„Inakzeptabel“ – dies ist das Urteil der europäischen Seuchenkontrollbehörde ECDC (European Centre for Disease Prevention and Control) über die Behandlungserfolge bei multiresistenter Tuberkulose in den Staaten der Europäischen Union sowie Island, Liechtenstein und Norwegen [1]. Lediglich 48,2% aller neuen Infektionen mit multiresistenten Erregern wurden hier in den Jahren 2007 bis 2010 erfolgreich behandelt. Damit, so die Autoren um Dr. Marieke van der Werf vom ECDC in Stockholm, sei man noch weit von einer Erfolgsrate von 70% entfernt, also dem im EU-Rahmenaktionsplan festgelegten Ziel [2].

Gründe für die geringe Erfolgsquote gibt es viele. Es fange schon damit an, dass die Therapie der multiresistenten Erreger häufig schlecht verträglich sei und sehr lange dauere, erklärt Dr. Barbara Hauer von der Abteilung für Infektionsepidemiologie des Robert Koch-Instituts (RKI) in Berlin im Gespräch mit Medscape Deutschland. „Eine Kombination aus mehreren Medikamenten muss 20 Monate oder noch länger eingenommen werden“, so die Tuberkuloseexpertin. Bei Nebenwirkungen, die von Übelkeit, Konzentrationsstörungen, allergischen Hautreaktionen und Empfindungsstörungen bis hin zu Psychosen, Suizidgedanken oder Schwerhörigkeit reichen, eine Tortur. „Die Patienten zu motivieren, die Therapie bis zum Ende durchzuhalten, ist schwer“, gibt Hauer zu.
Ein Problem, das sich allerdings nicht nur auf Patienten mit multiresistenten Erregern begrenzt. Auch bei Infektionen mit Antibiotika-empfindlichen Erregern würden die deutlich kürzeren Behandlungen manchmal zu früh abgebrochen, sagt Hauer. „Wenn es den Patienten wieder besser geht, nimmt auch bei ihnen die Motivation ab.“
Ein Abbruch der Behandlung fördert aber in jedem Fall die Entwicklung multiresistenter Erreger. Denn nur durch die ausreichend lange Gabe antituberkulotisch wirksamer Substanzen werden auch aufgrund von Spontanmutationen resistente Erreger zuverlässig abgetötet. Die ECDC-Auswertung spiegelt die Problematik wieder. So waren 53,1% der multiresistenten Tuberkulosen (MDR-TB) zuvor schon einmal behandelt worden, bei den Tuberkulosen ohne Resistenzen waren es nur 11,9%. Und bei den sogenannten extensiv resistenten Tuberkulosen (XDR-TB) waren sogar 77,3% der Infektionsfälle vorbehandelt.
Etwa zwei Prozent der Tuberkuloseerreger in Europa und Deutschland multiresistent
Multiresistente Tuberkulosebakterienstämme sind definitionsgemäß mindestens gegenüber den beiden wichtigsten Antituberkulotika Isoniazid und Rifampicin unempfindlich. XDR-Tuberkulosen haben zusätzliche Resistenzen gegenüber mindestens einem der Fluorchinolone und einem der 3 Zweitrangantituberkulotika Amikacin, Kanamycin oder Capreomycin.
Die WHO schätzt, dass 5,3% der jährlich rund 12 Millionen an Tuberkulose erkrankten Menschen mit einem multiresistenten Tuberkulosestamm infiziert sind, was einer Zahl von 630.000 Fällen entspricht. Genaue Zahlen zu den erstmals 2006 beschriebenen XDR-Tuberkulosen liegen noch nicht vor.
Die aktuelle ECDC-Publikation liefert nun erstmals eine umfassende Aufstellung über die Resistenzsituation, Fallcharakteristika und Behandlungserfolge in den Staaten der Europäischen Union (plus dem Europäischen Wirtschaftsraum). Basis der Analyse waren die zwischen 2007 und 2012 an die ECDC gemeldeten Daten.
Demnach machten MDR-Erreger in diesen Jahren stabil etwa 2% aller nachgewiesenen Erreger in Europa aus (1.511 Fälle in 2007 bis 1.310 in 2012). Für Deutschland hat das RKI jüngst ähnliche Fallzahlen veröffentlicht. Hier lag der Anteil von Erkrankungen durch multiresistente Stämme im Jahr 2012 bei 2,3% (65 Fälle) und war damit sogar etwas höher als im Mittel der 5 Jahre zuvor (2007 bis 2011: 1,9%) [3].
Weltweite Ausbreitung der multiresistenten Tuberkulose
Nicht bei allen diesen Tuberkulosefällen hat eine inadäquate Vorbehandlung zur Resistenz geführt. „Resistente Erreger finden sich auch bei den Primärinfektionen“, erkärt Hauer. Gründe für die weltweite Ausbreitung der (multiresistenten) Tuberkulose sind u.a. nicht vorhandene bzw. unzureichende Tuberkulose-Kontrollprogramme, inadäquate Präventionsmaßnahmen und eine verzögerte Tuberkulosediagnostik. Probleme, von denen ressourcenschwache Regionen besonders betroffen sind.
Dass der Kampf gegen die Tuberkulose aber nicht aussichtslos ist, zeigt ein aktuelles Beispiel aus China. Dort führte man bereits in den 1990er-Jahren die von der WHO empfohlene Kontrollstrategie DOTS (Directly Observed Treatment, Short-Course) ein. Wesentliche Komponenten von DOTS sind ein von der Regierung (finanziell) unterstütztes Management, qualitätsgesicherte Diagnostik, eine standardisierte Therapie unter ärztlicher Überwachung, kontinuierliche Medikamentenverfügbarkeit sowie eine standardisierte Kontrolle der Therapieergebnisse.
So schaffte es China laut der jüngst im The Lancet publizierten Analyse von Lixia Wang und Kollegen vom Chinese Center for Disease Control and Prevention in Beijing die Zahl der Tuberkulosefälle innerhalb von 20 Jahren zu halbieren [4]. Die Inzidenz liegt dort aktuell bei etwa 59 Fällen pro 100.000 Einwohner.
Forderungen für die Zukunft: Bessere Diagnostik und konsequente Therapie
Erreger finden
sich auch bei den Primärinfektionen.“
Gemessen an China sind die Zahlen aus Deutschland zwar vergleichsweise gering: Mit 4.220 Tuberkulosen im Jahr 2012 und somit 5,2 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohnern ist Deutschland ein Niedriginzidenzland für Tuberkulose. Aber selbst hier, wo ausreichend hochqualitative Laborkapazitäten und alle Zweitrangmedikamente zur Verfügung stehen, sind die Behandlungsergebnisse oftmals unbefriedigend. Laut Robert Koch-Institut liegt die Heilungsrate der multiresistenten Tuberkulosen auch nur bei 59% [5].
Das RKI empfiehlt deshalb u.a. bei jedem diagnostizierten Tuberkulosefall generell eine kulturelle Isolierung des Erregers und eine Resistenztestung durchzuführen [6]. Denn nur so könne eine dem Erreger angepasste wirksame Therapie durchgeführt und die Entwicklung weiterer Resistenzen verhindert werden.
Drei neue Medikamente kommen 2014 auf den Markt
Neben besseren Verfahren zur Tuberkulosediagnostik und einer konsequenten Therapie durch erfahrene Ärzte seien zudem dringend neue, besser verträgliche Medikamente notwendig, meint Hauer. Ein paar Neuentwicklungen gibt es laut einer aktuellen Mitteilung des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) schon: Neben einem bereits Anfang März zugelassenen Präparat (Wirkstoff: Bedaquilin), ist bereits für ein weiteres Medikament mit neuem Wirkstoff (Delamanid) und für eine neue Darreichungsform für einen älteren Wirkstoff (Para-Aminosalicylsäure in einem magensaftresistenten Granulat) die EU-Zulassung beantragt [7].
Alle 3 Medikamente sind zur Anwendung gegen multiresistente Bakterien bestimmt und sollen in Kombination mit weiteren Tuberkulosemedikamenten die Wirksamkeit der Therapie verbessern. In welcher Kombination die neuen Medikamente die Dauer und Verträglichkeit der Behandlung günstig beeinflussen können, muss sich allerdings noch in weiteren klinischen Studien zeigen.