Washington D.C. – Die Eröffnungssitzung des Kongresses des American College of Cardiology (ACC), einer der wichtigsten kardiologischen Tagungen weltweit, machte es noch einmal deutlich: Der Ausgang der SYMPILCITY-HTN-3-Studie zur renalen Denervierung hat die kardiologische Fachwelt schwer erschüttert [1]. Nachdem im Januar schon die Pressemitteilung des Herstellers Medtronic, die Studie habe „den primären Wirksamkeitsendpunkt nicht erreicht“, für Aufruhr gesorgt hatte, sind nun beim ACC-Kongress die genauen Ergebnisse vorgestellt und deren Auswirkungen diskutiert worden [2]. Zeitgleich ist die Studie, inklusive einem Editorial, publiziert worden [3,4].
Laut Pressemitteilung vom Januar, zu der das Unternehmen aufgrund des Aktienrechts verpflichtet war, hatte sich die Nierennervenablation per Katheter in der bislang größten prospektiven randomisierten verblindeten Studie, zwar als sicher, aber auch als nicht wirksam erwiesen. Die Studie hatte erstmals das neue Verfahren auch gegen eine Scheinprozedur verglichen.
Renale Denervierung senkte den Blutdruck – doch die Scheinprozedur auch

Nun, da die Daten öffentlich vorliegen, lässt sich die Aussage der Pressemitteilung etwas relativieren: Tatsächlich reduzierte auch in HTN-3 die renale Denervierung signifikant den systolischen Blutdruck – von ausgangs 180 auf im Mittel 166 mmHg nach 6 Monaten. Doch war diese Reduktion um im Schnitt 14,1 mmHg deutlich geringer als in den kleineren Vorgängerstudien HTN-1 und HTN-2, die keine Scheinprozedur beinhalteten. In diesen waren etwa doppelt so starke Blutdrucksenkungen, nämlich um bis zu 30 und 35 mmHg systolisch erreicht worden, erinnerte der Erstautor von HTN-3, Prof. Dr. Deepak L. Bhatt vom Brigham and Women’s Hospital Heart & Vascular Center, Harvard Medical School, bei einer Pressekonferenz in Washington.
Gleichzeitig trug zum Scheitern der Studie bei, dass auch in der Vergleichsgruppe mit laut Einschlusskriterien „schwerer therapieresistenter Hypertonie“ nach der Scheinprozedur – trotz unveränderter antihypertensiver Medikation – sich der systolische Blutdruck um im Schnitt 11,7 mmHg verbesserte. Der Unterschied im primären Endpunkt, dem in der Praxis gemessenen Blutdruck, zwischen den beiden Gruppen betrug demnach am Studienende nach 6 Monaten lediglich nicht signifikante 2,4 mmHg. Auch im 24-Stunden-Blutdruckwert, einem vordefinierten sekundären Endpunkt, war die Differenz nach 6 Monaten mit knapp 2 mmHg (-6,75 vs -4,79 mmHg) zugunsten der renalen Denervierung nicht signifikant, berichtete Bhatt bei der Präsentation der Daten.
Insgesamt hatten an der HTN-3-Studie 535 Patienten mit therapieresistenter Hypertonie in 88 Zentren in den USA teilgenommen. Als „therapieresistent“ galten Patienten, bei denen trotz antihypertensiver Behandlung mit mindestens 3 Substanzen unterschiedlicher Wirkstoffgruppen, inklusive einem Diuretikum, der systolische Blutdruck bei 3 unabhängigen Messungen über 160 mmHg gelegen hatte. Sie wurden im Verhältnis 2 zu 1 randomisiert und erhielten eine Nierennervenablation mit dem Symplicity™-Katheter des Unternehmens Medtronic oder eine Scheinprozedur, bei der lediglich eine renale Angiographie erfolgte.

Die meisten Kardiologen vom Ergebnis „völlig überrascht“
Der Ausgang der Studie habe ihn wie viele seiner Kollegen „völlig überrascht“, sagte Prof. Dr. Anthony DeMaria, Chefredakteur beim JACC, dem Journal der ACC, und Direktor am Cardiovascular Center der UC School of Medicine in San Diego. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass es zuvor rund 10 positive – allerdings kleinere und nicht so gut designte – Studien gab. Auch wenn es sich bei HTN-3 um die bislang best-designte und größte Studie zur renalen Denervierung handele, „so macht deren Ausgang die früheren Daten doch nicht wertlos“, sagte auch Bhatt. „Ich denke, wir benötigen einen Neustart, aber die renale Denervierung ist nicht tot!“

Auch Prof. Dr. Valentin Fuster, einer der renommiertesten Kardiologen weltweit vom Mount Sinai Hospital in New York, gab in Washington seiner Überraschung Ausdruck: „Die Ergebnisse der Studie widersprechen meinen Erfahrungen bei meinen Patienten. Das soll nicht heißen, dass die Ergebnisse nicht richtig sind, doch ich würde sie mit Vorsicht interpretieren.“ Und auch Bhatt räumte ein: „Es ist schwer, sich vorzustellen, dass es sich hier um einen Placeboeffekt handeln sollte.“
Ähnlich war auch die Reaktion des deutschen Kardiologen Prof. Dr. Michael Böhm, einem der Pioniere der renalen Denervierung, schon auf die erste Pressemeldung im Januar gewesen. Er hatte damals gegenüber Medscape Deutschland darauf verwiesen, dass inzwischen aus den früheren Studien bereits Daten vorliegen, die eine anhaltende Blutdrucksenkung nach 3 Jahren zeigen. „Ein Placebo-Effekt der drei Jahre lang anhält?“, gab er damals zu bedenken.
Als möglichen Beitrag zum unerwarteten Studienausgang wurde von Bhatt in Washington auch diskutiert, dass allein die Teilnahme an der Studie die Adhärenz der Patienten so gestärkt haben könnte, dass ihr „therapieresistenter“ Blutdruck, dann doch auf die Therapie ansprach. So wurden im Studienprotokoll regelmäßige Blutdruckmessungen zuhause und das Führen eines Blutdruck-Tagebuchs über jeweils 2 Wochen zu Beginn und Ende der Studienperiode verlangt. So viel Aufmerksamkeit zahlt sich womöglich auch bei „therapieresistenten“ Hypertonikern aus. Eine andere Frage sei, ob das Verfahren korrekt angewendet und die abgegebene Dosis für die Nierennervenablation ausreichend gewesen sei. Beides lasse sich kaum prüfen.
Wie soll es weitergehen?
Die Frage, die nun alle interessiert, lautet sicherlich: Wie soll es weitergehen? Dies ist vor allem für Deutschland interessant, da bei uns – anders als in den USA – das Verfahren bereits von zahlreichen Zentren angewendet wird. Weltweit, so berichtete DeMaria auf der Pressekonferenz seien bereits rund 10.000 dieser Prozeduren vorgenommen worden. Registerdaten zur Wirksamkeit und Sicherheit des Verfahrens unter „Real-World“-Bedingungen hat Böhm in einer eigenen Präsentation bei den „Late-Breaking Clinical Trials“ in Washington vorgestellt (siehe Kasten) – ein großer Teil dieser Daten stammt aus Deutschland.
Auf dem Kongress wurde vor allem der Ruf nach weiteren Studien laut. Dr. David Kandzari vom Piedmont Heart Institute in Atlanta, Georgia, verwies darauf, dass man in Zukunft eventuell die Patientenpopulation für das Verfahren genauer prüfen müsse. „Ein hoher Blutdruck sollte vielleicht nicht das einzige Kriterium sein.“ Allerdings gibt es bislang keinerlei Anhaltspunkte, was geeignete Parameter für die Patientenselektion sein könnten. In der HTN-3-Studie gab es in keiner der geprüften Subpopulationen einen Hinweis – außer vielleicht, dass sich bei den afro-amerikanischen Teilnehmern überhaupt kein Unterschied zwischen Schein- und echter Prozedur in den erreichten Blutdruckwerten zeigte – obwohl man sich gerade in dieser Bevölkerungsgruppe ganz besonders gute Erfolge erhofft hatte. Doch warnte Bhatt davor, dieses Ergebnis überzubewerten.
DeMaria sieht durch HTN-3 vor allem die Euphorie und allzu großen Hoffnungen, die in das neue Verfahren gesetzt wurden, zurechtgerückt. Er erinnerte daran, dass die renale Denervierung von manchen bereits als mögliche „Heilung des Bluthochdrucks“ gehandelt worden war, mit der Hoffnung, die antihypertensive Therapie verzichtbar zu machen. Doch: „Wir haben bislang nur ein minimales Verständnis darüber, über welche Mechanismen genau wir damit den Blutdruck beeinflussen.“
Sein Vorschlag: „Wir sollten einen Schritt zurücktreten und uns fragen, was wir da eigentlich tun und die Resultate der Prozedur genauer betrachten.“ Bislang, so wurde in der Diskussion aber auch klar, fehlen biologische Marker für den Erfolg des Eingriffs.
Hoffnung auf weitere Studien, doch „die Latte hängt hoch“
Auf die Frage, wir ihre persönliche Praxis nach HTN-3 aussehen wird, meinte Bhatt: „Ich wäre vorsichtig, meinen Patienten ein Verfahren zu empfehlen, zu dem es eine große negative Studie gibt.“ Absolut ausschließen wollte er dies jedoch auch nicht: „Es gibt immer wieder Patienten, bei denen wir keine andere Option haben.“ Von den Kollegen wünscht er sich jedoch, dass sie „das Ergebnis von HTN-3 bei ihren Therapieentscheidungen berücksichtigen und nicht einfach von der Hand weisen“.
DeMaria ist ähnlicher Ansicht: „Ich würde die renale Denervierung wirklich auf die Patienten begrenzen, für die es keine anderen Möglichkeiten gibt.“ Und auch Fuster ist es „wichtig, die Methode für diejenigen Patienten ohne eine andere Option weiter verfügbar zu haben“.
„Wir haben mit HTN-3 mit Sicherheit die Latte für weitere Studien ziemlich hoch gehängt“, gab Bhatt zu bedenken. „Aber ich hoffe, es wird weitere gut designte Studien dazu geben.“ Und ein ähnliches Fazit ziehen auch die Kommentatoren im New England Journal of Medicine, Prof. Dr. Franz H. Messerli und Prof. Dr. Scripal Bangalore vom Mount Sinai Hospital in New York: „Es ist die Zeit gekommen, bei der renalen Denervierung gegen Bluthochdruck eine neue Seite aufzuschlagen, aber lasst uns auf keinen Fall das Buch darüber schließen!“
Weltweites Register zur Nierennervenablation: Praxis- versus Studiendaten
Es ist der bislang größte Datensatz zur renalen Denervierung. Prof. Dr. Michael Böhm, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar, stellte beim ACC-Kongress in Washington die 6-Monatsergebnisse der ersten 1.000 Patienten des weltweiten SYMPLICITY-Registers vor – und verglich sie mit den aktuellen Daten von HTN-3. Bestätigt habe das Register „das exzellente prozedurale und klinische Sicherheitsprofil“ der Methode, betonte Böhm.
Und bestätigt sieht er auch, dass das Verfahren zu „signifikanten Reduktionen sowohl im Praxis- als auch im 24-Stunden-Blutdruck“ führt. „Trotz aller Limitationen eines solchen Vergleichs“ sei die Blutdrucksenkung im Register nach 6 Monaten „numerisch größer“ gewesen als in HTN-3 – auch wenn sich das Ausmaß eines möglichen Placebo-Effektes in einem solchen Register natürlich nicht abschätzen lasse.
Konkret hatte die renale Denervierung bei allen Patienten des Registers im Schnitt zu einer Reduktion des systolischen Praxis-Blutdrucks um 11,9 mmHg geführt. Das Ausmaß der Blutdrucksenkung war dabei vor allem vom Ausgangswert abhängig: Je höher, umso stärker nahm der Blutdruck ab, betonte Böhm im Gespräch mit Medscape Deutschland.
In derjenigen Population im Register, die die Einschlusskriterien für SYMPLICITY-HTN-3 erfüllte (systolischer Praxis-Blutdruck ≥160 mmHg oder 24-h-Blutdruck ≥135 mmHg sowie Antihypertensiva aus mindestens 3 Wirkstoffklassen), betrug die mittlere Blutdruckreduktion nach renaler Denervierung sogar mehr als 20 mmHg. Allerdings hatten auch im Register rund 40% dieser Patienten selbst nach der Prozedur noch einen systolischen Blutdruck über 160 mmHg – und sprachen damit auf das Verfahren nicht ausreichend an.