
Wiesbaden – Die personalisierte Medizin ist in der Onkologie nach Meinung vieler Experten die Therapieform der Zukunft. Monoklonale Antikörper und sogenannte small molecules haben in den vergangenen Jahren die Behandlung einiger Krebsarten bereits revolutioniert. „Die Gruppe der Patienten, für die wir zielgerichtete Medikamente zur Verfügung haben, wird in Zukunft sicherlich weiter wachsen“, ist PD Dr. Thomas Zander, Oberarzt an der Klinik I für Innere Medizin an der Uniklinik Köln überzeugt.
Mit Medscape Deutschland sprach der Netzwerkkoordinator des Darmzentrums Köln anlässlich des Internistenkongresses jetzt darüber, welche Auswirkungen dieser Paradigmenwechsel in der Krebstherapie unter anderem auf die medizinische Ausbildung und die onkologischen Versorgungsstrukturen bis hin zur Durchführung klinischer Studien haben wird [1].
Neue Ära der Krebstherapie
Maligne Tumoren entstehen auf der Grundlage genetischer und epigenetischer Veränderungen, die den Krebszellen einen Wachstumsvorteil verschaffen. Diese Eigenschaft nutzen Zytostatika, die ihre Wirkung über eine relativ unspezifische Hemmung der Zellteilung entfalten. Die neuen zielgerichteten Medikamente hingegen richten ihre Aktivität gegen tumorspezifische molekulare Strukturen, wodurch sie meistens nicht nur effektiver, sondern auch nebenwirkungsärmer sind.
Eingeläutet wurde die Ära der personalisierten Therapie im Jahr 2001 mit dem small molecule Imatinib. Dieser Tyrosinkinase-Inhibitor machte aus der zuvor unheilbaren chronisch myeloischen Leukämie (CML) eine behandelbare Erkrankung mit fast normaler Lebenserwartung. Ursächlich für die Erkrankung ist normalerweise die Chromosomentranslokation t(9;22), aus der das BCR-ABL-Fusionsgen entsteht.
Komplettsequenzierung des Tumorgenoms wird Standard
Die Identifikation einer solchen Driver-Mutation – also einer genetischen Veränderung in den Tumorzellen, der eine für das Malignomwachstum entscheidende Bedeutung zugesprochen wird – ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Entwicklung einer zielgerichteten Therapie.
wir zielgerichtete Medikamente zur Verfügung haben, wird in Zukunft sicherlich weiter wachsen.“
Bislang sind zwar erst für wenige Krebsarten derartige therapierelevante genetische Aberrationen beschrieben. „Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Komplettsequenzierung des Tumorgenoms eines Patienten schon in zehn Jahren Routine sein wird“, so Zander. Spätestens dann sollte es für die meisten Tumore möglich sein, die individuellen onkogenen Zielstrukturen zu ermitteln.
Während die Komplettsequenzierung bereits heute technisch machbar ist – wenn auch noch mit relativ hohen Kosten – sind vor dem routinemäßigen Einsatz im Klinikalltag noch einige andere Hürden zu nehmen. „Die Hauptherausforderungen liegen im Moment im Bereich der Auswertung und der klinischen Interpretation der Ergebnisse“, sagt Zander.
Insbesondere die Übersetzung der genetischen Daten in konkrete Behandlungsempfehlungen bedarf besonderer Expertise. Denn selbst wenn die gleichen Gene von Veränderungen betroffen sind, können unterschiedliche Mutationen in dem Gen im Hinblick auf die Tumorgenese für eine erhebliche Variabilität sorgen.
Molekulare Diagnostiker ergänzen Tumorboards
Zwar arbeiten im Rahmen von Tumorboards bereits heute Spezialisten mehrerer Fachrichtungen – von der Pathologie über die Chirurgie und medikamentöse Onkologie bis hin zur Strahlentherapie – zusammen. „Die zunehmende Bedeutung der molekularen Typisierung in der Primärdiagnose, aber vor allem auch im Rezidiv, wird dem molekularen Diagnostiker eine neue Rolle in diesem Team geben“, so Zander.
Doch auch die klinisch tätigen Ärzte benötigen ein fundiertes molekularbiologisches Wissen. „Dem muss man zukünftig schon in der Ausbildung Rechnung tragen“, betont Zander – sowohl im Medizinstudium als auch in der sich anschließenden Facharztausbildung.
Subgruppen lassen Patientenkollektive schrumpfen
Gleichzeitig werden aber auch neue Ansätze für klinische Studien benötigt. Denn die Patientenkollektive, die ein bestimmtes molekulares Profil aufweisen, sind bereits jetzt schon zum Teil ausgesprochen klein. Das erschwert die zeitnahe Rekrutierung ausreichend vieler Studienpatienten erheblich. So findet sich um Beispiel die therapierelevante EMT4-ALK-Translokation bei gerade einmal 5% aller Patienten mit einem nichtkleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC).
zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Medikamenten-
entwicklung beurteilen zu können.“
„Andererseits bietet die zielgerichtete Therapie auch die Möglichkeit, die Wirksamkeit schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Medikamentenentwicklung beurteilen zu können“, erklärt Zander. Dies habe zuletzt schon zur Zulassung von Medikamenten vor einer entsprechenden Phase-3-Studie geführt. „Die notwendige Überprüfung der Wirksamkeit dieser Medikamente an großen Patientenkollektiven kann genauso gut auch erst nach der Zulassung im Rahmen von Therapieoptimierungsstudien erfolgen“, sagt Zander.
Kombinationstherapien als Hoffnungsträger
Bislang existieren nur für einen relativ kleinen Teil der Krebspatienten zielgerichtete Therapien. Konventionelle Therapien wie die Chemo- oder Radiotherapie besitzen deshalb in der Behandlung auch weiterhin einen hohen Stellenwert. Große Hoffnungen setzen die Onkologen mittlerweile allerdings in die sinnvolle Kombination ganz verschiedener Therapieansätze.
„Der Angriff auf die Tumorzellen von unterschiedlichen Seiten – zum Beispiel durch zielgerichtete Medikamente und Immuntherapeutika – wird die Therapie in den nächsten Jahren noch einmal deutlich verbessern“, ist Zander überzeugt. Und auch zur Überwindung oder Vermeidung einer schnellen Resistenzentwicklung werde man den Weg der Kombinationstherapie einschlagen müssen – das unterstreiche nicht zuletzt der nachhaltige Erfolg dieser Strategie im Bereich der Infektiologie.
Weiteres zum Thema erfahren Sie auf dem Internistenkongress (DGIM) unter anderem in der Plenarsitzung „Krebsforschung und Onkologie auf dem Weg zur individualisierten Krebsmedizin“ am 28. April 2014 um 11:45 Uhr.