingehalten wird? „Ich bin überzeugt, der weitaus größte Anteil der Patienten wird indikationsgerecht behandelt“, betonte Hamm. Er beruft sich dabei auf ebenfalls in Mannheim vorgestellte Daten von GARY (German Aortic valve RegistrY), des weltweit größten Aortenklappen-Registers. In ihm sind rund 70% der im Jahr 2013 durchgeführten Aortenklappen-Interventionen zusammen gefasst [3].
rate ist nach wie
vor nicht zu vernachlässigen.“
Laut GARY sind rund ein Drittel der im Jahr 2012 vorgenommenen Aortenklappeninterventionen als TAVI erfolgt – mit allerdings steil steigender Tendenz in den wenigen Jahren, seit es dieses Verfahren gibt. Allerdings ist dabei die Zahl der jährlich vorgenommenen konventionellen Aortenklappen-Operationen relativ stabil geblieben – bei rund 11.000 bis 12.000 solcher Eingriffe pro Jahr.
Hamm sagte dazu: „Die TAVI-Eingriffe gingen damit nicht auf Kosten der Operationen, sie sind additiv dazugekommen!“ In sehr vielen Fällen werde die Entscheidung für die konventionelle OP oder TAVI gemeinsam von Herzchirurgen und interventionellen Kardiologen gefällt, unterstrich er bei der Pressekonferenz.
Doch ganz so ideal ist die Realität dann doch nicht, machten die in einer separaten Sitzung in Mannheim von Prof. Dr. Helge Möllmann vom GARY „Executive Board“ vorgestellten aktuellen Daten des prospektiven Registers deutlich [4]. So wird derzeit nach seiner Auskunft die Indikation nur bei knapp der Hälfte der Fälle tatsächlich von einem so genannten „Herzteam“ gestellt – wobei sich hier aber über die letzten Jahre eine steigende Tendenz zeige. In den ersten Jahren von GARY sei dies nur bei rund jedem vierten Eingriff der Fall gewesen.
so, dass wir zuhauf Schlaganfälle durch die Prozedur verursachen.“
TAVI: So „schonend“ dann doch nicht
Möllmann, Kardiologe an der Kerckoff Kinik Bad Nauheim, warnte auch aufgrund seiner Daten davor, die Komplikationsrate bei der TAVI zu unterschätzen. „Die Komplikationsrate ist nach wie vor nicht zu vernachlässigen.“
Im GARY-Register waren bis zum Tag vor der DGK-Tagung (22. April 2014) 62.013 Aortenklappen-Patienten eingeschlossen. Von rund 30.000 Patienten, die in den Jahren 2011/2012 behandelt worden sind, stellte Möllmann Daten vor. Rund 30% dieser Patienten hatten eine TAVI (transvascular oder transapikal) erhalten, 70% waren chirurgisch – mit oder ohne begleitende Bypass-OP – behandelt worden. Tatsächlich handelte es sich bei den TAVI-Patienten bevorzugt um ältere Patienten über 75 Jahre mit hohem Risiko, das bestätigen die Registerdaten.
Dieser Umstand sei z.B. bei der Bewertung der 1-Jahres-Mortalitätsraten von den inzwischen ausgewerteten 13.595 Register-Patienten zu berücksichtigen, betonte Möllmann in Mannheim. Danach sind 1 Jahr nach der Klappenintervention 6,7 bzw. 11,0% (ohne bzw. mit zusätzlicher Bypass-OP) der chirurgisch behandelten Patienten gestorben; nach TAVI betragen diese Raten dagegen 20,7 bzw. 28% (transvaskulärer bzw. transapikaler Zugang). Ganz entscheidend wird die Prognose nach TAVI davon beeinflusst, wie ausgeprägt die die verbleibende Aorteninsuffizienz ist, belegen die Registerdaten.
Die Sterberaten zu Ungunsten der TAVI ändern sich auch dann nicht maßgeblich, wenn man ältere und jüngere Patienten (über und unter 75 Jahre) getrennt betrachtet. „Die niedrige Mortalität nach der Klappenchirurgie hat vor allem mit dem Ausgangsrisiko dieser Patienten zu tun – auch bei den Älteren werden vor allem die fitten operiert“, erläuterte Möllmann. „Dies bedeutet nicht, dass die TAVI schlechter ist. Es handelt sich bei den TAVI-Patienten um ein komplett anderes Patientenkollektiv!“
„Beruhigend“: Kaum mehr Schlaganfälle nach TAVI
TAVI-Patienten benötigen auch deutlich öfter einen Schrittmacher. 26,2% nach transvaskulärem Klappenersatz und 14.1 % nach transapikalem hatten 1 Jahr nach dem Eingriff einen Schrittmacher erhalten, dagegen nur 7,3 bis 7,7% der konventionell am offenen Herzen Operierten. Als „beruhigend“ bezeichnete Möllmann die Daten zur Schlaganfallhäufigkeit.
Diese unterschieden sich kaum mit 1,8 bzw. 2,8 % (je nach Zugang) unter der TAVI und 1,3 bis 2,1% nach der Operation. Möllmann: „Es ist also nicht so, dass wir zuhauf Schlaganfälle durch die Prozedur verursachen.“
Sein Fazit aus den Daten: Nach wie vor gehe es darum, die Patienten für die TAVI bzw. Herzchirurgie „vernünftig auszuwählen“. Für Patienten mit niedrigem bzw. mittlerem Risiko seien die Operationsergebnisse nach wie vor eindeutig besser als die der TAVI. Nur in den höchsten Risikogruppen würden mit TAVI und Operation ähnlich gute Ergebnisse erreicht.
Widerspricht dies nicht den aktuell beim ACC-Kongress vorgestellten Daten eine US-Studie, nach der die TAVI dem Eingriff am offenen Herzen in punkto 1-Jahres-Sterblichkeit eindeutig überlegen war?
In der Studie waren beide Verfahren ebenfalls bei im Schnitt über 80-Jährigen verglichen worden – und es handelte sich um ein „hochselektiertes Kollektiv“, gab Möllmann auf diesen Einwand seines Kollegen Dr. Anselm Gitt, Kardiologe am Klinikum Ludwigshafen, einen der Vorsitzenden der Veranstaltung, zu bedenken. Im Register dagegen seien „Allcomers“ ausgewertet. „Außerdem ist die deutsche Chirurgie besser als die in dieser Studie von den US-Kollegen erreichten Ergebnisse.“
Auch der zweite Vorsitzende der Sitzung, Prof. Dr. Hans Martin Hoffmeister, Chefarzt am Städtischen Klinikum Solingen, warnte davor, aufgrund der positiven Ergebnisse der US-Studie die TAVI-Indikation auf jüngere Patienten mit niedrigerem Risiko auszuweiten: „Diese Patienten haben noch eine deutlich längere Lebenserwartung – und bislang wissen wir nicht, wie diese langfristig zu behandeln sind.“