Radikale Prostatektomie oder aktive Beobachtung? Von der OP profitieren vor allem jüngere Männer mit moderatem Risiko

Ute Eppinger | 26. März 2014

Autoren und Interessenkonflikte

Radikale Prostatektomie oder lieber aktive Beobachtung beim lokal begrenzten Prostatakarzinom? Die Ergebnisse eines Direktvergleichs der beiden Therapieoptionen haben Dr. Anna Bill-Axelson, Urologin am University Hospital in Uppsala, Schweden, und Kollegen jetzt im New England Journal of Medicine veröffentlicht.


Prof. Dr. Michael Stöckle

Als „sehr spannend“ stuft Prof. Dr. Michael Stöckle, Direktor der Klinik für Urologie und Kinderurologie am Universitätsklinikum des Saarlands in Homburg/Saar, die Ergebnisse ein. „Die Studie“, so sagt Stöckle im Gespräch mit Medscape Deutschland voraus, „wird bald zu den meistdiskutierten Arbeiten des Jahres 2014 zählen.“

In der Studie wurden 695 Männer mit frühem lokal begrenztem Prostatakarzinom zwischen 1989 und 1999 entweder aktiver Beobachtung (Watchful Waiting; n=348) oder radikaler Prostatektomie (n=347) zugewiesen. Primäre Endpunkte der bis Ende 2012 laufenden Skandinavischen Prostatakrebs Studiengruppe Nr. 4 (SPCG-4) waren dabei Tod gleich welcher Ursache, Tod durch Prostatakarzinom und das Metastasenrisiko. Sekundärer Endpunkt war der Beginn einer Androgendeprivations-Therapie.

Die Patienten wurden 23,2 Jahre nachbeobachtet. Während des Follow-ups starben 200 der operierten Männer, 63 dieser Todesfälle ließen sich auf das Prostatakarzinom (PCA) zurückführen. In der Gruppe der Patienten, deren Tumorentwicklung aktiv beobachtet worden war, starben 247 Männer, davon 99 an PCA. Die absolute Differenz betrug 11%, das relative Risiko, nach Prostatektomie am Prostatakarzinom zu sterben, war um die Hälfte reduziert (relatives Risiko RR: 0,56).

Die Number-Needed-to-Treat (NNT, also die Zahl der PCA-Patienten, die operiert werden mussten, um einen Todesfall durch Prostatakarzinom zu verhindern) lag bei 8. Eine Androgendeprivations-Therapie – eingesetzt bei fortgeschrittenem PCA – kam in der OP-Gruppe deutlich seltener vor (Differenz von 25%).

„Die Studie
wird bald zu den meistdiskutierten Arbeiten des Jahres 2014 zählen.“
Prof. Dr. Michael Stöckle

Den größten Benefit durch die Operation wiesen Männer auf, die jünger als 65 Jahre alt waren (RR 0,45), und Männer, die ein mittleres Progressionsrisiko aufwiesen (RR 0,38). Doch die radikale Prostatektomie war auch assoziiert mit einem reduzierten Risiko für Metastasen bei älteren Männern (RR 0,68). „Je länger die Nachbeobachtungszeit dauerte, desto mehr zeigte sich eine substanzielle Reduktion der Mortalität nach radikaler Prostatektomie. Die Number-Needed-to-Treat sank weiter, wenn die Therapie dem Alter zum Zeitpunkt der Diagnose und dem Tumorrisiko angepasst wurde. Allerdings brauchten auch viele Langzeitüberlebende unter aktiver Beobachtung keinerlei palliative Therapie“, bilanziert Bill-Axelson.

Erhöhte Lebenserwartung macht auch ein Niedrigrisiko-PCA relevant

Die Daten sprechen nicht generell gegen die Watchful-Waiting-Strategie, bestätigt Stöckle: „Man muss bedenken, dass in der Niedrigrisiko-Gruppe viele Probanden nicht am Tumor starben und dass die Diagnosen in die Zeit vor dem PSA-Screening fielen. Nur 12 Prozent der Tumoren waren nicht tastbar, 88 Prozent waren tastbar und damit viel weiter fortgeschritten als das bei heutiger Diagnostik der Fall wäre.“

„Je länger die Nachbeobachtungszeit dauerte, desto mehr zeigte sich eine substanzielle Reduktion der Mortalität nach radikaler Prostatektomie.“
Dr. Anna Bill-Axelson

Durch die intensive Früherkennung werden Tumore mit niedrigem Progressionsrisiko heute schneller diagnostiziert. „Bei Niedrigrisiko-Tumoren sollten verstärkt nicht-invasive Therapien erforscht werden, um den Betroffenen eine Übertherapie zu ersparen“, betont Stöckle.

Nicht vergessen werden sollte die psychische Belastung unter aktiver Beobachtung, die aus dem Wissen resultiert, einen Tumor in sich zu tragen. Diese psychische Belastung könne durch die Publikation eher wachsen, so Stöckle: „Wenn man lange genug lebt, holt einen vielleicht sogar das allerharmloseste Prostatakarzinom noch ein.“

Denn man sterbe auch an Tumoren mit niedrigem Progressionsrisiko. „Man sollte die aktive Therapie beim Niedrigrisiko-Tumor nicht verteufeln“, warnt Stöckle. Eine generelle Ablehnung einer aktiven Therapie beim Prostatakarzinom mit niedrigem Progressionsrisiko bagatellisiere den Tumor vielleicht doch in inadäquater Weise. Zwar sind in der Niedrigrisiko-Gruppe unter aktiver Beobachtung nur 14% am Tumor gestorben, der Unterschied ist aber nicht signifikant gegenüber der Prostatektomie (10,2%).

„Bei Niedrigrisiko-Tumoren sollten verstärkt nicht-invasive Therapien erforscht werden, um den Betroffenen eine Übertherapie zu ersparen.“
Prof. Dr. Michael Stöckle

Signifikante Unterschiede zeigen sich in der  Gruppe mit niedrigem Progressionsrisiko aber bei den Metastasen (24,2% versus 13,6%). „Das Ergebnis spricht dafür, dass die Niedrigrisiko-Tumoren sehr viel Zeit brauchen, bevor sie dem Patienten schaden“, so Stöckle. Lasse man ihnen aber diese Zeit, schadeten sie eben doch.

Damit mache die gestiegene Lebenserwartung auch das Niedrigrisiko-Prostatakarzinom zu einem relevanten Problem. Zwar würden Tumore heute früher und damit in einem harmloseren Stadium entdeckt, aber man solle auch die erhöhte Lebenserwartung mit ins Kalkül ziehen. „Dieter Hildebrandt ist mit 86 an einem Prostatakarzinom gestorben“, nennt Stöckle ein aktuelles Beispiel.

Wie erkennt man Patienten mit Niedrigrisiko-Tumoren zuverlässig?

Die bisher von manchen vertretene Schlussfolgerung, dass sich jenseits von 65 Jahren eine Operation nicht mehr lohne, sei so nicht haltbar „Man sieht auch bei den über 65-Jährigen mit 32 versus 41 Tumor-Todesfällen eine Verringerung der tumorbedingten Sterblichkeit. Sie ist zwar nicht signifikant, aber sie zeigt einen Trend an“, erklärt Stöckle. Beim Auftreten von Metastasen zeige sich schon deutlicher, dass auch über 65-Jährige von der OP profitierten (62 versus 44 Todesfälle).

„Wenn man lange genug lebt, holt einen vielleicht sogar das allerharmloseste Prostatakarzinom noch ein.“
Prof. Dr. Michael Stöckle

Patienten mit intermediärem Tumorrisiko profitierten am meisten von der Prostatektomie: „24 versus 50 Tumortodesfälle, also eine Reduktion um 50 Prozent“, so Stöckle. Nur marginal ist hingegen der Unterschied in der tumorbedingten Sterblichkeit bei Tumoren mit Progressionsrisiko, wo in beiden Gruppen relativ viele Männer am Tumor gestorben sind und insgesamt fast 50% Metastasen entwickelt haben. Stöckle meint aber: „Durch die bessere Früherkennung mittels PSA-Test könnten wir Hochrisiko-Tumoren heute früher und besser behandeln als zur Zeit der Rekrutierung für die Studie.“

Das Problem sieht Stöckle eher darin, die Patienten mit Niedrigrisiko-Tumoren zuverlässig zu erkennen. „Wenn ich mir so die Fälle in meiner Praxis anschaue, dann ist das nicht so eindeutig“. Über die Histologie hinaus brauche man möglicherweise Biomarker oder weitere zusätzliche bildgebende Verfahren, um das Risikopotenzial genauer einzugrenzen. „Deshalb machen wir ja die PREFERE-Studie, denn vor allem im Niedrigrisiko-Bereich brauchen wir unbedingt härtere Daten als bisher verfügbar.“

PREFERE vergleicht erstmals alle 4 empfohlenen Therapien – radikale Prostatektomie, aktive Beobachtung, Strahlentherapie und Seed-Implantation – zur Behandlung eines lokal begrenzten Prostatakarzinoms (Medscape Deutschland berichtete).

Referenzen

Referenzen

  1. Bill-Axelson A, et al: NEJM 2014;370:932-942
    http://dx.doi.org/10.1056/NEJMoa1311593

Autoren und Interessenkonflikte

Ute Eppinger
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Bill-Axelson A, Stöckle M: Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

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