
Berlin – Antibiotika sind überall – im Boden, im Staub, im Abwasser. Allein in der Landwirtschaft werden jährlich über 2.000 Tonnen verbraucht. „Das ist ein voll beladener Güterzug mit 30 Waggons“, illustrierte Prof. Dr. Hans-Peter Bruch, Präsident des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen (BDC), auf dem diesjährigen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie [1].
Die Konzentration der Antibiotika in der Umwelt ist so hoch, dass sie einen starken Selektionsdruck auf die Bakterien ausüben. „Sie werden praktisch gezwungen, auch über die Spezies hinaus, solche Gene auszutauschen, die die Widerstandsfähigkeit gegen Antibiotika sichern. In Berlin ist bereits jede sechste Ratte mit multiresistenten Keimen besiedelt“, gab Bruch zu Bedenken.
Längst sind Landwirte und Tierärzte zu Keimträgern geworden, gelangen Erreger vor allem mit Hühnerfleisch und Salat in unsere Küchen. Tourismus und globalisierte Wirtschaft tragen multiresistente Bakterien über alle Kontinente. Dazu kommt der laxe Umgang mit Antibiotika: In einigen europäischen Ländern erhält man sie rezeptfrei in jeder Apotheke.
MRSA-Screening fehlt in Deutschland
Deutschland steht im internationalen Vergleich nicht schlecht da. „Bei der Verordnungspraxis liegen wir in der unteren Zone des unteren Drittels“, so der Lübecker Chirurg. Doch obwohl in den Niederlanden doppelt so viele Antibiotika verschrieben und in der Landwirtschaft dreimal so viele verbraucht werden, liegt Anteil von MRSA-Patienten auf Intensivstationen unter 5% – in Deutschland sind es mit 21% mehr als 4-mal so viele [2].
„Wie ist das möglich?“, fragte Bruch und gab auch gleich die Antwort: „Weil man in Holland Risikogruppen screent. Bevor ein solcher Patient die Klinik betritt, wird er auf multiresistente Keime untersucht. Bei uns hat man diese Kosten von 30 bis 80 Euro pro Patient bisher gescheut. Eine Infektion kostet allerdings das Hundertfache.“ „Übrigens“, so schob der Chirurg nach, „in Holland und Schweden gelten alle Deutschen als Risikopatienten.“
„Die WHO hatte im letzen Jahr die MRSA zur größten Bedrohung der menschlichen Gesundheit im 21. Jahrhundert erklärt“, warnte Bruch. Den immer mehr werdenden multiresistenten Keimen stünden immer weniger wirksame Antibiotika gegenüber. „Patienten sterben in Deutschland an Tuberkulose, weil es seit 40 Jahren keine neuen Medikamente gegen Tuberkelbazillen gibt.“
Die Entwicklung neuer Antibiotika ist für die Industrie wenig lukrativ: Ihre Herstellung ist teuer, ihr Einsatz pro Patient zeitlich sehr begrenzt. Deshalb, so Bruch, sollten Industrie, Staat und die wissenschaftlichen Einrichtungen dies als Gemeinschaftsaufgabe betrachten.

Prophylaxe fördert Resistenzen
Dem Zusammenhang zwischen Resistenzen und der Anwendung von Antibiotika in der Klinik ging Priv. Doz. Dr. Reinhard Hoffmann, Chefarzt für Laboratoriumsmedizin, Mikrobiologie und Umwelthygiene am Klinikum Augsburg, nach.
„Die Steigerung der Antibiotika-Anwendung hat eine dramatische Steigerung der Antibiotika-Resistenzen zur Folge. Gerade die Medikamente der Gruppe 3, die Cephalosporine, die standardmäßig gegen Staphylococcus-aureus-Infektionen eingesetzt werden, führen zur größten Zunahme der MRSA-Infektionen“, warnte Hoffmann.
Das Risiko an einer Clostridium-difficile-Infektion zu erkranken, steigt mit der Anzahl der Tagesdosen und der Therapiedauer. Chirurgen könnten schwerwiegende Komplikationen wie Diarrhöen vermeiden, indem sie die perioperative Antibiotikaprophylaxe reduzierten und sie nur in Ausnahmefällen nach der Operation fortsetzten.
alle Deutschen als Risikopatienten.“
In Studien zeigte sich, dass bereits nach einer einmaligen Antibiotika-Gabe Patienten damit kolonisiert sind. „Wir sehen schon nach einer einzigen Dosis nicht nur Besiedlung, sondern auch Infektionen. Das heißt, wir müssen auch über den Single shot‚ nachdenken.“ Bei abdominellen Eingriffen sollte ein möglichst schmal wirkendes Antibiotikum aus der Gruppe 1-Cephalosporin gegeben werden.
Die wichtigsten Erreger für postoperative Wundinfektionen
Je nach operativem Fach unterscheiden sich auch die häufigsten Erreger für Wundinfektionen. In der Bauchchirurgie sind es die gramnegativen Enterokokken und Escherichia coli, in der Traumatologie/Orthopädie die grampositiven wie Staphylococcus aureus und Staphylococcus epidermidis. In den Krankenhäusern ist S. epidermidis zu 80% resistent und spricht praktisch nur mehr auf eine Vancomycin-Therapie an. „Da liegt es natürlich nahe, zu sagen: ‚Wenn die Staphylokokken so wichtig sind, gebe ich doch einfach Vancomycin’“, bemerkte Hoffmann. Doch so einfach liege die Sache nicht.
in Deutschland an Tuberkulose, weil es seit 40 Jahren keine neuen Medikamente gegen Tuberkel-
bazillen gibt.“
Nicht alle Antibiotika sind gleich gut gegen einen bestimmten Erreger wirksam – auch wenn sie in den S-3-Leitlinien empfohlen werden. „Das Risiko, an einer postoperativen Wundinfektion durch Oxacillin-sensible Staphylococcus-aureus-Stämme zu erkranken, ist mit einer Vancomycin-Prophylaxe deutlich höher, als mit einer Prophylaxe mit Cefazolin oder Penicillin“, so der Mikrobiologe. „Vancomycin hat eine erheblich schlechtere antimikrobielle Wirksamkeit. Auch Cefuroxim ist der Gruppe der Penicilline deutlich unterlegen.“ Als alleinige Prophylaxe sei Vancomycin nicht geeignet. Bei MRSA-infizierten Patienten könne man es mit anderen Präparaten kombinieren.
Mupirocin ist das Rückgrat der MRSA-Dekolonisierung
Eine der wichtigsten Substanzen in der Eradikation des S. aureus ist Mupirocin. Doch auch hier haben die Resistenzen schon deutlich zugenommen. Und Mupirocin-resistente S.-aureus-Stämme zu bekämpfen, ist deutlich schwieriger, wenn nicht gar unmöglich.
wir es breitflächiger einsetzen und Patienten damit präoperativ sanieren, dass wir diesen Wirkstoff (Muporicin) verlieren werden.“
Aus diesem Grund sieht Hoffmann die prophylaktische Anwendung von Mupirocin bei Risikogruppen kritisch: „Ich fürchte, wenn wir es breitflächiger einsetzen und Patienten damit präoperativ sanieren, dass wir diesen Wirkstoff verlieren werden.“ Muporicin ist das Rückgrat der MRSA-Dekolonisierung, sein Wirkungsverlust wäre katastrophal, da praktisch keine Ersatzsubstanzen zur Verfügung stehen.
Schon jetzt sind in Deutschland jedes Jahr ca. 400.000 bis 600.000 Menschen von einer nosokomialen Infektion betroffen und schätzungsweise 7.500 bis 15.000 Patienten sterben daran. Wenn die Resistenzen gegen die vorhandenen Antibiotika weiter zunehmen und keine neuen Substanzen entwickelt werden, könnten die Zahlen noch wesentlich steigen.
Immerhin: Am 1. April trat eine Gesetzesänderung in Kraft, die den Antibiotikaeinsatz in der Landwirtschaft stärker eindämmen soll. Kernstück der Novelle ist es, Daten bundesweit zusammenzuführen und zu bewerten, um zu erkennen, ob ein Betrieb übermäßig viele Antibiotika verbraucht. Ob das allein allerdings ausreicht, um die Resistenzen nennenswert zu reduzieren, die in landwirtschaftlichen Betrieben entstehen, ist fraglich.