
Mannheim – CRYSTAL-AF lautet das Kürzel einer internationalen Studie, die zwar bislang noch nicht publiziert ist, aber aller Voraussicht nach das Vorgehen – und die Leitlinien – bei Patienten nach kryptogenem Schlaganfall maßgeblich verändern wird. Prof. Dr. Johannes Brachmann, II. Medizinische Klinik des Klinikums Coburg, einer der deutschen Studienleiter, stellte sie auf einer Pressekonferenz während der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) in Mannheim vor [1]. Hauptergebnis der Studie: Im Vergleich zum bisher üblichen Vorgehen lässt sich durch einen implantierten kardialen Recorder bei Patienten nach kryptogenem Schlaganfall 6 bis 9 Mal häufiger ein Vorhofflimmern diagnostizieren.
Die Bedeutung der Studie für die Praxis hat Brachmann im Gespräch mit Medscape Deutschland erläutert. „Etwa ein Viertel aller Schlaganfälle sind kryptogen – es lässt sich keine Ursache finden“, erklärt er. „Wir wollten in einer prospektiven randomisierten kontrollierten Studie nachweisen, dass bei einem nicht unerheblichen Anteil dieser Patienten ein Vorhofflimmern vorliegt. Es gab frühere Befunde aus anderen Studien in diese Richtung – unsere ist aber die erste, die die wissenschaftlichen Kriterien so weit erfüllt, um auch Eingang in die Leitlinien zu finden.“ [2]
Bislang wird Vorhofflimmern meist eher zufällig entdeckt
Gelingt es, den Verdacht auf ein Vorhofflimmern zu bestätigen, hat dies ganz erhebliche Konsequenzen für die Sekundärprävention: Während die Leitlinien für Schlaganfall-Patienten ohne Vorhofflimmern Plättchenhemmer wie ASS oder Clopidogrel empfehlen, schützt die gleiche Strategie nicht mehr ausreichend, wenn zusätzlich ein Vorhofflimmern vorliegt – in diesem Fall sprechen die Leitlinien eine klare Empfehlung für eine orale Antikoagulation aus. Allerdings: Bislang ist die Rate der Patienten gering, bei denen es gelingt, mit dem Standardmonitoring per (Langzeit-)EKG nach kryptogenem Hirninfarkt die Rhythmusstörung zu verifizieren. „Das beruht meist eher auf Zufall“, so Brachmann.
die erste, die die wissenschaftlichen Kriterien so weit erfüllt, um auch Eingang in die Leitlinien zu finden.“
Vor diesem Hintergrund wurde die CRYSTAL-AF-Studie geplant. Sie fand in 55 Zentren in den USA, Kanada und Europa statt. Brachmann berichtet: „Wir haben bei den Teilnehmern sehr präzise abgeklärt, ob es sich tatsächlich um einen ‚kryptogenen‘ Schlaganfall handelte.“ Es wurde intensiv auch nach möglichen seltenen Ursachen gefahndet.
Schließlich fanden 441 Patienten mit Schlaganfall oder klinisch relevanter TIA (Transitorisch Ischämischer Attacke) Aufnahme in die Studie. Sie erhielten alle in den ersten 30 Tagen ein Langzeit-EKG über mindestens 24 Stunden. „Auch da findet man schon Einiges“, stellt der Kardiologe fest. Erst danach bekam die Hälfte einen kleinen kardialen Recorder (Reveal® XT von Medtronic) unter die Haut implantiert. Das Gerät, das etwa die Größe eines USB-Sticks mit 2 kleinen Elektroden hat, erlaubt ein kardiales Monitoring über einen Zeitraum von bis zu 3 Jahren. Die Implantation ist minimal-invasiv, dauert 15 bis 30 Minuten und wird ambulant unter Lokalanästhesie vorgenommen. Die aufgenommenen Daten lassen sich per Fernbedienung auslesen.
Nach drei Jahren ein Unterschied in den Detektionsraten von drei zu 30 Prozent
Im Schnitt erfolgte die Versorgung mit dem Recorder 40 Tage nach dem Index-Schlaganfall. „In Zukunft wird dieses Gerät aber unmittelbar nach dem Schlaganfall implantiert werden“, stellt Brachmann gegenüber Medscape Deutschland klar. „Das macht mehr Sinn. Man kann den Patienten die Langzeit-EKGs ersparen und sehr präzise etwaiges Vorhofflimmern erfassen.“
Wie präzise diese Erfassung mit dem Recorder tatsächlich gelingt, machte die Studie eindrucksvoll deutlich: Nach 6 Monaten (dem primären Studienendpunkt) war bei 8,9% der Patienten mit dem implantierten Monitor, aber nur bei 1,4% der Kontrollen Vorhofflimmern nachgewiesen worden (HR: 6,43; P=0,0006). Nach 12 Monaten betrug der Unterschied 12,4 zu 2,0% (HR: 7,32; P=0,0001) und 3 Jahre nach dem Schlaganfall sogar 30 zu 3% (HR: 8,78; p=0,0001).
„In Zukunft wird dieses Gerät aber unmittelbar nach
dem Schlaganfall implantiert werden.“
War ein Vorhofflimmern dokumentiert, so wurde dieses in der Studie auch entsprechend den Leitlinien „als strenge Indiktion für eine orale Antikoagulation“ betrachtet, berichtet Brachmann. „Weit über 90% haben dann auch Vitamin-K-Antagonisten oder ein NOAC erhalten.“ Den definitiven Nachweis, dass so die Patienten auch tatsächlich besser als die Kontrollgruppe vor weiteren Ereignissen wie Schlaganfall und TIA geschützt waren, kann die Studie allerdings – schon aufgrund der geringen Zahl an Teilnehmern und Ereignissen – nicht erbringen.
Die Daten seien auch „noch nicht endgültig analysiert“, sagt der Coburger Kardiologe. Er verweist auf die Leitlinien: „Diese sagen eindeutig, wenn jemand einmal ein nachgewiesenes Vorhofflimmern hatte und einen vorausgegangenen Schlaganfall, dann ist er ein Kandidat für die orale Antikoagulation, weil er ein sehr hohes Risiko für ein erneutes Ereignis hat!“
Eine Endpunktstudie sei aus ethischen Gründen nicht mehr vertretbar: „Man müsste dann ja einem Teil der Patienten – trotz nachgewiesenem Vorhofflimmern – die leitliniengerechte Therapie mit oralen Antikoagulanzien vorenthalten.“ Die europäische rhythmologische Gesellschaft EHRA stelle zudem eindeutig klar, dass die Empfehlung zur oralen Antikoagulation auch für Vorhofflimmern gelte, das per kardialem Monitor detektiert worden ist. „Die bisherigen Studien zeigen eine hohe Übereinstimmung zwischen den per EKG und mit dem Detektor gefundenen Arrhythmien“, betont Brachmann.
Die Konsequenz: Kardialer Recorder für jeden Patienten nach kryptogenem Schlaganfall?
Auch habe es sich bei den per Recorder gefundenen Arrhythmien nicht nur um sehr kurze Episoden gehandelt. Zwar gelte „rein formal“ ein Vorhofflimmern ab 30 Sekunden Dauer als „relevant“. Doch in der Studie hatten nahezu 3 Viertel der Patienten in der Monitoring-Gruppe, bei denen Vorhofflimmern festgestellt worden war, zumindest eine Episode, die länger als 1 Stunde gedauert hatte, 46,2% sogar eine Rhythmusstörung mit einer Dauer zwischen 12 und 24 Stunden. Brachmann kommentiert dies salopp: „Das war schon knackiges Vorhofflimmern, das die Leute hatten.“
vor, wenn Sie einen Patienten mit einem kleinen Schlaganfall oder einer TIA vor sich haben – und
man kann den großen Schlaganfall vielleicht verhindern.“
Und wer ist nun ein Kandidat für die Implantation eines solchen Recorders? „Unsere Konsequenz ist, dass wir jetzt jedem Patienten mit einem kryptogenen Schlaganfall einen solchen Recorder anbieten“, sagt Brachmann. Die einzige Limitation sieht er, „wenn bereits das Erstereignis die Lebensqualität völlig zerstört hat“.
Und die Invasivität und die Kosten des Verfahrens? „Es wird zunehmend weniger invasiv“, informiert der Experte: „Bei den neuen Geräten auf dem Markt haben wir Volumenreduktionen um bis zu 90 Prozent“. In Zukunft werde es möglich sein, „nur noch einen Chip mit einer speziellen Nadel unter die Haut zu injizieren“, prognostiziert er.
Was die Kosten angeht, verweist er darauf, dass der Schlaganfall schließlich „eine der teuersten Erkrankungen überhaupt mit hohen Folgekosten im Bereich Reha und Pflege“ ist. „Stellen Sie sich vor, wenn Sie einen Patienten mit einem kleinen Schlaganfall oder einer TIA vor sich haben – und man kann den großen Schlaganfall vielleicht verhindern … Schon allein deswegen würde ich erwarten, dass die Leitlinienkommission aufgrund unserer Daten – und nach der Publikation der Studie – eine 1A-Empfehlung (für die Verwendung des Recorders nach kryptogenem Schlaganfall) aussprechen wird.“
Die Studie ist erstmals in den USA bei der Jahrestagung der American Stroke Association Mitte Februar in San Diego als „Late Breaker“ vorgestellt worden. In Deutschland werden die Ergebnisse nun bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie der Öffentlichkeit präsentiert. Die Publikation soll in wenigen Wochen vorliegen.