Berlin – Pädophilie wird in der Öffentlichkeit meist gleichgesetzt mit Kindesmissbrauch. Doch bei der Neigung handelt es sich medizinisch gesehen zunächst um eine sexuelle Störung, die nicht strafbar ist. Entscheidend ist, wie der Betroffene damit umgeht. Das Netzwerk „Kein Täter werden“ bietet Pädophilen eine Therapie an, um Missbrauchstaten bereits im Vorfeld zu verhindern. Auf dem Deutschen Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie stellte Prof. Dr. Klaus Beier, Leiter des Projekts und des Instituts für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Charité, erste Ergebnisse vor [1]. „Die Neigung lässt sich nicht wegtherapieren“, sagte Beier, „aber sie ist behandelbar.“
Nicht alle Pädophile werden Täter, nicht alle Täter sind pädophil
Nach wissenschaftlichen Untersuchungen haben etwa 1% der Männer sexuelle Fantasien, die sich auf das kindliche Körperschema richten [2]. Die Neigung entsteht in der Pubertät. „Von da an bleibt die Pädophilie bestehen“, sagte Beier, „sie ist Schicksal und nicht Wahl.“ Dennoch trage der Betroffene die Verantwortung, ob er seine Neigung auslebe oder nicht. „Für diejenigen, die sich damit problembewusst auseinandersetzen, stellt Pädophilie oft eine erhebliche Belastung dar.“
Nicht alle Pädophilen begehen also einen Missbrauch. Umgekehrt sind nicht alle Täter pädophil. Rund 60% der sexuellen Übergriffe auf Kinder sind Ersatzhandlungen von Tätern, die eigentlich auf erwachsene Sexualpartner ausgerichtet sind. „Bei einem pädophilen Täter ist aber die Rückfallgefahr deutlich höher“, sagte Beier.
Viele Taten werden allerdings gar nicht erst entdeckt, weil die Opfer keine Anzeige erstatten. Die therapeutische Behandlung konzentrierte sich lange nur auf die Täter, die polizeilich bekannt waren. „Damit blieben zwei Zielgruppen unberücksichtigt“, sagte Beier, „Männer, deren Taten im Dunkelfeld bleiben, und Männer, die sich in Gefahr sehen, Taten zu begehen.“ Beiden Gruppen bietet das Netzwerk Hilfe an. Ziel ist, durch eine gezielte Intervention erstmalige oder weitere Straftaten zu verhindern.
2005 startete die Charité den ersten öffentlichen Aufruf, mittlerweile gibt es weitere Ambulanzen in Hamburg, Kiel, Hannover, Stralsund, Leipzig, Gießen und Regensburg. Über 3.200 Betroffene, ganz überwiegend Männer, haben sich gemeldet. An der Charité haben mehr als 177 Patienten eine Therapie begonnen, über 92 haben sie abgeschlossen – nach Beiers Aussage erfolgreich –, 14 besuchen eine Nachsorgegruppe. „Die Motivation ist oft sehr groß“, sagte Beier. Ein Patient sei über Monate jede Woche mit dem Flugzeug angereist.
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Voraussetzung für die Teilnahme am Projekt ist, dass die Betroffenen nicht oder nicht mehr unter Aufsicht der Justiz stehen, etwa durch laufende Ermittlungen, Bewährungsstrafen oder Therapieauflagen. Ein Teil der Patienten hat aber nach eigenen Angaben bereits Kinderpornographie konsumiert – wobei Beier diesen Begriff als verharmlosend ablehnt: „Das sind Missbrauchsabbildungen.“
Einstellungen, die Missbrauch begünstigen, können verändert werden
Die Therapie besteht unter anderem darin, die Einstellungen zu verändern, die einen Missbrauch begünstigen können – etwa die Vorstellung, dass das Kind auch ein Interesse an Sexualkontakten zum Erwachsenen haben könnte. Kritische Situationen werden identifiziert. „Es geht darum, das Maß an Verantwortungsübernahme zu erhöhen“, sagte Beier. „Ziel ist, den Umgang mit der Neigung so zu bewältigen, dass es zu keinem Übergriff und zu keinem Konsum von Missbrauchsabbildungen kommt.“
Eine Heilung der Pädophilie ist nach derzeitigem Kenntnisstand nicht möglich. Allerdings können Medikamente helfen. Die Therapie findet wöchentlich in Gruppensitzungen statt, bei Bedarf zusätzlich in Einzelgesprächen. Auch Angehörige werden einbezogen.
Beiers Bilanz ist bislang positiv. „Missbrauchsbegünstigende Einstellungen und Verhaltensweisen können durch die Therapie erheblich gesenkt werden.“ Sexuelle Übergriffe würden dadurch verhindert. „Eine präventive Therapie ist daher direkter Opferschutz.“
Möglich wird dies in besonderem Maße durch die ärztliche Schweigepflicht, die für die Betroffenen eine Kontaktaufnahme erst möglich macht. Aber auch durch eine differenzierte Haltung der Therapeuten. „Wir vermitteln den Patienten, dass wir nicht ihre Neigung bewerten – aber ihr Verhalten.“ Für diese Sichtweise versucht Beier auch die Öffentlichkeit zu sensibilisieren: „Je mehr das anerkannt wird, desto leichter wird es für die Betroffenen, sich Hilfe zu holen.“