Berlin – „… denn sie wissen nicht, was sie tun“ – so lautete der provokante Titel einer Veranstaltung des diesjährigen Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie [1]. Und in der Tat: Auf die Frage, wer bei einer elektiven Cholezystektomie eine perioperative Antibiotikaprophylaxe (PAP) verabreiche, reckten fast alle Zuhörer im Saal den Arm. Am Ende der Sitzung, nachdem die Pro- und Kontra-Positionen ausgetauscht waren, wussten sie es besser: Auf die Frage, wer in Zukunft noch routinemäßig bei diesem Eingriff eine PAP geben würde, blieben die Arme unten.
So eindrucksvoll widerlegte Prof. Dr. Carsten Gutt, Chefarzt der Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Gefäß- und Thoraxchirurgie am Klinikum Memmingen, alle Argumente, mit denen man bisher die einmalige Antibiotikagabe zur Vermeidung von Wundinfektionen gerechtfertigt hatte.
Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2011, für die 12 Studien analysiert wurden, ergab keinerlei Vorteil für die Antibiose [2]. Nosokomiale Infektionen sind selten, treten aber mit und ohne PAP auf. „Wenn Sie vor einer sauberen Routineoperation Antibiotika geben, beruhigen Sie nur Ihr Gewissen, aber dem Patienten helfen Sie damit nicht“, so die klare Aussage von Gutt.
Bei kontaminierten und schmutzigen Eingriffen oder bei Risikopatienten stellt sich die Situation anders dar. Hier sei die Antibiose kurz vor der Operation sinnvoll. Doch heute gehörten die meisten Patienten zur „Low-Risk-Gruppe“ und die laparoskopische Cholezystektomie zu den sauberen Eingriffen, so Gutt.
Die Antibiose reduziert Wundinfektionen bei Hernienoperationen nicht
einer sauberen Routineoperation Antibiotika geben, beruhigen Sie nur Ihr Gewissen, aber dem Patienten helfen Sie damit nicht.“
Ähnlich umstritten wie bei der Cholezystektomie ist die perioperative Antibiose beim alloplastischen Leistenhernienverschluss. Prof. Dr. Stefan Maier, Chefarzt der Kliniken Ostallgäu-Kaufbeuren und Leiter der Arbeitsgruppe Viszeralchirurgische Infektionen der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV), sah keinen Grund zur PAP bei laparoskopischen Eingriffen und bei Patienten mit niedrigem Risiko. Dagegen sei bei der offenen Operation nach Lichtenstein eine einmalige Antiobiotikaprophylaxe angezeigt.
Prof. Dr. Ekkehard Schippers, Chefarzt der Abteilung für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Juliusspital in Würzburg, konnte auch dafür keine Indikation erkennen: „Die Infektionsrate bei offenen Hernienoperationen mit Netz liegt gerade mal bei 1,7 Prozent. In allen Studien findet sich kein Unterschied zwischen der Antibiose-Gruppe und der Placebo-Gruppe. Sowohl die europäischen Leitlinien als auch die Cochrane-Gesellschaft kommen zu dem Schluss, dass eine PAP das Risiko einer Wundinfektion nicht reduziert und sie daher auch nicht routinemäßig eingesetzt werden sollte.“
Prolongierte Therapien sind nutzlos, fördern aber Resistenzen
Die Cholezystektomie und die Hernienoperation stehen stellvertretend für eine Reihe sauberer Operationen, bei denen – trotz anderslautender Leitlinien – immer noch Antibiotika zur Prophylaxe eingesetzt werden. Mit der großzügigen Verabreichung von Antibiotika werden multiresistente Erreger geradezu gezüchtet. Besonders fatal wirkt sich eine Prophylaxe aus, die über 24 Stunden hinaus gegeben wird: Sie senkt nicht das Risiko einer postoperativen Infektion, erhöht aber das Risiko für Resistenzen.
Nach der Prävalenzstudie des Robert Koch-Instituts verbraucht die Humanmedizin in Deutschland jährlich insgesamt 316 Tonnen Antibiotika, davon 41 Tonnen, also 13%, im Krankenhausbereich. Davon werden 5,3 Tonnen, wiederum 13%, für unnötig lange perioperative Prophylaxen eingesetzt. In über 50% der Fälle wird diese über einen oder sogar über mehrere Tage hinaus fortgeführt [3].
„Diese prolongierten Therapien sind teuer, unnütz und gefährlich“, warnte Dr. Christian Eckmann, Chefarzt der Klinik für Allgemein- Viszeral- und Thoraxchirurgie am Klinikum Peine. „Ein Bakterium hat eine Vermehrungszeit von 20 Minuten. Innerhalb von 3 Tagen geben Sie dem Bakterium 200 Generationen Zeit, einen Resistenzmechanismus zu entwickeln.“
Deutschland schneidet mit einer Rate von 4% nosokomialer Infektionen nach Operationen im internationalen Vergleich zwar relativ gut ab. „Dennoch“, so Eckmann, „bei 100.000 Wundinfektionen pro Jahr müssen wir dringend etwas verbessern.“ Der Ko-Leiter der Arbeitsgruppe Viszeralchirurgische Infektionen stellte auf einer Pressekonferenz einen 5-Punkte-Plan vor (siehe Kasten), den er und sein Kollege Stefan Maier für die DGAV entwickelt haben. Dieser Plan soll helfen, die Zahl der Wundinfektionen zu senken und gleichzeitig den unnötigen Verbrauch von Antibiotika zu verhindern.
3 Tagen geben Sie dem Bakterium 200 Generationen Zeit, einen Resistenz-
mechanismus zu entwickeln.“
Es droht der Rückfall in die präantibiotische Ära
Der 5. Punkt des Plans betrifft die Dauer der Medikamentengabe und ist den beiden Infektionsspezialisten besonders wichtig. Denn durch den unkritischen Einsatz von Antibiotika in der Prophylaxe wird die Entstehung und Verbreitung lebensgefährlicher Krankenhausinfektionen mitverursacht. Nach einer Studie des European Centre of Disease Prevention and Control (ECDC) sind über 3 Millionen Patienten in Europa von Krankenhausinfektionen betroffen [4].
Selbst minimale Dosen von Antibiotika wirken auf das Mikrobiom des Darms und führen zur Selektion bestimmter Bakterien-Arten. Einer steigenden Anzahl von Infektionen durch antibiotika-resistente Bakterien stehen immer weniger neue Antibiotika gegenüber. „Die WHO sieht darin eine der größten Gefahren für die menschliche Gesundheit und das Risiko, in die präantibiotische Ära zurückzufallen“, warnte auch Prof. Dr. Hans-Peter Bruch, der Präsident des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen (BDC).
Maier und Eckmann zeigten sich optimistisch, ihren 5-Punkte-Plan bald flächendeckend realisieren zu können. Die Teilnahme ist den Kliniken zwar freigestellt und erfordert eine Menge Eigeninitiative, „doch die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie ist sehr durchsetzungsfähig. Sie unterstützt unser Vorhaben und erreicht ihre Mitglieder gut“. Somit besteht die Hoffnung, dass bald auch alle Chirurgen, die nicht auf dem Kongress anwesend waren, wissen, was zu tun ist.
Fünf Prinzipien für die richtige perioperative Antibiotikaprophylaxe
1. Wie wird das Antibiotikum ausgewählt?
Für die jeweilige Operation muss ein geeignetes Antibiotikum in der korrekten Dosierung ausgewählt werden. Hierfür trifft sich eine interdisziplinäre Gruppe mindestens einmal jährlich, um eine Liste von Empfehlungen auszuarbeiten. Dabei werden die bereits bestehenden Resistenzen berücksichtigt und auch solche Eingriffe angeführt, die ohne Antibiotika-Prophylaxe erfolgen können.
2. Wer soll das Medikament geben?
Der Anästhesist soll das Antibiotikum verabreichen, da er zur optimalen Zeit am meisten Kontakt mit dem Patienten hat.
3. Wann wird das Medikament verabreicht?
Der richtige Zeitpunkt ist 30 bis 60 Minuten vor dem Hautschnitt.
4. Wie hoch ist die Dosierung?
Bei einer Operationszeit von unter 3 Stunden ist eine einmalige Gabe, ein „single shot“, völlig ausreichend. Wenn der Eingriff länger dauert und ein hoher Blutverlust damit verbunden ist, kann eine zweite Dosis verabreicht werden.
5. Wie lange wird das Medikament gegeben?
Auf keinen Fall länger als die Operation dauert! Eine verlängerte Prophylaxe über 1 bis 3 Tage nach der Operation ist in keiner Weise geeignet, Wundinfektionen zu verringern und muss daher unterbleiben.