Vorwurf der Frauenärzte: Krankenkassen torpedieren HPV-Impfung

Claudia Steinert | 10. April 2014

Autoren und Interessenkonflikte

Der Berufsverband der Frauenärzte (BVF) und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (DGKJ) haben die Techniker Krankenkasse und die Barmer GEK dem Bundesversicherungsamt gemeldet [1]. Die beiden Berufsverbände bitten um eine aufsichtsrechtliche Prüfung. Sie beschuldigen die Krankenkassen, in ihren Broschüren zur Impfung gegen Humane Papillomaviren (HPV) veraltete Informationen zu verwenden, die die Wirksamkeit der HPV-Impfung in Frage stellen.


Dr. Christian Albring

Deshalb seien die Impfraten so erschreckend niedrig, beklagen die Frauenärzte und die Kinderärzte in ihrer gemeinsamen Aktion. Medscape Deutschland  sprach mit Dr. Christian Albring, dem Präsidenten des Berufsverbandes der Frauenärzte e.V., über die aktuellen Vorwürfe.

Medscape Deutschland: Was ist das Problem mit der Informationspolitik der gesetzlichen Krankenkassen?

Dr. Albring: Die Barmer GEK und die Techniker Krankenkasse verbreiten auf ihren Internetseiten veraltete Informationen. Ihre Broschüren beruhen auf Daten aus dem Jahr 2008 vom Europäischen Zentrum für die Kontrolle und Prävention von Krankheiten (ECDC). Damals gab es noch viele Unsicherheiten bezüglich der Wirksamkeit der Impfung und eventueller Nebenwirkungen.

Mittlerweile ist aber sehr viel Zeit vergangen und inzwischen weiß man, dass die Impfung sicher ist. Die Effizienz ist gut und die Immunität hält lange an. Aber die Kassen ignorieren diese aktuellen Aussagen des ECDC, die immerhin auch schon seit 2012 gültig sind. Es ist nicht nachvollziehbar.

Medscape Deutschland: Könnte es sich dabei nicht auch um ein Versehen handeln?

Dr. Albring: Wir haben die beiden Kassen in zwei Briefen auf die veralteten Informationen hingewiesen und auf die neue Einschätzung des ECDC verwiesen. Das ist Monate her und passiert ist seitdem nichts. Daher sind wir der Meinung, dass die Kassen bewusst falsche Informationspolitik betreiben. Das kann so nicht sein!

Medscape Deutschland: Die aktuelle Meldung an das Bundesversicherungsamt und das Ersuchen um eine aufsichtsrechtliche Prüfung dieser beiden Krankenkassen - was bedeutet das genau und was erhoffen Sie sich davon?

„Daher sind wir
der Meinung,
dass die Kassen bewusst falsche Informationspolitik betreiben.“

Dr. Albring: Das Schreiben an das BVA war unsere einzige Möglichkeit, gegen die Krankenkassen vorzugehen, nachdem sie auf unsere Briefe nicht reagiert haben. Wir hoffen, dass die BVA auf die Krankenkassen einwirkt, damit die ihre Broschüren ändern. Das dauert doch nicht lange, in dreißig Minuten ist der Absatz ausgetauscht und Mädchen und Frauen erhalten in Zukunft bessere Informationen. Denn die Impfung hilft!

Medscape Deutschland: Was könnte Ihrer Meinung nach der Grund für die Informationspolitik der Kassen sein?

Dr. Albring: Zugelassen wurde die Impfung bereits 2006, die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt sie seither für alle Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren. Die Kosten werden übernommen. Die Kassen haben die Finanzierung der teuren Impfstoffe aufs Auge gedrückt bekommen, da ist es klar, dass sie sich dagegen wehren. Sie haben anfangs alle negativen Gerüchte über die Impfung dankbar angenommen, damit sie nicht mit wehenden Fahnen auf den Zug der HPV-Impfung aufspringen mussten.

Mittlerweile haben wir aber mehr als Gerüchte, wir haben Daten. Eine Studie aus Australien hat bereits 2011 erwiesen, dass die Impfung die Zahl der Krebsvorstufen um 60 Prozent reduziert, später wurden sogar 75 Prozent weniger Gewebeveränderungen beobachtet. Da kann und muss eine Krankenkasse doch Interesse daran haben, die Mädchen davor zu schützen.

Ein anderer Grund ist vermutlich, dass wir in Deutschland durch unser Krebsfrüherkennungssystem bereits eine hohe Reduzierung der Krankheitsrate erreicht haben. Vor 40 Jahren war das Zervixkarzinom an dritter Stelle aller Krebserkrankungen bei Frauen, heute ist es auf Position zwölf. Aber eine weitere Reduzierung können wir nur durch die Impfung erreichen. Natürlich kann man sagen „Es sterben doch nur 1.700 Frauen pro Jahr daran“, aber das sind eben immer noch 1.700 Frauen zu viel. Jede kranke Frau ist ein Versagen der Struktur.

Medscape Deutschland: Welche Impfquote haben wir zurzeit in Deutschland und welche wäre wünschenswert?

„Da kann und muss eine Krankenkasse doch Interesse daran haben, die Mädchen davor zu schützen.“

Dr. Albring: Wir haben zurzeit eine Impfquote von maximal 40 Prozent. Wünschenswert wäre das Doppelte, denn dann könnte man die Ausbreitung des Virus in der Bevölkerung effektiv eindämmen. Gut wäre, wenn man auch die Jungen impfen würde.

Medscape Deutschland: Warum gibt es eine so große Skepsis gegenüber dieser Impfung?

Dr. Albring: Die Skepsis betrifft nicht nur die HPV-Impfung, sondern Impfungen generell. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat im Jahr 2012 in einer Forsa-Umfrage ermittelt, dass acht Prozent der Bevölkerung Impfgegner sind und 31Prozent zumindest Vorbehalte gegenüber Impfungen haben. Es ist mir unbegreiflich, dass eine Maßnahme wie das Impfen, die ja wie keine andere unglaublich viele Menschenleben bewahrt, abgelehnt wird. Wir Ärzte müssten den Impfgegnern viel aktiver entgegentreten, aber viele meiner Kollegen sind des Erklärens müde.

Medscape Deutschland: Und ist die Skepsis bei der HPV-Impfung besonders groß?

Dr. Albring: Inzwischen sehen wir im Gespräch mit den Patienten eine positivere Einstellung, auch weil die mediale Berichterstattung sich beruhigt hat.

Medscape Deutschland: Waren die Medien denn mitschuldig?

Dr. Albring: Es gab da schon eine Gier nach Sensation und alle möglichen Krankheiten bis hin zur Unfruchtbarkeit wurden ohne logischen Zusammenhang mit der HPV-Impfung in Verbindung gebracht. Inzwischen wissen wir, dass die Impfung gut verträglich ist. Allerdings verbreiten einige Krankenkassen weiterhin wissentlich Unwahrheiten, erzeugen Verwirrung und schüren Ängste bei ihren Versicherten.

Medscape Deutschland: In Ländern wie Australien, Kanada oder Großbritannien kaufen Staaten den HPV-Impfstoff in großen Mengen für viel weniger Geld ein und impfen die Mädchen flächendeckend in der Schule. Könnte das Modell auch für Deutschland geeignet sein?

Dr. Albring: Die Impfpflicht halten wir als Bundesverband für sehr geeignet. Aber für Politiker ist das ein unangenehmes Thema, mit dem sie sich nicht beschäftigen möchten. Die acht Prozent der Impfgegner haben eine überproportional große Wirkung und die Politik möchte sich mit einem solchen Vorschlag keinen Ärger einhandeln.

Medscape Deutschland: Könnte denn der HPV-Test wenigstens zur besseren Früherkennung beitragen?

„Die halbe Welt macht den HPV-Test nur, weil sie keine gute gynäkologische Versorgung hat.“

Dr. Albring: Der HPV-Test, den einige Produktionsfirmen bei uns gern einführen würden, ist nur eine weitere Sparmaßnahme. Der Test detektiert zwar zuverlässig HP-Viren, allerdings verschwinden über 90 Prozent der Viren spontan wieder. Das heißt, dass in über 90 Prozent der Fälle Frauen einen positiven HPV-Test bekommen, der sich in einigen Monaten von selbst wieder erledigt hat.

Das ist ein enormer psychischer Stress. Die Zelluntersuchung ist da besser, muss allerdings auch häufiger durchgeführt werden. Zum HPV-Test müssten die Frauen nur alle paar Jahre. Das rechnet sich für die Kassen, geht aber zu Lasten der Patientinnen. Die halbe Welt macht den HPV-Test nur, weil sie keine gute gynäkologische Versorgung hat.

Medscape Deutschland: Gibt es eine Alternative zur HPV-Impfung, die mit weniger Geld den gleichen Effekt erzielen könnte?

Dr. Albring: Leider nein. Deswegen setzen wir uns ja für die Impfung ein. Die Krankenkassen hingegen denken lieber an den finanziellen Vorteil heute. Präventive Gedanken sind nicht so ihr Ding.

Medscape Deutschland: Herr Dr. Albring, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Referenzen

Autoren und Interessenkonflikte

Claudia Steinert
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Albring C: Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

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