Berlin – Patienten müssen vor einer Operation weder auf Essen, noch auf Trinken verzichten – das präoperative Nüchternheitsgebot ist eigentlich ein alter Zopf und gilt nur noch für wenige ausgewählte Eingriffe. Praktiziert wird es dennoch, wie auf dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) in Berlin deutlich wurde [1]. „Leider gibt es bis heute noch Anästhesisten, die eine Nahrungskarenz ab Mitternacht vor dem Eingriff fordern“, bedauerte Prof. Dr. Wolfgang Schwenk, Viszeralchirurg am Asklepios-Klinikum Hamburg-Altona, „das kriegt man auch nicht aus ihren Köpfen raus – man muss wohl warten, bis diese Kollegen in den Ruhestand gehen.“
bis heute noch Anästhesisten, die eine Nahrungskarenz ab Mitternacht vor dem Eingriff fordern.“
Nicht ohne Grund widmen sich Chirurgen dem Thema Ernährung, denn es ist ein wichtiger Teil des chirurgischen Behandlungskonzeptes. Darin waren sich in Berlin alle einig, die bei der Sitzung über die Bedeutung künstlicher Ernährung im Zeitalter von Fast-Track-Chirurgie und ERAS (Enhanced Recovery After Surgery) diskutierten.
Hungern vor der Operation ist sogar schädlich
Tatsächlich sollte man im Zusammenhang mit einer Operation sogar eher lange Nüchternheitssequenzen vermeiden: „Nur Patienten, bei denen eine elektive Rektumresektion ansteht, müssen nüchtern sein und bekommen präoperativ eine Darmreinigung. Alle anderen sollten essen und trinken, weil es das Beste für sie ist“, sagte Schwenk mit Blick auf die aktuellen S3-Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) zur klinischen Ernährung in der Chirurgie [2].
Ebenso wichtig ist es, im Vorfeld einer Operation einen kritischen Blick auf den Ernährungsstatus des Patienten zu werfen. „Nicht nur die Proteinmangel-Erkrankung Kwashiorkor oder die Kachexie infolge eines Substratmangels sind Zeichen für eine Mangelernährung“, betonte Dr. Peter Rittler, Leiter des Ernährungsteams am Klinikum Großhadern in München „auch adipöse Patienten können durchaus mangelernährt sein.“
ernährt sein.“
Um den Ernährungsstatus des Patienten zu beurteilen, habe sich ein anamnestisches Screening bewährt. „Unabhängig vom Body-Mass-Index des Patienten muss die entscheidende Frage an ihn lauten: Haben Sie in den vergangenen vier Wochen erheblich an Gewicht verloren?“, erklärte Rittler.
Mangelernährung vor der Operation behandeln
Patienten, bei denen im Vorfeld einer Operation eine Mangelernährung festgestellt worden ist, sollten präoperativ für eine Woche konditioniert werden. Hiervon profitierten vor allem Tumorpatienten, die in der Regel rund 500 Kilokalorien weniger als ihren Tagesbedarf an Energie zu sich nehmen. Carl Meissner, Chirurg am Klinikum Magdeburg erklärt dies so: „Der Tumor führt zu Appetitlosigkeit bei gleichzeitigem erhöhtem Proteinbedarf und gestörter Glukosetoleranz. Dies erfordert eine protein- und fettreiche Ernährung zur Stärkung des Wirts.“ Diese hochkalorische präoperative Konditionierung könne enteral, parenteral oder als Kombination erfolgen.
lange Zeit sträflich vernachlässigt –
dabei besteht bei metabolischem
Stress ein erhöhter Proteinbedarf.“
Auch Prof. Dr. Elke Muhl, Oberärztin und Spezialistin für chirurgische Intensivmedizin an der Universitätsklinik Lübeck, erinnerte an die Bedeutung einer ausreichenden Kalorien- und Proteinzufuhr im perioperativen Setting. „Insbesondere die Proteine wurden lange Zeit sträflich vernachlässigt – dabei besteht bei metabolischem Stress ein erhöhter Proteinbedarf.“ Die Proteinzufuhr sollte – unabhängig von der Kalorienzufuhr – von Anfang an 1,5 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht betragen.
Enterale Ernährung geht vor
Ab wann man Patienten parenteral ernähren sollte, um die gesteckten Ernährungsziele zu erreichen, konnte Muhl allerdings nicht beantworten: „Die Studienlage hierzu ist nicht eindeutig.“ Sie riet dazu, OP-Patienten wann immer möglich enteral zu ernähren. Lediglich bei einem hohen Ernährungsrisiko und vorbestehender Mangelernährung sollte der Patient ab dem ersten Tag nach der Operation eine hypokalorische parenterale Ernährung erhalten. „Eine vollkalorische parenterale Zusatzernährung sollte nicht vor dem vierten Tag nach der Operation gegeben werden“, empfahl Muhl.
Und auch Prof. Dr. Arved Weimann, Chefarzt am Städtischen Klinikum St. Georg in Leipzig, betonte, eine perioperative Mangelernährung sollte auch deshalb vermieden werden, weil sie die Wundheilung verschlechtere und damit Anastomoseninsuffizienzen begünstigen könne. „Außerdem führt eine Mangelernährung zu einer Verringerung der Muskelkraft und kann damit respiratorische Insuffizienzen und Pneumonien auslösen“, sagte Weimann.
ernährung … kann respiratorische Insuffizienzen und Pneumonien auslösen.“
Insgesamt gehe Mangelernährung mit einer verminderten Immunabwehr einher, in deren Folge es zu septischen Komplikationen und Multiorgandysfunktion kommen könne. „Dies erhöht die Krankenhausverweildauer und auch die Letalitätsrate“, gab Weimann zu bedenken und schloss: „Auch im Zeitalter von ERAS kann eine künstliche Ernährung indiziert sein. Daher kommt es darauf an, Risikopatienten zu erkennen und bei einem komplizierten Verlauf Energiedefizite zu vermeiden.“